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Full text of "Aristoteles' Politik: Erstes, zweites und drittes Buch mit erklärenden Zusätzen ins Deutsche ..."

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1 



© 



ARISTOTELES' POLITIK 



ERSTES, ZWEITES UND DRITTES BUCH 



MIT ERKLÄRENDEN ZDBÄTZEN INS DEUTSCHE ÜBERTRAGEN 



VON 



JACOB BERNAYS. 



Berlin 1872. 

Verlag von Wilhelm Hertz. 

(Bessersche Buchhancllung.) 



London: Williams und Norgate. 



/ä///^ (^fd 






JOHANNES BRANDIS 



ZUGEEIGNET 



VON 

I 



JACOB BERNAYS, 



\ 



Der folgende Versuch beabsichtigt, den ersten 
Haupttheil der von Aristoteles für seine politischen 
Lehrvorträge gemachten Aufzeichnungen in einer 
die Treue mit der Fasslichkeit verbindenden üeber- 
tragung den politisch und geschichtlich gebildeten 
Deutschen vorzulegen. Um Fasslichkeit zu errei- 
chen, schien es in einigen Fällen zweckmässig, 
dem schon im späteren Alterthum von Themistius 
für andere aristotelische Werke gegebenen Beispiel 
nachzustreben und den Fortschritt der Gedanken- 
entwicklung dadurch deutlich und gleichmässig 
zu machen, dass die von Aristoteles unterdrückten 
Mittelglieder der Schlussbildung und überleitenden 
Wendungen in einer frei gewählten, möglichst 
kurzen Fassung ergänzt werden. Diese über den 
griechischen Wortlaut hinausgehenden Zusätze sind 



II 

durch cursiven Druck kenntlich gemacht. Un- 
nöthig schien jedoch eine solche äusserliche Kenn- 
zeichnung in den vielen anderen Fällen, wo die 
griechische Urschrift in leisen, aber unzweideuti- 
gen Fingerzeigen eine hinlänglich sichere Gewähr 
für den volleren deutschen Ausdruck darbot. 

Bonn, Juni 1872. 



Inhalt« 



Erstes Buch S. 3 — 50 

Einleitende Bemerkungen über die Würde 
des Staats und den Unterschied der Herr- 
schaftsformen 3 — 4 

Genetische Betrachtung des Staats . . 4 — 10 

Das Sclaventhum . 11 — 24 

Natürliches Sclaventhum .... 14 — 18 

Gesetzliches Sclaventhum .... 18 — 22 
Lehre vom Besitz, vom Handel und vom 

Gelde 24—42 

Behandlung der Hausgenossen .... 42 — 50 

Zweites Buch 53—126 

Der platonische Staat 54 — 74 

Frauengemeinschafb 54 — 64 

Gütergemeinschaft 65 — 71 

Die platonischen Gesetze . . . . . . 75 — 82 

Der Staat des Phaleas 83—90 

Gleichheit des Besitzes .... 84 — 89 

Der Staat des Hippodamos 90 — 96 

Gründe für und gegen die Neuerungen . 96 — 98 

Die spartanische Verfassung 99 — 110 



Rä^iO -/ ^ , 




1 Der Staat ist oflfenbar eine Gemeinschaft; ^^^*®,*«« 

' Staats. 

und da jede Gemeinschaft zur Erreichung eines 
Guts geschlossen ist — thut doch überhaupt Nie- 
mand Etwas als wegen der damit verbundenen 
Vorstellung von etwas Gutem — : so erhellt dass, 
während jede Gemeinschaft irgend ein Gut er- 
strebt, dieses Streben das eifrigste und das er- 
strebte Gut das alleroberste ist in der allerober- 
sten und alle übrigen umfassenden Gemeinschaft 
d. h. in der staatlichen. 

Zunächst nun stellen alle dieienigen die ?°*f»': 

•^ ° schied der 

Sache nicht richtig dar, welche mit Flaton mei- g^afts- 
nen, die Erfordernisse zu einem Staatsmanne im °^™^°' 
Verfassungstaat, Könige, Hausvater und Herrn 
seien dieselben ; sie glauben nämlich, der Unter- 
schied zwischen ihnen bestehe nur im Mehr oder 
Minder, nicht im Wesen; näher gesagt: wo es 
sich um Wenige handle, da heisse es Herr, wo 
um Mehrere, Hausvater, wo um noch Mehrere, 
verfassungsmässiger Staatsmann oder König, da 
ja, meint man, ein grosses Haus und ein kleiner 
Staat dasselbe bedeuten ; und, bezüglich des Ver- 



4 1,2. 

hältnisses zwischen dem verfassungsmässigen 
Staatsmann und dem Könige, so heisse er dann 
König, wann er selbst an der Spitze stehe, wann 
er hingegen, nach gewissen Bestimmungen, wie 
die entsprechende politische Wissenschaft sie an 
die Hand gebe, auch seinerseits wieder Unter- 
than werde, dann heisse er verfassungsmässiger 
Staatsmann. Dem ist jedoch nicht so. Deutlich 
wird dieser Punct werden durch eine nach der 
für uns leitenden Methode angestellte Untersu- 
chung. Wie nämlich auf anderen Gebieten die 
Zerlegung des Zusammengesetzten fortgeführt 
werden muss bis auf die einfachen, mithin klein- 
sten, Theile des Ganzen, so wird auch eine ähn- 
liche Forschung nach den einfachen Bestand- 
theilen des Staats uns bessere Einsicht verschaffen 
sowohl in den gegenseitigen Unterschied der ge- 
nannten Regierungsarten, als auch darüber, ob 
es möglich sei etwas Systematisches über jede 
einzelne derselben aufzustellen. 
Genetische Will man uuu wic audcrswo so auch hier 2 

Betrach- 

*Äte^^ die Dinge in ihrem fortschreitenden Wachsen 
sehen, so ist die zweckmässigste Art der Betrach- 
tung wohl folgende. Zuvörderst müssen diejeni- 
gen sich paaren, die einander nicht entbehren 
können, also, Männliches mit Weiblichem zum Be- 
huf der Zeugung — und zwar fällt diess nicht in 
den Bereich des freien Willens, sondern wie bei 
den übrigen animalischen Geschöpfen und bei 



1, 2. 5 

den Pflanzen, ist es auch bei dem Menschen ein na- 
türlicher Trieb seinesgleichen zu hinterlassen — ; 
und das kraft seiner Natur Gebietende rauss sich 
paaren mit dem kraft seiner Natur Gehorchenden 
zum Behuf der Erhaltung; wo nämlich das Ver- 
mögen geistiger Voraussicht vorhanden, da ist 
natürlicher Beruf, Gebieter und Herr zu sein, wo 
hingegen die Fähigkeit zu bloss körperlicher 
Verrichtung der empfangenen Befehle, da ist 
natürlipher Beruf, Sclave zu sein; deshalb, weil 
Herr und Sclave einander nicht entbehren können, 
besteht auch Gleichheit der Interessen zwischen 
ihnen. — Von Natur nun sind Weib und Sclave 
geschiedene Wesen ; denn Nichts schafft die Natur 
in ärmlicher Weise, wie die Messerschmiede das 
delphische Messer, sondern zu je einem Zwecke 
schafft sie ein besonderes Mittel; kann doch auch 
ein jedes Werkzeug nur dann in grösster Voll- 
kommenheit hergestellt werden, wenn es nicht 
zu mehreren, sondern nur zu Einer Arbeit dienen 
soll. Bei den Barbaren jedoch fallen Weib und 
Sclave zusammen. Der Grund liegt darin, dass 
bei ihnen das von Natur zum Gebieten bestimmte 
Element fehlt; die eheliche Gemeinschaft kann 
demnach nur eine zwischen Sclave und Sclavin 
sein. In diesem Sinne heisst es auch bei den 
Dichtern [Euripides, Iphigenia in Äulis 1401]: 
'Billig herrschen über Barbaren Griechen', indem 
von Natur Barbar und Sclave fttr identisch gelten. 



6 . I, 2. 

Der Haus- Aus dicseii zwei Gemeinschaften, Mann und 

stand. 

Weih, Herr und Sclave, entsteht nun zuerst das 
Haus, und Hesiodos hat es richtig getroflfen in 
seinem Verse [Werke tmd Tage 403]: 'Schaffe zu- 
erst dir ein Haus, ein Weib und zugleich einen 
Pflugstier'; bei den Armen nämlich vertritt der 
Stier die Stelle des Knechtes. Diese Gemein- 
schaft also, welche, durch natürlichen Trieb ge- 
schlossen, alle Beziehungen des täglichen Lebens 
urafasst, ist der Hausstand, 'Brodkorbgenossen' 
wie sie Charondas, 'Troggenossen' wie sie der 
Kreter Epimenides nennt. Die aus mehreren 
solchen Hausständen zunächst sich bildende, einen 
Verkehr von nicht vorübergehender Dauer be- 
DasDorf. zwcckcnde Gemeinschaft, ist das Dorf. Am 
naturgemässesten möchte man wohl eine Colonie 
des Hauses in dem Dorfe erkennen, dessen Mit- 
glieder, Kinder und Kindeskinder des Hauses, 
auch in gewissen Gegenden Milchvettern heissen. 
Wegen dieser Entwickelung des Dorfes aus dem 
Hause war auch die ursprüngliche* Regierungs- 
form in den griechischen Staaten, wie noch heut- 
zutage bei den nichtgriechischen Völkerschaften, 
das Königthum, weil nämlich solche, die von 
Königen beherrscht wurden, zu staatlichem Ver- 
bände sich vereinigten. Denn jeder Hausstand 
steht unter königlicher Herrschaft des durch 
Alter Ehrwürdigsten, und so blieb denn auch in 
den Colonien des Hauses, in Folge der Verwandt- 



1,2. 7 

Schaft, dieselbe Regierungsforra bestehen. Diesen 
Zustand königlich beherrschter Dörfer schildert 
auch Homeros [Odyssee 9, 114] bei den Kyklopen: 
'Jeder Einzelne richtet Seine Kinder und Weiber*; 
jeder fUr sich, weil sie in weiten Zwischenräumen 
von einander wohnten; und so wohnte man über- 
haupt vor Alters. Eben hieraus entspringt ferner 
die allgemein verbreitete Meinung, dass über die 
Götter ein König gesetzt sei, weil man nämlich 
selbst, theils noch jetzt, theils vor Alters Könige 
hatte, und die Menschen sich wie die Gestalten 
so auch die Lebensweise der Götter nach ihrem 
eigenen Ebenbilde machen. — Die aus mehreren st»dt und 
Dörfern gebildete Gemeinschaft endlich ist die 
zum Staat vollendete Stadt, wo nun, schlechthin 
zu reden, das Ziel vollkommenen Sichselbstge- 
nügens erreicht ist; sie entsteht zwar aus dem 
Bedürfniss blossen Lebens, besteht jedoch zur 
Erreichung eines guten Lebens. ^— Hiernach er- ^^ jjraeS*- 
giebt sich, dass jeder Staat Erzeugniss der Natur ^It^."" 
ist, da ja die ihm vorangehenden Gemeinschaften 
es sind. Denn er ist ihre Vollendung, und in 
der Vollendung tritt die Natur hervor. Nennen 
wir doch Natur eines jeglichen Dinges denjenigen 
Zustand, welchen es nach vollendetem Werden 
zeigt, z. B. bei einem Menschen, Pferde, Hause. 
— Noch auf folgende Weise lässt sich der Natur- 
ursprung des Staates darthun: Endzweck und 
Vollendung sind begrifflich gleich dem Besten; 



8 1, 2. 

das Sichselbstgentigen also, welches ja dem 
Staate zukommt, muss, da es anerkanntermaassen 
das Beste ist, auch Vollendung sein; Vollendung 
wiederum und Natur fallen^ wie eben heunesen, 
zusammen; mithin ist der Staat ein natürliches 
Ereeugniss, — Hieraus erhellt also, dass der 
Staat zu den Naturdingen gehört und der Mensch 
ein von Natur staatliches Geschöpf ist und ein 
nicht zufällig, sondern von Natur Staatloser ent- 
weder übermenschlich oder ein verdorbener Mensch 
ist, von demselben Schlage wie der bei Homeros 
[Ilias 9y 63] gescholtene 'Mann ohne Sippe, ohne 
Recht, ohne Heerd'. Wer nämlich von Natur so 
geartet ist, der muss zugleich auch wirklich, wie 
es bei Homeros weiter heisst, 'kriegsstichtig' sein, 
da er wie der Räuberstein im Bretspiel auf eigene 
Faust lebt. — Dass der Mensch aber auch noch 
in viel höherem Maasse ein staatliches Geschöpf 
ist als alle Bienen oder sonst ein Gesellschafts- 
thier, ergiebt sich aus Folgendem : Nichts schafft, 
nach unserem oft ausgesprochenen Grundsatz, die 
Natur zwecklos ; dem Menschen aber ward allein 

stimme und uutcr allcu animalischcn Geschöpfen Sprache ge- 
Sprache. " . r jr D 

geben. Die blosse Stimme giebt nur Zeichen von 
Schmerz und Lust und ist daher auch den Thieren 
verliehen, deren Natur nicht weiter reicht als 
Schmerz und Lust zu empfinden .und davon sich 
unter einander Zeichen zu geben. Die Sprache 
hingegen soll Nützliches und Schädliches, mithin 



1, 2. 9 

auch Recht und Unrecht, klar ausdrücken. Denn 
diess ist dem Menschen im Vergleich mit den 
Thieren eigenthümlich, dass er allein Sinn hat 
für Gutes und Schlechtes, für Recht und Unrecht 
und die verwandten BegriflFe. Auf der Gemein- 
schaft aber in diesen Dingen beruht Haus und 
Staat. 

Ferner ist von Natur der Staat früher als ^er*^is 
der Hausstand und die Individuen. Denn das ^*dum^^^" 
Ganze ist nothwendig früher als der Theil. Hört 
doch nach Aufhebung des Ganzen jeder einzelne 
Theil, z. B. Fuss oder Hand, auf, das zu sein 
was er ist, und bloss die Namensgleichheit bleibt, 
die in solchem Falle nicht mehr bedeutet als 
wenn man von einer steinernen Hand spricht; 
denn eine vom Körper getrennte wird eine un- 
brauchbare Hand. Die Wesensbestimmtheit jedes 
Dinges aber liegt in seiner Wirkung und Kraft; 
sobald es daher diese verliert, darf man es nicht 
mehr als dasselbe Ding, sondern nur als ein gleich- 
namiges ansprechen. Die Anwendung dieser Sätze 
ergiebt die aufgestellte Behauptung, dass der 
Staat nicht bloss von Natur, sondern auch früher 
als das Individuum ist, da dieses, wenn es in 
seiner Vereinzelung . sein volles Gentige nicht 
findet, sich zum Staat verhält wie überhaupt der 
Theil zum Ganzen; wenn es hingegen zur Ge- 
meinschaft unfähig oder ihrer, weil es in sich 
selbst sein volles Genüge findet, gar nicht be- 



10 1, 3. 

dürftig ist, dann freilich ist es keineswegs ein 
Theil des Staats, vielmehr entweder ein Thier 
oder ein Gott. — Von Natur also liegt in allen 
Menschen der Zug nach einer staatlichen Ge- 
meinschaft ; wer sie aber zuerst ins Werk gesetzt 
hat, dem werden die höchsten Güter verdankt. 
Denn wie der Mensch, wenn er im Staat seine 
Vollendung findet, das beste unter allen Geschöp- 
fen ist, so ist er, losgelöst von Gesetz und Recht, 
das allerschlimraste. Ist ja gerüstetes Unrecht 
das gefährlichste. Und der Mensch ist geschaffen . 
mit einer Rüstung zu Einsicht und Tugend, kann 
dieselbe jedoch gar leicht zum Gegentheil ge- 
brauchen; deshalb ist er auch, ohne Tugend, das 
wildeste und ruchloseste Geschöpf, schlimmer als 
alle anderen in Unzucht und Völlerei. Die Ge- 
rechtigkeit nun aber, der Gegensatsi zu jenem ge- 
fährlichen Unrecht, ist an den Staat gebunden; 
denn das Recht ist nichts als die Ordnung der 
staatlichen Gemeinschaft, und es bestimmt seine 
Entscheidung nach dem Begriff der Gerechtigkeit. 
DieHaus- Gcmäss dicscr Darlegung über die Bestand- 3 

Schaft. w^^Wq des Staats muss nun zuerst von der Haus- 
wirthschaft gehandelt werden ; denn jeder Staat 
besteht ja aus Hausständen. Die Theile des 
Hausstandes wiederum sind die Personen, die 
ihn bilden, und der vollkommene Hausstand be- 
steht aus Sclaven und Freien. Da nun ferner 
die Untersuchung sich immer zuerst auf die klein- 



1,3. 11 

sten Theile des Gegenstandes richten muss, als 
erste und kleinste Theile des Hausstandes aber 
Herr und Sclave, Ehemann und Eheweib, Vater und 
Kinder abzusehen sind, so müssen wir diese drei 
Paare betrachten, was sie sind und wie sie sein 
sollen; d. h. wir müssen betrachten: das Herrn- 
verhältniss, das eheliche Verhältniss *), das elter- 
liche Verhältniss*). Bei diesen dreien mag es 
zunächst verbleiben. Es giebt freilich auch noch 
ein Viertes, welches nach Einigen mit der Haus- 
wirthschaft identisch, nach Anderen ihr wichtig- 
ster Theil sein soll, und wie es sich damit ver- 
halte, muss erörtert, werden; ich meine die 
Finanzkunde. — Zuerst wollen wir also von dem sciaven. 

thum. 

Herrn und dem Sciaven reden mit Rücksicht auf 
die wichtigsten Puncte der praktischen Anwen- 
dung, und zugleich wollen wir versuchen über 
diess Verhältniss richtigere theoretische Ansichten 
als die jetzt verbreiteten zu gewinnen. Den 
Einen nämlich ist das Herrenwesen eine Wissen- 
schaft und zwar eine und dieselbe mit der 
Wissenschaft vom Hausstand und vom Ver- 
fassungsstaat und vom Königthum, wie wir schon 
im Eingange erwähnten. Andere wiederum halten 
das Herrenthum für widernatürlich, da der Unter- 

*) Im griechischen Text folgt hier eine kurze 
Zwischenbemerkung, welche das Fehlen eines gebräuch- 
lichen griechischen Worts für dieses Verhältniss betrifft 
und eich auf Deutsch nicht nachbilden lässt. 



12 1, 4. 

schied zwischen dem Herrn und dem Sclaven 
nur ein conventioneller, von Natur aber beide 
gleich seien. Und weil widernatürlich, so sei 
das Herrenthum, als auf Gewalt beruhend, auch 
widerrechtlich. 

Der Besitz nun ist ein Theil des Haus- 4 
Standes und die den Besitz betreffende Lehre 
ein Theil der Haus wirthschaftskunde; denn wenn 
der nothwendige Untei:halt mangelt, ist das blosse 
Leben wie das gute Leben unmöglich; ferner, 
wie der zunftmässige Handwerker die passenden 
Werlizeuge vorfinden muss, wenn das Werk zu 
Stande kommen soll, so muss es auch derHaus- 
wirth; Werkzeuge nun aber sind theils leblos, 
theils lebendig, z. B. für den Schiffscapitän ist 
das Steuerruder ein lebloses, der Steuermann 
ein lebendiges Werkzeug, wie ja überhaupt in 
den Handwerken der Handlanger wesentlich ein 
Werkzeug ist. Hiernach ist also das Besitzsttick 
ein Werkzeug zum Leben, der Besitzstand eine 
Menge von Werkzeugen, der Sclave ein leben- 
diges Besitzsttick, und jeder Handlanger ist 
gleichsam ein die Mängel aller übrigen austtlUen- 
des Werkzeug. Denn wenn jedes Werkzeug 
auf Befehl oder diesem zuvorkommend seine 
Leistung vollzöge, wie von den Bildsäulen des 
Dädalos die Sage geht oder von den Dreifüssen 
des Hephästos, die, nach des Dichters [Ilicis 18, 
376] Wort, 'aus eigenem Trieb sich in die Götter- 



\ 



1,4. 13 

Versammlung begeben*, wenn so die Websehiflfe von 
selbst webten und die Zitherschlägel spielten, 
dann hätten weder die Meister ein Bedürfniss 
nach Gesellen, noch die Herren nach Sclaven. — 
Die gewöhnlich so genannten Werkzeuge sind ^'**^*'^****'* 
nun aber productionale, das Besitzstück hingegen ^*^**°°' 
ist ein actionales. Denn mit dem Webschiff wird 
noch etwas Anderes ausser seinem Gebrauch be- 
schafft, ein Gewand und ein Bett jedoch werden 
bloss gebraucht. Production ferner und Action 
sind wesentlich verschieden, und da jede von 
ihnen Werkzeuge nöthig hat, so müssen die 
Werkzeuge sich auch in derselben Weise scheiden. 
Das Leben ist nun aber Action, nicht Production. 
Den Sclaven also, welchen der Herr zu seinem 
Lehen braucht, wird man bezeichnen müssen als 
ein itir das actionale Gebiet bestimmtes, dienendes 
Wesen. — Ferner unterliegt 'Besitzstück' begriff- 
lich demselben Grad der Relation wie 'Glied'. 
Das Glied ist nicht bloss Glied eines Anderen, 
sondern ist ohne ein Anderes nicht denkbar; und 
ebenso ist es mit dem Besitzstück. Demnach ist 
zwar der Herr bloss Herr des Sclaven und keines- 
wegs ohne den Sclaven undenkbar; der Sclave 
liingegen ist nicht bloss Sclave des Herrn, 
sondern ohne den Herrn undenkbar. Hieraus 
erhellt also das Wesen und die Bedeutung des 
Sclaven. Wer nämlich von Natur nicht sich 
selbst angehört, sondern zu einem Anderen gehört, 



14 1,5. 

und doch ein Mensch ist, der ist von Natur 
Sclave. Ein Mensch gehört aber zu einem Anderen, 
wenn er als Mensch ein Besitzsttick ist, und die 
Definition von Besitzsttick lautet: ein von dem 
Benutzenden körperlich geschiedenes, actionales 
Werkzeug. 
Natüruches Ob CS uuu aber von Natur so geartete 5 

Sclaven- 

thxaa. Menschen geben könne, und das Sclaventhum 
für gewisse Menschen gut und gerecht, oder 
vielmehr Sclaverei unter allen Umständen wider- 
nattirlich sei, diess muss den nächsten Gegen- 
stand unserer Untersuchung bilden. Man kann 
dartiber unschwer sowohl auf theoretischem Wege 
ins Klare kommen als auch durch thatsächliche 
Erscheinungen sich belehren lassen. Das Ver- 
hältniss nämlich von Gebieten und Gehorchen 
ist nicht bloss ein nothwendiges sondern auch 
ein beiderseitig nützliches, und gleich vom An- 
beginn des Daseins treten in manchen Fällen 
die Elemente aus einander, die einen auf die 
gehorchende, die anderen auf die gebietende Seite. 
Auch giebt es vielerlei Arten von Gebietenden 
und Gehorchenden, und je besser die Gehorchen- 
den sind, desto förderlicher ist die Botmässigkeit, 
z. B. die über einen Menschen geübte ist förder- 
licher als die über ein Thier ; denn die Güte der 
Leistung steht im Verhältniss zu der Trefflich- 
keit der Vollbringer, und überall wo Eines ge- 
bietet und das Andere gehorcht, kommt eine 



1, 5. 15 

Leistung zu Stande. Vielerlei Arten von Gebietenden 
und Gehorchenden stellen sich aber deshalb herauSf 
weil wo nur immer ein geschlossenes Ganzes aus 
mehreren Bestandtheilen sich bildet, mögen diese 
• BestandtheiFe räumlich ungetrennt oder getrennt 
sein, tiberall auch das gebietende und das ge- 
horchende Element zum Vorschein kommt. Und 
zwar ist diess ein allgemeines Naturgesetz, und 
nur als ein solches, nicht als ein dem Leben eigen- 
thümlicheSj waltet es im Reich der lebendigen 
Wesen; denn auch in dem Unlebendigen zeigt 
sich «ine Art von botmässiger Ueber- und Unter- 
ordnung z. B. in der musikalischen Harmonie. 
Diess jedoch weiter zu verfolgen, möchte- zu 
einer äusserlichen Betrachtungsweise führen. Be- 
schränken wir uns auf das lebendige Geschöpf. 
Es besteht zunächst aus Seele und Leib, und 
ihrer Natur nach ist jene das gebietende, dieser 
das gehorchende Element. Wo es sich nämlich 
um die Natur eines Dii^es handelt, muss man 
die möglichst naturgemässen Erscheinungen ins 
Auge fassen, nicht die abnormen. In unserem 
Falle also haben wir den Menschen in möglichst 
guter leiblicher und seelischer Verfassung zu 
betrachten, und bei diesem ist es deutlich wie 
die Seele gebietet und der Leib gehorcht. Bei 
schlechten Menschen freilich, oder bei Menschen 
in schiechter Verfassung will es oft scheinen 
als gebiete der Leib über die Seele, eben weil 



le 1, 5. 

sie in krankhaftem und widernatürlichem Zu- 
stande sind. Zunächst also kann man nach 
unserer Auffassung innerhalb des einzelnen leben- 
digen Geschöpfs Botmässigkeit wahrnehmen, wie 
sie der Herr eines Sclaven und wie sie der 
Beamte im Verfassungsstaat übt ; denn die Seele 
gebietet dem Leibe wie ein Herr, und die Ver- 
nunft der Begierde wie ein 'Beamte und König. 
Und hier ist es augenfällig, wie natürlich nicht 
bloss, sondern auch nützlich es für den Körper 
ist, dass er der Seele, und für das leidenschaft- 
liche Seelenelement, dass es dem kraftthätigen 
Geist und vernünftigen Element gehorche, und 
wie verderblich hingegen für alle Betheiligten 
Gleichstellung oder ein umgekehrtes Verhältniss 
ist. Ferner, in den Beziehungen des Menschen 
zu den Thieren bewähren sich ebenso die auf- 
gestellten Behauptungen. Denn die zahmen Thiere 
sind von besserer Natur als die wilden, und für 
alle zahmen Thiere ist es gut, dass sie dem 
Menschen gehorchen, weil dann ihr Leben ge- 
schützt ist. Endlich, vergleicht man Mann und 
Weib, so ist jener von Natur stärker, dieses 
schwächer, jener gebietend, dieses gehorchend. 
Auf ähnliche Weise muss nun auch in der ge- 
sammten Menschheit ein von Natur gebietender 
und ein von Natur gehorchender Theil vorhanden 
sein. Bei denen nun der Abstand so gross ist 
wie zwischen Seele und Körper und zwischen 



1,5. 17 

Mensch und Thier — und in dieser Lage be- 
finden sich Alle, deren Leistung bloss darin be- 
steht, dass ihr Körper benutzt wird und die zu 
nichts Besserem zu gebrauchen sind — das sind 
von Natur Sclaven, und iHr solche ist es nun, so 
gut wie für die genannten anderen Arten von Ge- 
horchenden, auch zum eigenen Wohl, dass eine 
sclavische Botmässigkeit über sie geübt werde. 
Denn von Natur Öclave ist, wer im Stande ist, 
zu einem Anderen ganz und gar zu gehören — 
nur weil er dazu im Stande ist, geschieht ihm 
ja auch thatsächlich so — und wer an der Ver- 
nunft bloss in so fem Theil hat, dass er sie ver- 
nimmt, aber nicht besitzt; durch einen Gebieter 
also, welcher Vernunft hesitzt, erwächst dem Scla- 
ven Schute und Förderung. Der Unterschied zwi- 
schen dem Sclaven und den Thieren liegt darin, 
dass diese die Vernunft auch nicht einmal ver- 
nehmen, sondern ihren Trieben folgen. Wie 
nun dieser Unterschied Teein sehr beträchtlicher ist, 
so weicht auch die Art ihrer beiderseitigen Ver- 
wendung nicht weit von einander ab; denn 
beide, Sclaven wie Hausthiere, leisten körperliche 
Beihilfe zur Beschaffung des nöthigen Bedarfs. — • 
Die Richtung der Natur geht nun offenbar da- 
hin, auch in der Körperbildung Freie und Sclaven 
zu scheiden, diesen einen stämmigen Körperbau 
zu geben, wie er iHr ihren niederen Dienst taugt, 
Janen einen schlanken, der zu Sclavenarbeit un- 

2 



18 1, 6. 

geschickt, aber für den Lebensbernf eines freien 
Bürgers in Krieg and Frieden passend ist; doch 
kommt auch das Gegentheil oft Yor, dass Sciaven 
Körper wie Freie, und Freie nur in ihrer Seele 
das freie Gepräge haben. Jedenfalls jedoch ist 
diess klar: gäbe es wirklich Menschen, die bloss 
in ihrer Körperbildung einen solchen Grad von 
tiberragender Schönheit zeigten, wie die Bild- 
säulen der Götter, so würde die allgemeine Stimme 
es fttr richtig erklären, dass diesen alle, welche 
ihnen nachstehen, als Sclaven dienen. Ist nun 
diess für den Körper wahr, so muss es mit noch 
viel grösserem Recht für den Seelenunterschied 
gelten, auf welchen wir die Scheidung von Herr 
und Sclave gegründet haben. Aber freilich, man 
kann die Schönheit der Seele nicht so mit Au- 
gen sehen wie die des Leibes. Wie schwer man 
sie aber auch erkenne, jedenfalls ist es klar, dass 
es gewisse Menschen giebt, Itir welche die Schei- 
dung in Freie und Sclaven eine natürliche ist, 
und flir solche ist das Sclaveuthum nützlich so- 
wohl wie gerecht. 
Ge8«te- Dass jedoch auch die Vertheidiger der ent- g 

vpnthum. gegengcsctztcn Meinung, welche das Sclaventhumfür 
widernatürlich und ungerecht erTdärt, in gewissem 
Betracht Recht haben, lässt sich unschwer erkennen. 
Die Ausdrücke 'in Sclaverei sein^ und ^Sclave^, 
werden nämlich in zwiefachem Sinne gebraucht. 
Ausser dem natürlichen, giebt es auch noch einen 



1, 6. 19 

gesetzlicben Sclaven und zeitweilig in Sclaverei 
Befindlichen. Das Gesetz, um das es sich dabei 
handelt, ist die allgemeine Uebereinkunft, kraft 
welcher alles im Krieg Besiegte an die Sieger 
fallen soll. Gegen diesen Rechtssatz nun erheben 
viele unter den Rechtsgelehrten, gleichsam wie 
gegen einen Redner, der einen neuen Gesetzvor- 
schlag einbringt, die Anklage auf Gesetzwidrig- 
keit, da es empörend sei, wenn Einem, der ge- 
waltthätig zu sein vermag und bloss an Macht 
überlegen ist, der vergewaltigte Theil Sclave 
und botmässig sein soll. Bei dieser Frage schla- 
gen sich die Einen auf diese, die Anderen auf jene 
Seite; auch die Philosophen sind zwiespältig dar- 
über. Der Grund der Meinungsverschiedenheit 
und der gemeinsame Boden, auf dem die abwei- 
chenden Auffassungen sich bewegen, liegt darin, 
dass gewissermassen die innere Tüchtigkeit es 
ist, welche, wenn sie die äusseren Mittel erlangt, 
auch zur Gewaltthat am befähigtsten wird, und 
jegliche Uebermacht auf dem Vorzug in irgend 
einer guten Eigenschaft beruht, so dass die Ge- 
walt nicht jedes edleren Elements baar zu sein 
scheint und die Meinungsverschiedenheit also nur 
die Frage nach der Gerechtigkeit betrifft. Denn 
nun finden die Einen die Gerechtigkeit in wohl- 
wollender Behandlung, welche Sclaverei amschliesse ; 
den Anderen gilt eben diess für gerecht, dass 
der IJeberlegene Gebieter sei. Ständen sich hin- 



20 I, ß. 

gegen die Auffassungen in völliger Schroffheit ge- 
genüber, so dass nach der einen die bloss äussere^ 
brutale Gewalt, nach der anderen die innere Tuch- 
tigkeit d^n Anspruch auf Herrschaft begmnde, 
dann würde diejenige Auffassung, welche es be- 
streitet, dass der durch innere Tüchtigkeit bessere 
Mann Gebieter und Herr sein soll, gar nichts Trif- 
tiges oder auch nur Scheinbares für sich anführen 
können. Einige jedoch klammern sich gänz- 
lich an ein vermeintes empirisches Recht an, der- 
gleichen das Gesetz ist, und stellen die Kriegsscla- 
verei, bloss weil das Gesetz sie sanctionirt, als gerecht 
hin, sind jedoch gezwuugenin demselben Athem sie 
als ungerecht anzuerkennen. Denn erstlich kann 
der Anlass des Krieges ein ungerechter gewesen 
sein, und ferner wird man unter keinen Um- 
ständen von demjenigen, der den Sclavenstand 
nicht verdient, sagen wollen, er sei ein Sclave; 
sonst würde es darauf hinaus kommen, dass Leute, 
die für hochadelich gelten, Sclaven und von Scla- 
venstamm seien, wenn es sich nämlich einmal 
zugetragen hat, dass Mitglieder der Familie in 
Gefangenschaft geriethen und verkauft wurden. 
Deshalb wollen nun auch die Anhänger dieser 
Meinung die Bezeichnung Sclave nicht für Grie- 
chen ihresgleichen, sondern nur für Barbaren 
gelten lassen. Indem sie jedoch hierzu sich ver- 
stehen, schwebt ihnen das natürliche Sclaventhum 
vor, wie wir es vorhin geschildert haben. Denn 



1,6. 21 

nun sind sie gezwungen mü uns zu behaupten, 
dass von gewissen Menschenklassen die Einen 
überall, die Anderen nirgends Sciaven seien. — 
Aehnlich ist es mit dem Adel. Griechen ihres- 
gleichen gelten den Verfechtern dieser Ansicht 
nicht bloss in Griechenland, sondern allerorten 
illr adelich, die Barbaren dagegen bloss in ihrer 
Heimath, indem es Klassen gebe, von denen die 
eine schlechthin, die andere nur unter gewissen Be- 
schränkungen adelich und frei sei; in solchem 
Sinne lässt Theodektes seine Helena sagen: 

Aus beiden Wurzeln göttlichem Stamm Ent- 
sprossene, 

Wer möchte je sie wagen anzureden: Magd? 
Indem sie aber so sprechen, fülu-en sie bloss 
auf Trefflichkeit oder Verworfenheit den Unter- 
schied zwischen Sciaven und Freien, zwischen 
Adel und Nichtadel zurück, wobei vorausgesetzt 
wird, dass wie Mensch von Mensch und Thier 
von Thier, so auch von guten Eltern wieder ein 
guter Sohn herkommt. Nun will jedbch die Na- 
tur es zwar so machen, oft kann sie es aber nicht. 
Aus dem Gesagten ist es also klar, dass die 
Meinungsverschiedenheit in Betreff der Sclaverei 
eine in der Sache selbst begründete ist und nicht 
alle Sciaven und Freie es von Natur sind, dass 
hingegen für gewisse Menschenklassen allerdings 
eine solche Scheidung von Natur besteht, wo 
dann dem Einen das Sclaventhum und dem An- 



22 " 1,7. 

deren das Herrenthnm ebenso nützlich wie ge- 
recht ist und der Eine gebieten, der Andere ge- 
horchen soll in derjenigen Weise, die ihrer bei- 
derseitigen Natur gemäss ist, d. h. also auch in 
der Weise wie der Herr dem Sclaven gebietet. 
Geschieht diess nicht auf die richtige Art, so ist es 
gegen das Interesse Beider. Denn zwischen dem 
Theil und dem Ganzen, zwischen Körper und 
Seele besteht Gleichheit der Interessen ; der Sclave 
aber ist ein Theil des Herrn, gleichsam ein von 
derselben Seele belebtes, nur äusserlich geson- 
dertes Glied; deshalb findet auch zwischen 
Sclaven und Herrn eine gewisse Gemeinschaft der 
Interessen und gegenseitige Freundschaft statt, 
da wo das Verhältniss auf der natürlichen Be- 
stimmung fusst; wo es hingegen auf blosser 
Satzung und Gewalt beruht, findet da« Gegen- 
theil statt. 
^ Ferner ist es aus dem Gesagten klar, dass nicht, 7 
s. oben 8. 3. wic Einige behaupten, Herrenthum und Beamten- 
thum in einem Verfassungsstaat und überhaupt 
alle Arten von Herrschaft unter einander gleich 
sind. Denn das Beamtenthum ist eine Botmäs- 
sigkeit über Menschen, welche von Natur Freie, 
das Herrenthum über Menschen, welche von Na- 
tur Sclaven sind.' Auch ^wischefi der Herrschaß 
des Hattsvaters und des Beamten besteht ein we- 
sentlicher Unterschied. Die erstere ist unum- 
schränkte Monarchie; denn jedes Haus wird un- 



1, 7. . 23 

I 

umschränkt von Einem Oberhaupte regiert; die 
des Beamten hingegen ist eine Herrschaft über 
Freie und unter sich wie dem Beamten Gleich- 
berechtigte. — Sonach ist es nicht richtig, das 
charakteristische Merkmal des Herrn mit Piaton 
in einer 'Wissenschaft^ zu suchen, vielmehr liegt 
es in seiner natürlichen Beschaffenheit, ebenso 
wie bei dem Sclaven und dem Freien. 'Wissen- 
schaft' kann es flir den Sclaven nicht minder als 
flir den Herrn geben, z. B. ist das eine Sclaven- ^^^Jf^ht 
Wissenschaft, welche Jener in Syrakus lehrte. 
Da gab es nämlich einen Menschen, der für Geld 
die Sclaven in der gewöhnlichen Bedientenarbeit 
unterwies. Solcherlei Belehrung lässt sich nun 
auch noch weiter ausdehnen, z. B. Kochlehre und 
wie die anderen ähnlichen Arten von Bedienten- 
verrichtung heissen. Eines besonderen Unterrichts 
unwerth sind diese Dinge nicht. Man darf nicht 
denselben Maasstab an die verschiedenen Arten 
von Arbeit anlegen; ist diese geschätzter als jene, 
so ist jene dafür wieder unentbehrlicher als diese ; 
und dass stoischen einem rohen und einem unter- 
richteten Sclaven ein Unterschied sei, sagt schon 
das Sprichwort: 'Nicht gleicht sich Sclav und 
Sclav, nicht gleicht sich Herr und Herr\ Alles 
der Art also ist Sclavenwissenschaft. Die Herren- 
wissenschaft wiederum lehrt, wie man die Sclaveh 
zu gebrauchen habe; denn der Herr ist nicht da- 
durch Herr, dass er sich Sclaven erwirbt, son- - 



24 1, 8. 

dern dadurch, dass er sie gebraucht. Diese Wis- 
senschaft hat jedoch nichts Grosses noch Erha- 
benes an sich; sie besteht bloss darin: was der 
Sclave zu thun wissen muss, muss der Herr zu 
befehlen wissen. -Daher wird auch, wenn die 
Herren so gestellt sind, dass sie sich nicht selbst 
abzuplagen brauchen, einem Verwalter diese Ehre 
übertragen, die Aufsicht über die Sclaven zuführen, 
und die Herren selbst widmen sich dann den 
Staatsgeschäften oder den Wissenschaften. — Die 
Lehre von dem Erwerb der Sclaven ist von den 
beiden genannten Herren- und Sclavenwissen- 
schaften verschieden; die Lehre vom gerechten 
Sclavenerwerb z. B., welche sich auf die Unter- 
werfung der von Natur eur Sclaverei bestimmten 
Menschen bemeht, streift an die Lehre vom Krieg 
oder von der Jagd. — Diese Auseinandersetzungen 
mögen also gentigen für das Verhältniss von 
Sclave und Herr. 
Lehre vom Zuuächst wollcu wir uuu allgemein alle Theile 8 
des Besitzstandes und die Finanzkunde betrachten, 
dem Gange gemäss, den unsere Darstellung ge- 
nommen hat; denn der Sclave erwies sich ja als 
ein Theil des Besitzstandes. — Zuvörderst kann 
die Frage aufgeworfen werden, ob die Finanz- 
kunde mit der Hauswirthschaftskunde identisch, 
oder ein Theil derselben, oder vorbereitend flir 
sie sei, und, wenn vorbereitend, ob sie es sei wie 
die Webschiflftnacherei ttir die Webekunst, oder 



1, 8. 25 

80 wie das Erzschmieden Itir die Bildhauerei. 
Denn diese Arten, der Vorbereitung sind verschie- 
den; der Webschiflfmacher liefert Werkzeuge, der 
Erzschmid den StoflF. Stoff nenne ich hier alles 
Material, aus welchem durch Arbeit Etwas' ge- 
macht wird, wie Wolle tlir den Weber, Erz fllr 
den Bildhauer. Dass nun die Finanzkunde nicht 
mit der Hauswirthschaftskunde identisch ist, 
leuchtet alsbald ein; denn jene bezieht sich auf 
das Herbeischaffen, diese auf das Gebrauchen. 
Die Lehre von dem Gebrauch des im Hause Vor- 
handenen wird man doch keiner anderen Disci- 
plin als der Hauswirthschaftskunde zuweisen 
können. — Ob dagegen die Finanzkunde ein 
Theil der Hauswirthschaftskunde, oder der Art 
nach von ihr verschieden sei — diese Frage lässt 
abweichende Auffassungen zu. Wenn nämlich 
der Finanzkundige ermitteln soll, wie man zu 
Geld und Besitz gelange, so befassen doch wie- 
derum die Begriffe Besitz und Reichthum meh- 
rere Arten in sich, und es entsteht demnach gleich 
z. B. in Betreff der Ackerbaukunde die Frage: 
ist sie ein Theil der Finanzkunde, oder der Gat- 
tung nach von ihr verschieden? und so kann 
man auch allgemein fragen in Betreff jeder 
Thätigkeit und jedes Besitzes, die in der Nah- 
rung ihr Ziel finden. Nun giebt es jedoch viel- 
fache Arten der Nahrung und daher auch viel- 
fache Lebensweisen der Thiere wie der Menschen, 



26 



1,8. 



Mensch- 
liche 
Lebens- 
wei«€ii. 



Denn Leben ohne Nahrung ist unmöglich, und so 
musten demnach die Verschiedenheiten der Nah- 
rung zu entsprechenden Verschiedenheiten der Le- 
bensweisen unter den Geschöpfen fiihren. Die Thiere 
leben heerdenweise oder zerstreut, je nachdem das 
Eine oder das Andere fllr ihre Nahrung ntit^t; denn 
Einige sind fleischfressend, Andere pflanzenfres- 
send. Andere wieder fressen Alles; und die Natur 
hat ihnen nun ihre Lebensweisen zugetheilt mit 
Rücksicht auf das bequeme Erlangen ihres Bedarfs. 
Durchschnittlich leben' die pflanzenfressenden Thiere 
in Heer den, die fleischfressenden zerstreut. Da jedoch 
nicht Allen dasselbe, sondern dem Einen diess 
dem Anderen jenes von Natur zusagt, so weichen 
auch wiederum innerhalb der fleischfressenden und 
der pflanzenfressenden Klasse die Lebensweisen 
von einander ab. Ebenso ist es nun auch bei 
den Menschen; ihre Lebensweisen sind sehr ver- 
schieden. Die Trägsten fiihren ein umherziehendes 
Hirtenleben. Mühelos gewähren ihnen, ohne dass 
sie arbeiten, die zahmen Thiere was sie zur Nah- 
rung brauchen ; nur, weil das Vieh um der Weide- 
plätze willen den Ort wechseln muss, sind auch 
sie genöthigt mitzugehen ; sie treiben^ gleichsam 
einen lebendigen Landbau. Andere leben von 
der Jagd, und zwar die Einen von dieser, die 
Anderen von jener Art Jagd; entweder vom Raube, 
oder vom Fischfang — nämlich alle Anwohner der 
Seen, Sümpfe, Flüsse, fischreichen Meere — oder 



1, 8. 27 

von der Vogeljagd, oder der Wildjagd. Der grösste 
l'heil der Menschen lebt jedoch von der Erde 
und den Culturfrüchten. So viel ungefähr an 
der Zahl sind also die menschlichen Lebensweisen, 
diejenigen nämlich, welche auf Ausbeutung von 
Naturerzeugnissen beruhen und sich nicht durch 
Tausch und Krämerhandel die Nahrung schaffen: 
umherziehendes Hirtenleben , Ackerbauerleben , 
Räuberleben, Fischerleben, Jägerleben. Einige 
mischen auch diese Lebensweisen unter einander, 
um angenehmer zu leben, indem sie die mangel- 
haftere Lebensweise nach der Seite, wo sie keine 
völlige Befriedigung bietet, durch eine andere 
ergänzen; so führen z. B. Einige zugleich ein 
Hirten- und ßäuberleben. Andere ein Ackerbauer- 
und Jägerleben; ebenso werden die übrigen Le- 
bensweisen mit einander verbunden. Kurz, wie 
das Bedürfniss zum Verbinden verschiedener Le- 
bensweisen treibt, so richten die Menschen sich 
ein. — Besitz der geschilderten Art nun, welcher 
sum Behuf der Nahrung dient, ist offenbar allen 
Wesen von der Natur gegeben, die damit nur 
für das ausgewachsene Geschöpf fortsetzt, was 
sie gleich anfänglich bei der Geburt gethan. Denn 
gleich bei der Geburt wirft ein Theil der Thiere, 
z. B. alle Eierleger und Wurmleger, zugleich mit 
dem Jungen so viel Nahrung als dieses bis zu 
der Zeit braucht, wo es selbst sie sich schaffen 
kann; und die Säugethiere führen für eine ge- 



28 1, 8. 

wisse Zeit die Nahrung des Jungen bei sich, 
den' Stoff nämlich, den wir Milch nennen. In 
gleicher Weise muss man also auch annehmen, 
dass die Pflanzen der Thiere wegen und die 
Thiere zum Nutzen der Menschen vorhanden sind, 
die zahmen zum Gebrauch als Hausthiere und 
zur Nahrung, die wilden, wo nicht alle, so doch 
die meisten, zur Nahrung und zu sonstiger Ver- 
wendung, dass sie Stoff zu Kleidern und anderem 
Geräthe liefern. Wenn also die Natur nichts 
unvollkommen schafft — es wäre aber eine ün- 
voUkomnienheit, wofern sie für die Ernährung des 
Erwachsenen nicht gesorgt hätte — und wenn sie 
ferner nichts zwecklos schafft, was gescJhehen 
würde, wenn die wilden Thiere nicht für den Men- 
schen nutzbar toürden, so folgt nothwendig, dass 
die Natur alle die genannten Geschöpfe um der 
Menschen willen geschaffen hat. Daher wird auch 
nach gewisser Seite die Kriegskunde als eine 
natürliche Erwerbskunde gelten mtissen. Denn 
zur Kriegskunde gehört auch die Jagd, und diese 
muss man anwenden gegen die wilden Thiere 
und gegen diejenigen Menschen, welche ihre na- 
türliche Knechtsbestimmung zu erfüllen sich wei- 
gern, da solcher Krieg dem Rechte der Natur 
gemäss ist. — Eine Art der Besitzkunde ist also 
ein naturgemässer Theil der Hauswirthschafts- 
kunde, insofern nämlich entweder von vornherein 
vorhanden sein müssen oder die Hauswirthschafts- 



T, 9. 29 

künde veranstalten muss, dass vorhanden seien 
die Mittel zur Aufspeicherang eines Vorraths von 
zum Leben unentbehrlichen und für die staat- 
liche oder häusliche Gemeinschaft dienlichen Ge- 
genständen. Aus solchen Dingen scheint auch 
wirklich der wahre Reichthum zu bestehen. Denn 
von solchem Besitz ist das zum guten Leben ge- 
nügende Maass nicht unbegrenzt, wie Solon in 
seinem Verse meint: 'Grenze dem Reichthum ge- 
steckt will keine den Menschen erscheinen'. Aller- 
dings ist sie gesteckt, Itlr den Erwerb des Reich- 
thums so gut wie bei allen anderen Werkthätig- 
keiten. Denn in keiner Werkthätigkeit ist das 
Werkzeug an Zahl und Umfang unbegrenzt, und 
der Reichthum ist nur eine Anzahl häuslicher 
und staatlicher Werkzeuge. — Aus dem Gesagten 
ist es also klar, dass und weshalb eine gewisse Art 
von Erwerbskunde naturgemäss in den Bereich 
des Hauswirthes und Staatsmannes gehört. 
9 Es giebt jedoch noch eine andere Gattung ijehre vom 
von» Erwerbskunde, die man meistens und auch ^^^'**'- 
passend Finanzkunde nenpt; diese ist schuld an 
der Meinung, es gebe ftir Reichthum und Besitz 
keine Grenze. Viele halten sie mit der bisher 
besprochenen Erwerbskunde, weil sie ihr so nahe 
steht, für identisch. Identisch ist sie nun freilich 
nicht, jedoch auch nicht weit abliegend. Die be- 
sprochene Erwerbskunde war eine natürliche, die 
Finanzkunde ist nicht natürlich, sondern kommt 



30 1.9. 

Tiefanehrdiireh Fertigkeit nnd Konsul zu Stande. Bei 
ihrer Enlrtenmg wollen wir von tV»l^nden Sitzen 
aas^hen: Jedes Ber^itzstnek lässt eine doppelte 
Art Ton Benützung zn^ die beide zwar substan- 
tiell, aber nicht in gleichem Maos^se substantiell 
»^ind, indem das eine Mal der Cregenstand zu sei- 
nem eigentlichen, das andere Mal nicht zu seinem 
eigentlichen Zwecke benutzt wird, z. B. Anziehen 
und Vertauschen eines Schuhes. Beides sind 
Schuhbenutzungen. Denn auch der, welcher ihn 
an einen Schuhbedurftigen für Creld oder Nah- 
rungsmittel vertauscht, benutzt den Schuh als 
Schuh, jedoch nicht zu seinem eigentlichen Zwecke, 
da ja seine wesentliche Bestinminng nicht ist, 
yertauscht zu werden. Dasselbe findet nun auch 
Ijei den übrigen Besitzstneken statt. Denn der 
Tauschhandel erstreckt sich auf alle Dinge, und 
zwar entwickelte^ er sich zuerst naturgemäss dar- 
aus, dass die Mensehen von dem Einen mehr, 
von dem Anderen weniger haben als sie brauchen. 
Hieraus folgt auch, dass der Krämerhandel kein 
natorgemässer Theil des Tausehhandels ist. Denn 
wäre er es, so müssten die Krämer nur ftir ihren 
persönlichen Bedarf eintauschen. In der ersten 
Stufe der Gemeinschaft nun, d. h. dem Hanse, 
ist Air den Tauschhandel offenbar kein Raum, 
sondern erst wenn die Gemeinschaft eine griissere 
Zahl von Mitgliedern nmfasst. Denn ftir die 
Hausgenossen erstreckte die Genieinsehaft sich 



1,9. 31 

auf alle Theile eines und desselben Besitzstandes; 
in den entwickelteren Formen der Gemeinschaft 
ist aber für viele Dinge wieder Trennung des 
Besitzes eingetreten, und dem Einen fehlt dieses, 
dem Anderen jenes. Diesen Bedürfnissen gemäss 
muss nun ein gegenseitiger Austausch entstehen, 
so wie noch heutzutage viele barbarische Stämme 
den Tausch betreiben ; sie tauschen nämlich ledig- 
lich die Naturalien gegen einander aus, geben und 
nehmen z. B. Wein für Korn u. s. w. Ein sol- 
cher Tauschhandel nun ist weder widernatürlich, 
noch bildet er einen Theil der Finanzkunde; 
denn seine Bestiminung ist nur, das zur vollen 
naturgemässen Befriedigung Fehlende zu ergänzen. 
Aber allerdings hat sich aus ihm die Finanzkunde 
folgerichtig entwickelt. Da man nämlich immer ^^if.^eid- 
mehr von dem Auslande abhängig ward durch 
Einfuhr dessen woran man selbst Mangel, und 
Ausfuhr dessen woran man Ueberfluss hatte, so 
gerieth man nothwendig auf den Gebrauch der 
Münze. Denn nicht alle Gegenstände unentbehr- 
lichen natürlichen Bedarfs lassen sich leicht von 
Ort und Stelle schaffen. Man kam daher zum 
Behuf der Tauschgescbäfte unter einander über- 
ein, etwas der Art zu nehmen und zu geben, 
was an sich brauchbar und zugleich handlich 
zum Tragen sei, z. B. Eisen und Silber und 
welche Stoffe etwa noch sonst diese Eigenschaften 
haben; anfänglich bestimmte man die einzelnen 



münze. 



32 1, 9. 

Stücke einfach nach Grösse und Gewicht, endlich 
schlug man auch einen Stempel darauf, der des 
Messens und Wagens tiberhebe.if sollte; denn der 
Stempel wurde als Bezeichnung der Quantität 
des Münzstticks eingeflihrt. Als nun so der Mtinz- 
gebrauch aus dem Tausch der nothwendigen 
Lebensbedürfnisse entstanden war, da ersVkam 
die andere Art der Finanzkunde auf, das Krämer- 
wesen ; zuerst mag es vielleicht einfach gewesen 
sein; mit wachsender Erfahrung jedoch bildete 
es sich mehr und mehr zu der Kunstfertigkeit 
aus, wo und wie etwas umgesetzt werden müsse 
um den grössten Gewinn abzuwerfen. — So hat 
sich denn die Meinung festgesetzt, dass die Finanz- 
kunde es vornehmlich mit dem gemünzten Gelde 
zu thun habe und ihre Aufgabe darin bestehe, 
zu ermitteln, wie man zu vielem Gelde kommen 
könne; sie sei aber eine Erzeugerin des Reich- 
thums, weil des Geldes. Häufig nämlich setzen 
die Leute den Reichthum in eine Menge Geld- 
münze, weil darauf die Finanzkunde und das 
Krämerwesen gerichtet sind. Dann aber scheint 
ihnen die Geldmünze wiederum lauter Tand zu 
sein und durchaus nur conventionell; an sich 
sei sie gar nichts, weil bei einer Münzverände- 
rung sie werthlos und zu keinem der nothwen- 
digen Lebensbedürfnisse zu gebrauchen "sei; ein 
reicher Geldmünzebesitzer könne oft in den Fall 
kommen, die nothwendigste Nahrung zu entbehren; 



1, 9. 33 

und das sei doch ein seltsamer Reichthum, dessen 
Inhaber Hungers sterben könne, gleich jenem 
Midas in der Sage, welchem in Folge seines 
unersättlichen Goldwunsches alle aufgetragenen 
Speisen sich in Gold verwandelten. Deshalb su- 
chen sie dann für. Finanzkunde und Reichthum 
einen anderen Inhalt auf, und daran thun sie 
wahrlich recht. Denn allerdings, naturgemäss 
ist Finanzkunde und Reichthum etwas von dem 
gewöhnlich dafür Geltenden Verschiedenes. Die 
naturgemässe Finanzkunde gehört zum Hauswesen ; 
die andere gehört zum Krämerwesen, macht 
Geld, nicht überhaupt, sondern nur durch Um- 
satz. Diese letztere richtet sich auch wirklich 
bloss auf das gemünzte Geld. Denn die Geld- 
münze ist das Element und das Ziel des Han- 
delsumsatzes. Auch ist der Reichthum, welchen 
diese letztere Finanzkunde schafft, in der That 
unbegrenzt, wie es in dem Solonischen Verse hiess. s.obens.29. 
Wie nämlich von der Arzneikunde die Gesund- 
heit, und von allen Kunstfertigkeiten ihr Zweck 
bis ins Unbegrenzte verfolgt wird — denn sie 
wollen ihn ja so sehr als möglich hervorrufen — 
dagegen das Zweckdienliche nicht bis ins Unbe- 
grenzte, denn für dieses bildet ja überall der 
Zweck die Grenze : so hat auch die krämerhafte 
Finanzkunde keine Grenze für ihren Zweck, 
und ihr Zweck ist eben Geldreichthum und Geld- 
besitz; dagegen hat die hauswirthschaftliche Fi- 

3 



34 1, 9. 

nanzkunde wohl eine Grenze, da ja ihre Aufgabe 
nicht darin besteht, Geld zu sammeln, sondern 
für den Bedarf des Hatises 0u sorgen. Sonach 
ist es klar, dass für die eine Art von Finanzkunde, 
nämlich die hauswirthschaftliche , nothwendig 
jeder Reichthum eine Grenze haben muss. In 
^raSft^" ^^^ Wirklichkeit jedoch sehen wir das Gegen- 
theil eintreten ; alle Financiers. ohne Ausnahme 
suchen ihr MtinzgeM grenzenlos zu vermehren. 
Der Grund liegt in der nahen Berührung zwi- 
schen den beiden Arten von Finanzkunde. Da 
nämlich beide denselben Gegenstand haben, so 
spielen die Behandlungsweisen in einander über. 
Beide sollen dieselbe Gattung von Besitz behan- 
deln, das Geld nämlich^ aber sie sollen es nicht 
in derselben Weise thun, sondern die hauswirth- 
schaftliche Finanzkunde hat ihren anderweitigen 
Zweck, die krämerhafte sieht ihn in immer grös- 
serer Vermehrung des Geldes. Diesen Zweck 
der krämerhaften hält nian nun auch fälschlich 
flir den Zweck der hauswirthschaftlichen Finanz- 
kunde und lässt nicht ab von der Meinung, man 
müsse sein Vermögen an baarem Gelde vermehren 
oder wenigstens zusammenhalten. Es entsteht 
aber diese Richtung daher, dass man nur auf 
Leben und nicht auf Gutleben ausgeht; und da 
nun die blosse Lebenslust keine Grenze hat, so 
begehrt man auch die Mittel zu ihrer Befriedi- 
gung in grenzenloser Menge. Und selbst diejenigen. 



1, 9. 35 

welche ihr Augenmerk auf Gutleben richten, 
suchen das Gutleben nicht im sittlichen Leben, 
sondern wollen sich Mittel zu den leiblichen Ge- 
nüssen verschaffen, und da diese Mittel im Besitz 
offenbar enthalten sind, so richtet sich alles 
Dichten und Trachten auf den Gelderwerb; und 
auf diesem Wege also hat sich die zweite Art 
der Finanzkunde, die krämerhafte, verbreitet. 
Denn da solcher leiblicher Genuss auf Ueberfluss 
beruht, so sieht man sich nach derjenigen Fertig- 
keit um, welche diesen genussreichen Ueberfluss 
verschafft. Kann man es mittelst der Finanz- 
kunst nicht bestreiten, so versucht man es auf 
anderem Wege, und gebraucht der Reihe nach 
jedes menschliche Vermögen zu widernatürlichem 
Zweck. Sache der Tapferkeit ist es nicht, Geld 
zu schaffen, ebensowenig Sache der Kriegs- und 
Arzneikunst; sondern die Tapferkeit soll Muth, 
die Kriegskunst Sieg und die Arznei kunst Ge- 
sundheit schaffen. Aber die Leute machen sie 
alle zu Finanzkünsten, als sei Geld das höchste 
Ziel, und dem höchsten Ziel müsse ja natürlich 
alles Andere entgegenkommen. — Hiermit ist 
also erstlich die von keiner Nothwendigkeit ge- 
botene Finanzkunde besprochen, was sie sei und 
weshalb man ihrer jetzt doch nicht entrathen 
mag, und ferner die unentbehrliche Finanzkunde, 
von 4er es sich ergab, dass sie, als auf Herbei- 
sehaffung der Nahrung gerichtet, von der ersteren 



36 1,10. 

verschieden, naturgemäss zur Hauswirthschaft 
gehörig, nicht wie jene unbegrenzt sei, sondern 
in dem Bedarf des Hauses ihre Begrenzung habe. 
Auch ist hiermit die zu Anfang aufgeworfene 10 
s. oben S.24. Frage entschieden, ob die Finanzkunde zum Be- 
ruf des Hauswirths und des Staatsmannes ge- 
höre oder nicht gehöre und der Gegenstand, 
auf den sie sich richtet, vielmehr von vorn herein 
vorhanden sein müsse; denn — Jcann man ^ur 
Begründung dieser letzteren Meinung sagen — 
wie die .Staatskunst nicht die Menschen schaffe, 
sondern sie aus der Hand der Natur empfange 
und nur behandle, so müsse auch die Natur zur 
Nahrung des Menschen den Erdboden, die See 
oder was sonst anweisen; dem Hauswirth liege 
es nur ob, die aus diesen Quellen zu gewinnen- 
den NahrungsstoflFe in gehöriger Weise zu ver- 
walten; auch der Weberkunst Sache sei es ja 
nicht, die Wolle zu machen, sondern sie zu ge- 
brauchen und zu wissen, welche Wolle gut und 
tauglich, welche schlecht und untauglich sei; 
wollte man die Finanzkunde, weil sie es mit dem 
Unterhalt des Hauses 0u thun habe, flir einen 
Theil der Hauswirthschaft erklären, so sei die 
Frage gerechtfertigt, warum von der Arzneikunde 
nicht dasselbe gelten soll ; Gesundheit sei ja fllr 
die Hausgenossen so gut nöthig wie Lebens- 
unterhalt oder sonst ein unentbehrliches Bedürf- 
niss. — Hiergegen ist zu sagen: Allerdings ist 



1, 10. 37 

es in gewissem Betracht Sache des Hauswirths 
und überhaupt jedes Regenten, für die Gesund- 
heit der Untergebenen zu sorgen, in anderem 
Betracht freilich ist es wieder nicht ihre, sondern 
des Arztes Sache; ebenso fällt die Sorge flir 
Geldmittel in gewissem Betracht demHauswirth 
zu, in anderem Betracht wiederum gehört sie 
in ein besonderes, flir die Hauswirthschatl vor- 
bereitendes Gebiet. Zumeist freilich muss das 
Nöthige von der Natur geliefert werden ; wie es 
ja allgemeine Regel der Natur ist, dem neuge- 
borenen Geschöpf seine Nahrung aus dem Resi- 
duum seines BildungsstoflFes zu gewähren. Sonach 
ist denn auch flir alle Menschen die Benutzung 
der Naturerzeugnisse, wie Erdfrüchte und Thiere, 
eine auf die Natur gegi'ündete Finanzkunde. -— Von 
den beiden Arten der Finanzkunde ist die eine, 
wie gesagt, krämerhaft, die andere hauswirth- 
schaftlich; diese letztere ist nothwendig und 
steht in gutem Ruf; die handelsgeschäftliche ist 
mit Recht tibelberufen, denn ihr Erwerb ist kein 
naturwüchsiger, sondern ^iner, den die Menschen 
gegenseitig von einander gewinnen; und mit 
bestem Grunde ist der Zinswucher verhasst, weil ^wucheT 
er das Geldstück selbst, in einer dessen Bestim- 
mung verkehrenden Weise, zum Erwerbmittel 
macht. Denn eingefiihrt wurde es zum Behuf 
des Tausches, der Zins aber will das Geldstück 
als solches vervielfachen. Daher wird auch in 



38 1, 11. 

der griechischen Sprache der Zins mit dem Wort 
'Geburf bezeichnet. Denn wie die Geburten ihren 
Erzeugern ähnlich sind, so ist auch der Zins ein 
vom Geldstück geborenes Geldstück. Diese Finanz- 
art ist also auch die am meisten widernatürliche. 
Praktische Nachdem nun so die für das theoretische 11 

r inanz- 



kunde. 



Erkennen nöthigen Gesichtspunkte in ausreichen- 
der Weise festgesetzt worden, ist noph das die 
praktische Anwendung Betreffende zu berühren. 
Hierbei darf man nie vergessen, dass in all der- 
gleichen Dingen die theoretische Betrachtung 
zwar ungebunden ist, die Ausführung aber sich 
den zwingenden Umständen fligen muss. — Prak- 
tische Theile der Finanzkunde sind nun : erstlich, 
dass man vom Viehstand Erfahrung habe, welche 
Viehgattung in welcher Gegend und in welcher 
Weise die einträglichste sei, z. B. welcherlei Be- 
sitz von Pferden oder Rindern oder Schaafen 
u. s. w. Man muss nämlich nicht bloss darin er- 
fahren sein, welche Viehgattung überhaupt im 
Vergleich mit anderen, sondern auch, welche in 
welcher Gegend am meisten eintrage, da die 
eine Gattung nur in diesem, die andere nur in 
jenem Lande gedeiht. Zweitens muss man in der 
Bodenbestellung erfahren sein, sowohl in dem 
Ackerbau als in dem Wein- und Oelbau und 
überhaupt der edleren Baumzucht, ferner in der 
Bienenzucht und in der Behandlung der nutz- 
baren Fische und Vögel. Diess also sind die wesent- 



1,11. 39 

lichsten Theile der am meisten ursprünglichen 
Finanzkunde. — Von der tauschenden Finanz- 
kunde ist der bedeutendste Theil der Handel; 
er zerfallt in drei Arten: Grosshandel, Transito- 
handel, Kleinhandel, die sich darin unterscheiden, 
dg^ss dieser gefahrloser ist als jener, jener wiederum 
einen grösseren Gewinn abwirft als dieser. Die 
zweite Stelle nimmt in dieser tauschenden Fi- 
nanzkunde der Geldwucher ein, die dritte der 
Lohnverdienst, theils von den gemeinen Handwer- 
ken, theils von solchen Verrichtungen, die gar keine 
Fertigkeit verlangen, sondern in bloss körper- 
licher Leistung bestehen. — Die dritte Art der 
Finanzkunde liegt in der Mitte zwischen der 
ersten und der zweiten; sie hat nämlich etwas 
von der naturgemässen und etwas von der tau- 
schenden Finanzkunde an sich, insofern sie zwar 
auf die Erde und die Erderzeugnisse sich richtet, 
jedoch auf solche , die nicht als Früchte zu ge- 
niessen, sondern anderweitig äu gebrauchen sind, 
z. B. ,der Holzschlag und jede Art von Gruben- 
bearbeitung. Diese letztere umfasst nun wieder 
viele Unterarten, entsprechend den vielföltigen 
Stoffen, die aus der Erde gegraben werden. — 
Im Allgemeinen genügt für jeden der erwähnten 
Theile der Finanzkunde das hier darüber Ge- 
sagte; genau ins Einzelne zu gehen, mag für die 
Geschäfte selbst nützlich sein, aber es ist pein- 
lich, sich dabei aufzuhalten. Zusammenfassend 



40 1, 11. 

kann man sagen, dass die kunstmässigsten Ge- 
schäfte diejenigen sind, welche am wenigsten 
dem Zufall tiberlassen, die unschönsten diejenigen, 
welche den Körper am meisten verunstalten, die 
sclavischsten diejenigen, welche am meisten rein 
körperliche Verrichtung verlangen, die unedelsten 
diejenigen, welche am wenigsten von sittlicher 
Tüchtigkeit abhängen. — Es sind über jene 
Theile der Finanzkunde manche Schriften ver- 
tasst, z. B. von Chares aus Faros und Apbllodoros 
aus Lemnos über die Bodenbestellung, sowohl 
r über den Ackerbau als über Wein- und Oelbau, 
von Anderen über andere Theile; wem es also 
darum zu thun ist, der mag sich aus diesen 
Schriften Raths erholen. Ausserdem sind noch die 
zerstreuten Erzählungen, wie manche Financiers 
ihr Glück gemacht, zusammenzutragen ; denn all 
dergleichen ist für die Verehrer der Finanzkunde 
zu brauchen; z. B. die Erzählung von dem Mile- 
Thaies. sier Thaies; das ist so eine Finanz-Speculation; 
wegen seiner bekannten Weisheit legt man sie 
gerade dem Thaies bei, aber es giebt sich darin 
^ ein allgemein anwendbares Verfahren zu erken- 
nen. Man soll ihm nämlich einst seine Armuth 
vorgeworfen haben, die beweise, wie nutzlos die 
Philosophie sei. Da habe er nun, weil er aus der 
Beobachtung der Gestirne erkannt hatte, dass es 
ein gutes Oeljahr ^eben werde, noch zur Winters- 
zeit das wenige Geld was er besass als Hand- 



1,11. 41 

gelder für alle Oelmtihlen in ganz Milet und 
Chios ausgethan, die er um ein Geringes pach- 
tete, da Niemand mit ihm bot. Als nun die Oel- 
zeit kam und plötzlich von allen Seiten grosse 
^S^achfrage nach Oelmühlen entstand, habe er sie 
so hoch es ihm beliebte wieder verpachtet, grosse 
Summen auf diese Art verdient und den Beweis 
geliefert, dass die Philosophen leicht reich werden 
können, wenn sie wollten, dass diess jedoch nicht 
das Ziel sei, woraufsie sich verlegen. Von Thaies 
also wird es insbesondere erzählt, dass er auf diese 
Art eine Probe seiner Weisheit gegeben habe. Aber, 
wie gesagt, dergleichen ist allgemeine Finanzregel, 
sich wo möglich ein Monopol zu verschaffen. 
Daher pflegen auch manche Staaten, wenn sie 
in Finanznoth gerathen, diess zu einer Einnahme- 
quelle zu machen und Waarenmonopole einzu- 
lUhren. In Sicilien that Jemand etwas Äehnliches 
auf eigene Hand^ ohne sich von der Behörde ein 
Monopol geben bu lassen. Er kaufte mittelst einer 
bei ihm deponirten, Geldsumme alles Eisen aus 
den Eisengruben zusammen, und als nun die 
Kauf leute aus den fremden Handelsplätzen kamen, 
verkaufte er ohne Concurrent, mit einem nur 
kleinen Aufschlag auf den gewöhnlichen Preis. 
Dennoch gewann er zu den fttnfzig Talenten, 
die er angelegt hatte, noch hundert hinzu. Als 
Dionysios davon hörte, befahl er, man solle ihn 
das Geld nur mitnehmen lassen, der Mann selbst 



42 I, 12. 

aber dürfe nicht länger in Syrakus bleiben, weil 
er Einnahmequellen entdeckt, die seinen eigenen 
Interessen zum Schaden gereichten. Das Ftlnd- 
lein des Thaies nun und das dieses Siciliers ist 
ein und dasselbe. Beide nämlich wussten in ge- 
schickter Weise zu einem Monopol zu gelangen. — 
Von diesen Dingen Kenntniss zu nehmen, ist auch 
den Staatsmännern nützlich. Denn fiir viele Staaten 
sind wie für einen Hausstand, jedoch in grösserem 
Umfang, Finanzgeschäfte und dergleichen Ein- 
nahmequellen nöthig. Daher giebt es auch Politiker, 
deren ganze Politik bloss hierin besteht. 

Von den drei Theilen der Hauswii|bbschafts- 12 
künde war einer das Herrenverhältniss, welches 
früher besprochen worden, ein anderer das Vater- 
verhältniss, der dritte das Eheverhältniss. Die 
Berechtigung, jedes dieser beiden letzteren Ver- 
liältnisse als besonderen Theil auf zufassen ^ liegt 
Behand- darin, dass die Botmässigkeit über die Hausfrau 

lung der ' ^ 

derKinde^r. ^^^ übcr , dic Kludcr zwar beidemal wie über 
freie Personen ausgeübt werden muss, aber doch 
nicht in derselben Form , sondern die übe^ die 
Hausfrau wie von einem Beamten im Verfassungs- 
staat, die über die Kinder wie von einem König. 
Dass beide, Hausfrau und Kinder, dem Haus- 
Viüer untergeben sein müssen, folgt daraus, dass 
der Mann in normalem Zustande von Natur zur 
Leitung mehr berufen ist als das Weib und der 
Aeltere und Reife mehr als der Jüngere und 



1, 12. 43 

Unreife. Wefin nun femer die BotmässigJceit über 
die Frau mit der eines Beamten im Verfassungs- 
staat verglichen vmrde, so findet zwar lUr die 
meisten Aemter des Verfassungsstaates ein ab- 
wechselnder Tausch von Gebieten und Gehorchen 
unter den Bürgern Statt, weil nach dem Staats- 
princip natürliche Gleichheit aller Bürger vor- 
ausgesetzt wird und keinerlei politischer Unter- 
schied zwischen ihnen bestehen soll. Dennoch 
sucht man für die Zeit der Amtsdauer durch die 
Tracht, durch die Form der Anrede, durch son- 
stige Ehrenbezeugungen einen Unterschied zwi-^ 
sehen Beamten und Nichtbeamten festzustellen — 
ein Verhältniss innerer Gleichheit und äusseren 
Würdenunterschiedes, wie es Amäsis gelegentlich 
des zu einem Götterbilde umgeschmolzenen gol- 
denen Fussbeckens aussprach. [Herodot 2, 17 2\ 
So nun wie der Beamte sich während seiner 
Amtszeit zu dem einfachen Bürger verhält, ver- 
hält allezeit sich der Mann zum Weibe. — Die 
Botmässigkeit über die Kinder wurde mit der 
königlichen verglichen. Denn die Herrschaft der 
Eltern beruht auf Liebe und Ehrfurcht, und 
darauf beruht ihrem Begriflf nach auch die Königs- 
herrschaft. TreflFend hat demnach Homeros den 
Zeus -benannt, wenn er 'Vater der Menschen 
und Götter' sagt, um den König aller dieser 
menschlichen und göttlichen Wesen zu bezeich- 
nen. Der König nämlich soll durch einen natür- 



44 I, 13. 

liehen Untersehied hervorragen, und doch den 
Untergebenen gattungsgleich sein ; und in solchem 
Verhältniss steht ja der Aeltere zu dem Jüngeren 
und der Erzeuger zu dem Kinde. 

Von vorn herein ist es nun klar, dass die 13 
Hauswirthschaftskunde mehr Sorgfalt auf die 
Menschen wenden muss, als auf den leblosen Be- 
sitz und auf die Tugend der Menschen mehr als 
auf die Trefflichkeit des Besitzes, d. h. den 
Reichthum, und wiederum mehr auf die Tugend 
der Freien als auf die der Sclaven. Da kann 
^sfiTvtn.^^ nun aber gleich die Frage aufgeworfen werden, 
ob es für den Sclaven, ausser seiner Tüchtigkeit 
als allgemeines Werkzeug und zu Bedientenleis- 
tungen, noch eine höhere Tugend gebe, z. B. Massig- 
keit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und sonst eine 
von den übrigen ähnlichen Eigenschaften, oder ob 
er, abgesehen von den bloss körperlichen Dienst- 
verrichtungen, keinerlei Tugend besitzen könne? 
In beiden Fällen ergeben sich Schwierigkeiten.« 
Haben die Sclaven Tugend, worin soll denn der 
Unterschied zwischen ihnen und den Freien be- 
stehen? Sagt man, sie haben keine, so ist das 
ungereimt, da sie doch Menschen und der Ver- 
nunft zugänglich sind. Es ist diess fast dasselbe, 
was auch in Bezug auf Frauen und Kinder er- 
örtert zu werden pflegt, ob es für sie Tugenden 
gebe und Frauen massig, tapfer, gerecht sein 
müssen, ob man von einem ausschweifenden und 



1, 13. 45 

massigen Kinde reden könne, oder nicht. Und 
in der That verdient dieser Punkt in seiner all- 
gemeinsten Fassung untersucht zu werden: besteht 
Itlr die von Natur Gehorchenden und die von 
Natur Gebietenden eine und dieselbe Tugend, 
oder eine verschiedene? Sagt man, beide Theile 
müssen edle Sittlichkeit haben, so ist nicht zu 
begreifen, weshalb ein fllr alle Mal der eine 
Theil gebieten, der andere gehorchen soll. Auf 
ein Mehr oder Weniger von jener Sittlichkeit 
lässt'sich ja dieser Unterschied nicht gründen, 
da zwischen Gehorchen und Gebieten eine We- 
sensverschiedenheit stattfindet, keineswegs aber 
zwischen dem Mehr und Weniger. Sagt man hin- 
wieder, der eine Theil müsse jene Sittlichkeit 
haben, der andere nicht, so ist das doch wun- 
derbar. Denn wenn der Gebietende nicht massig 
und gerecht ist, wie kann er dann ordentlich 
gebieten, ist es der Gehorchende nicht, wie kann 
er ordentlich gehorchen, da ja ein Ausschweifen- 
der und Schlafifer nichts von dem, was ihm ob- 
liegt, thun wird? Von vorn herein ist es nun 
klar, dass zwar beide Theile Tugend besitzen 
müssen, dass jedoch für die Tugend Abstufiingen 
bestehen, entsprechend den Abstufungen der ver- 
schiedenen, zum Gehorchen von Natur bestimmten 
Klassen. Gleich auf dem Gebiet der Seele ist 
diess Verhältniss vorgezeichnet. In der Seele fin- 
det sich ein von Natur zum Gebieten und ein 



46 1, 13. 

von Natur zum Gehorchen berufenes Element; 
einem jeden von diesen schreiben wir eine beson- 
dere Tugend zu und sprechen demnach von einer 
Tugend des vernünftigen und einer Tugend 
des vernunftlosen Elements. Aehnlich muss es 
sich nun. auch auf den verwandten Gebieten ver- 
halten. Da also von Natur es verschiedene Arten 
von Gebietenden und Gehorchenden giebt ( — denn 
anders gebietet ein Freier einem Sclaven, anders 
ein Mann einem Weibe, anders ein Erwachsener 
einem Kinde — ) und in allen diesen die Seelen- 
elemente zwar vorhanden, jedoch in verschiede- 
ner Weise vorhanden sind ( — denn dem Sclaven 
mangelt die Fähigkeit des Ueberlegens gänzlich, 
das Weib hat sie zwar, aber ohne Kraft zum 
endgiltigen Entschlüsse, das Kind hat sie auch, 
aber unentwickelt — ): so muss man auch eine 
ähnliche Abstufung für die sittlichen Tugenden 
annehmen; besessen müssen sie von Allen wer- 
den, aber nicht von Allen in gleicher Weise, 
sondern von Jedem in dem Maasse, als lür seinen 
Beruf nöthig ist. Der Gebietende also muss die 
sittliche Tugend in ihrer Vollständigkeit besitzen; 
denn jede Leistung hängt in allen ihren Theilen 
von dem obersten Meister ab; die Vernunft aber, 
d. h. dasjenige, was den Gebieter zum Gebiete)' 
macht, ist oberster Meister; wenn also die Leis- 
tung gelingen soll, so muss der Gebieter nach 
allen Seiten den Anforderungen der Vernunft ge- 



1, 13. 47 

nügen, mithin eine vollständige sittliche Tugend 
besitzen. Die Gehorchenden hingegen brauchen 
jeder nur so viel Tugend, als von der Gesanimt- 
leistung auf sein Theil fällt. Demnach ist es klar, 
dass ilir jede der genannten Klassen es besondere 
sittliche Tugenden giebt, nicht dieselbe Massig- 
keit tür das Weib wie flir den Mann, auch nicht 
dieselbe Tapferkeit und Gerechtigkeit — was 
Sokrates meinte — , sondern die Tapferkeit des 
Mannes ist eine gebietende, die des Weibes eine 
dienende, und derselbe Unterschied findet auch 
iilr die übrigen Tugenden statt. Sobald man mehr 
sein Augenmerk auch auf das Detail richtet, er- 
hellt die Sache unzweifelhaft. Durch allgemeine 
Bestimmung des Tugendbegriflfs — z. B. gute 
Seelenverfassung, Rechthandeln sei Tugend — 
täuscht man sich hierüber nur selbst. Viel zweck- 
mässiger als die Urheber solcher Definitionen, 
verfahren diejenigen, welche, wie Gorgias, die 
einzelnen Tugenden der Reihe nach herzählen. — 
Also, was der Dichter vom Weibe sagt, das muss 
man ebenso auf alle übrigen Genannten ausdeh- 
nen. *Dem Weibe bringt das Schweigen Schmuck^ 
\So^h6kles, Aias J293], aber lür den Mann will es 
schon nicht so passen. Des Kindes Tugend ferner 
kann, da es noch unentwickelt ist, auch nicht 
eine selbständige sein, sondern erstreckt sich nur 
auf seine Beziehung zu dem entwickelten und 
es leitenden Vater. Ebenso betriflft des Sclaven 



48 1, 18. 

Tugend nur sein Verhältniss zum Herrn. Da wir 
nämlich den Begriff des Sclaven dahin bestimmt 
haben ; dass er flir die unentbehrlichen Lebens- 
bedürfnisse brauchbar sei, so rauss er offenbar 
einen kleinen Grad von Tugend besitzen, und 
zwar so viel, dass er nicht durch Ausschweifung 
und Schlaffheit seine Arbeiten versäume. Hier 
könnte nun Jemand die Frage aufwerfen: ist 
das Gesagte richtig, müssten dann nicht die Hand- 
Tugend des werker als solche auch eine besondere Art von 

Hand- 
werkers. Tugend besitzen? Denn häufig versäumen ja auch 

sie durch Ausschweifung die bestellte Arbeit. 
Aber hier findet doch wohl ein grosser Unter- 
schied statt. Der Sclave ist immerwährender 
Lebensgefährte des Herrn, die Verbindung zwi- 
schen dem Besteller und Handwerker ist hingegen 
eine viel lockerere, und das Bedtirfniss einer 
besonderen Tugend geht für den Handwerker 
nur so weit als sich seine Sclaverei erstreckt; 
die Stellung nämlich des niederen Handwerkers 
ist die einer begrenzten Sclaverei. Ferner 
bilden die Sclaven eine der natürlich verschie- 
denen Menschenklassen, keineswegs aber die 
Schuster oder andere Handwerker; besofidere Ar- 
ten von Tugend lassen sich aber nur für die na- 
türlich geschiedenen Klassen aufstellen, — Von 
einer solchen Tugend nun, wie wir sie von dem 
Sclaven verlangen, versteht es sich von selbst, 
dass sie der Herr durch seinen persönlichen 



I, 13. 49 

Umgang hervorrufen muss, nicht aber irgend ein 
Inhaber der nur Anweisung zu den Arbeiten 
gebenden 'Herren Wissenschaft'. Diejenigen sind s. oben s.23. 
also im Irrthum; welche nach Flatons Vorschrift 
Gespräch mit Sclaven nicht dulden wollen und 
behaupten, man müsse nur Befehle an sie richten. 
Vielmehr muss man den Sclaven ins Gemüth 
reden, mehr noch als den Kindern. 

Hiertiber also mögen die gegebenen Bestim- 
mungen gentigen. Ueber Mann und Weib aber 
und Kinder und Vater, sowohl hinsichtlich der 
besonderen Tugend eines Jeden von ihnen als 
hinsichtlich ihres Verkehrs unter einander, was 
hier sittlich schön, was nicht schön sei, und wie 
man hier das Gute zu erstreben, das Schlechte 
zu meiden habe — diess findet seine nothwendige 
Stelle in der Abhandlung über die staatlichen Ver- 
fassungsformen. Denn da der Hausstand insge- 
sammt ein Theil des Staates ist, jene Personen 
wiederum Theile des Hausstandes sind, und die 
Tugend des Theiles sich nach der Tugend des Gan- 
zen richten soll, so muss die Erziehung sowohl der 
Kinder als der Frauen im Hinblick auf die Staats- 
verfassung geleitet werden, wofern flir den un- 
tadligen Zustand des Staates der untadlige Zu- 
stand der Kinder und Frauen von Belang ist. 
Er muss aber nothwendig von Belang sein. Denn 
die Frauen bilden die Hälfte der freien Bevöl- 
kerung, und aus den Kindern erwachsen die 

4 



50 1, 13. 

Staatsbürger. Da also über die eine Reihe von 
Gegenständen die genügenden Bestimmungen ge- 
geben sind, die übrigen aber an einem anderen 
Ort besprochen werden müssen, so wollen wir 
die bisherige Auseinandersetzung als zu ihrem 
Ende geführt hiermit abschliessen, und für die 
weitere Darstellung einen anderen Ausgangspunkt 
nehmen, und zwar wollen wir zunächst die Schrift- 
steller prüfen, welche über die beste Staatsver- 
fassung Ansichten aufgestellt haben. 



Zweites Buch. 



f 



1 Da wir diejenige Form staatlicher Gemein- 
schaft betrachten wollen, welche, wenn man 
möglichst nach Wunsch das Leben einrichten 
kann, die vorzüglichste unter allen ist, so müssen 
wir auch die übrigen Verfassungsformen prüfen, 
theils solche, welche in einigen fllr wohlgeordnet 
geltenden Staaten praktisch ausgeillhrt werden, 
theils andere, die etwa noch sonst von einzelnen 
Männern vorgeschlagen und beifällig aufgenom- 
men sind, damit erstlich das an sich Richtige 
und das praktisch Ausführbare zu Tage trete, 
und damit femer das Suchen nach etwas von 
allen diesen Staatsformen Verschiedenem nicht 
als Sucht um jeden Preis zu klügeln erscheine, 
vielmehr in dem Mangelhaften der bisher vor- 
handenen Formen der Grund erkannt werde, 
weshalb wir uns auf diese Untersuchung ein- 
lassen. Beginnen müssen wir mit dem Punct, 
der sich naturgemäss bei dieser Frage zuerst 
darbietet. Hinsichtlich der Gemeinschaft unter 
den Bürgern sind nämlich nur drei Fälle denk- 
bai": entweder Alles ist Allen, oder Nichts ist 



54 IT, 2. 

Allen gemein, oder gewisse Dinge sind Allen 
gemein, andere aber mcht. Dass Nichts Allen 
gemein sei, erweist sich nun sogleich als unmög- 
lich. Denn die Staatsverfassung ist ja eine Form 
der Gemeinschaft und zunächst muss wenigstens 
Gremeinschaft des Raumes stattfinden, da ja fUr 
den einheitlichen Staat auch der Raum als Ein- 
heit gefasst werden muss, und die Bürger alle 
an dem Staat als an einer ungetrennten Einheit 
Theil haben. Jedoch in Betreff der zwei anderen 
Fälle tritt die Frage ein: ist es ttlr den beab- 
sichtigten gedeihlichen Bestand des Staates besser, 
dass alles irgend denkbare, oder ist es besser, 
dass nur gewisse Dinge Allen gemein seien, andere 
aber nicht. Denkbar ist es ja, dass auch hin- 
sichtlich der Kinder und der Frauen und der 
Güter gegenseitige Gemeinschaft unter den Bür- 

^stiar S®^^ stattfinde, wie z. B. im Platonischen Staat, 
wo Sokrates behauptet, es mtissten die Frauen 
und die Kinder gemeinschaftlich sein und auch 
das Vermögen. Wie verhält es sich also hiermit? 
Ist es besser so wie es jetzt ist, oder wie es 
nach dem dort in dem 'Staat' gegebenen Gesetz 

Frauenge- sein würdc? — Dass nun die Frauen Allen se- 2 

meineichaft. » ^ 

meinschaftlich seien, führt viele sonstige Uebel- 
stände mit sich, und auch wie das, weshalb 
Sokrates ein derartiges Gesetz ftlr nothwendig 
erklärt, schliesslich erreicht werde, lässt sich 
aus seinen Reden nicht erkennen. Zudem ist das 



II, 2. 55 

Ziel, welches er dem Staat vorsteckt, ein un- 
mögliches, wie jetzt die Wortfassung lautet, und 
wie sie näher zu begrenzen sei, darüber ist kei- 
nerlei Bestimmung gegeben. Ich meine seine Be- 
hauptung, die es für das Beste erklärt, wenn 
der Staat so, sehr als möglich eins sei. Diesen 
Satz legt nämlich Sokrates zu Grunde. Gleich- 
wohl springt es in die Augen, dass der Staat 
bei immer fortschreitendem Einswerden sogar Einheit des 
sein Dasein als Staat verliert. Denn seiner Natur 
nach ist der Staat eine Vielheit, und wenn er 
immer mehr eins wird, so muss aus dem Staat 
ein Hausstand und aus dem Hausstand ein Mensch 
werden, da ja, wie Jeder zugesteht, ein Haus- 
stand mehr eins ist als ein Staat und ein Indi- 
viduum mehr eins als ein Hausstand. Also, wenn 
man diess auch ins Werk setzen könnte, so dürfte 
man es nicht thun; denn man würde den Staat 
aufheben. — Der Staat besteht nun aber nicht 
bloss aus mehreren, sondern aus verschieden- 
artigen Menschen; aus lauter gleichen Menschen 
entsteht kein Staat. Ein Staat ist keine Allianz ; 
eine Allianz bleibt durch die blosse Quantität 
der älliirten Truppen brauchbar, auch wenn diese 
gleichartig ist; denn die Allianz ist bestimmt 
Schutz zu gewähren, und je grösser die Quantität, 
um so schwerer fällt sie gleichsam ins Gewicht. 
(Auf dieses Verhältniss wird sich auch wohl der 
Unterschied zwischen Staat und Völkerschaft zu- 



56 II, 2. 

rlickftthren lassen, in den Fällen nämlich, wo die 
Völkerschaft nicht nach Weilern mit bestimmter 
Einwohnerzahl abgetheilt ist, sondern so wie 
z. B. die Arkader eerstreut und ohne politische 
Gliederimg wohnt.) Wo aber wie im Staate die 
Theile zu einer organischen Einheit sich zusam- 
menschliessen sollen, da müssen sie verschieden- 
artig sein. Deshalb ist auch compensirende 
Grleichheit das staatenerhaltende Princip, wie 
früher in der Ethik gesagt worden, da eine ah- 
solide Gleichheit durch die nothwendige Verschie- 
denartigkeit der Staatselemente ausgeschlossen ist. 
Und selbst innerhalb einer freien und gleichen 
Bürgerschaft muss jene Compensation stattfinden. 
Denn Alle zu derselben Zeit können sie ja nicht 
gebieten, sondern sie müssen jährlich oder nach 
einer anderen Abfolge oder Zeit wechseln, der- 
gestalt dass schliesslich doch Alle gebieten, 
etwa wie wenn die Schuster und Zittimerleute 
unter einander tauschten und nicht dieselben 
Leute immer Schuster und Zimmerleute blieben. 
Dort bei den Handwerkern ist es nun aber besser, 
dass immer dieselben bleiben; und auch für die 
staatliche Gemeinschaft ist es offenbar besser, 
dass immer dieselben gebieten, wo diess möglich 
ist. Unter solchen aber, wo es nicht möglich ist, 
weil nämlich Alle von Natur gleich sind und 
andererseits nun auch die Billigkeit verlangt, 
dass an dem Gebieten, mag es etwas Gutes 



II, 2. 57 

oder Schlimmes sein, Alle Theil nehmen, da ist 
es zweckmässig, dass nach abgelaufener Amtszeit 
die Beamten, weil sie Gleiche sind, auch ihrer- 
seits Untergebene werden, so gut wie vorhin die 
Uebrigen es gewesen sind. Das Gebieten und 
Gehorchen wechselt dann der Reihe nach, und 
die Personen verwandeln sich gleichsam. — Eine 
ähnliche Compensation besteht auch unter den 
gebietenden Beamten selbst; nicht alle haben die- 
selbe Amtsgewalt, sondern der Eine diese, der 
Andere jene. — Aus diesen Erwägungen erhellt 
also, dass der Staat gar nicht zu einer solchen 
Einheit geschaffen ist, wie sie von Manchen ver- 
langt wird, und dass was sie als die grösste Wohl- 
that tür die Staaten hinstellen, die Staaten auf- 
hebt; was aber Wohlthat für irgend eine Sache 
ist, das pflegt doch sonst den Bestand der Sache 
zu erhalten. — Es lässt sich jedoch noch auf 
andere Weise darthun, dass das Bestreben, den 
Staat allzusehr eins zu machen, kein förderliches 
ist. Nämlich, der Hausstand gentigt sich selbst 
mehr als das Individuum und der Staat mehr 
als der Hausstand; in derThat ist ja der Begriff 
des Staates erst dann erreicht, wenn die Bevöl- 
kerung zu dem Umfang einer sich selbst genü- 
genden Gemeinschaft gediehen ist. Wofern nun 
die höhere Stufe des Sichselbstgenügens immer 
die vorzüglichere ist, so muss auch das, was we- 
niger eins ist, also durch die Verschiedenartigkeit 



58 ^ 11,3. 

seiner Elemente besser die verschiedenen Bedürf- 
nisse des Ganzen befriedigen kann, vorzüglicher 
sein als das, was mehr eins ist. 
Sprech- ^\)qy selbst Zugegeben, es sei das Beste, wenn 3 

%fmein°' die Gemeinschaft möglichst eins ist, so lässt sich 
Lebenden, doch nicht abschen, wie diess in der Sprechweise 
dadurch bewährt werde, dass Alle sammt und 
sonders denselben Gegenstand Mein und Nicht- 
Mein nennen; diess hält nämlich Sokrates für 
das Kennzeichen, dass der Staat vollkommen eins 
ist. Denn 'Alle' ist doppelsinnig. Wird es so 
verstanden, dass Alle jene Ausdrücke in der 
Bedeutung gebrauchen, wie jeder Einzelne als 
allein Betheiligter sie gebrauchen würde, so wird 
freilich schon eher das erreicht, was Sokrates 
herbeiführen will; denn dann würde jeder dasselbe 
Kind seinen eigenen Sohn, und dasselbe Weib 
seine eigene Frau nennen, und ebenso würde es 
mit dem Vermögen und den verschiedenen Le- 
bensschicksalen sein. Aber bei denen Frauen 
und Kinder gemeinschaftlich sind, d i e werden 
nimmermehr diess im Sinne haben, sondern sie 
werden zwar Alle dasselbe Weib und dasselbe 
Kind 'Mein' nennen, jedoch nicht so wie jeder 
Einzelne von ihnen cds alleiniger Gatte und Vater 
es verstehen würde; ebenso werden zwar Alle 
dasselbe Vermögen Mein nennen, aber nicht in 
dem Sinne wie jeder Einzelne von ihnen als 
alleiniger Eigentlmner. Hiernach ist es klar, 



11,3. 



59 



Vernach- 
lässigung 
des Ge- 
meinschaft- 
lichen. 



dass in dem Satz 'Alle sagen Mein' eine logische 
Täuschung zu Grunde liegt; wie ja auch in den 
Disputationen die Wörter 'Alle, Beide, Ungerade, 
Gerade* wegen ihres Doppelsinns zu Vexir-Schltis- s. unten s. 74. 
sen dienen, indem man sie bald coHectiv, bald distri- 
butiv gebraucht. Nimmt man also 'Alle nennen 
dasselbe Mein' in der einen Bedeutung, dass näm- 
lich Alle es nennen wie jeder Einzelne für sich, 
so ergiebt sich etwas zwar Schönes aber Un- 
mögliches; nimmt man die andere Bedeutung, 
dass Alle es nicht so une Jeder für sich nennen, 
so liegt gar kein Beweis der Eintracht darin. — 
Ausserdem leidet jener Satz noch an einem an- 
deren Misstand. Je zahlreicher die Theilhaber 
an einer Sache, desto weniger pflegt für dieselbe 
gesorgt zu werden. Die Menschen kümmern sich 
am meisten um das, was ihnen zu eigen gehört, 
um das Gemeinschaftliche weniger, oder doch nur 
in so weit es das Sonderinteresse des Einzelnen 
berührt; abgesehen von anderen Gründen, ver- 
nachlässigen sie es schon deshalb mehr, weil 
Jeder glaubt, ein Anderer kümmere sich darum, 
wie es z. B. auch in der häuslichen Bedienung 
vorkommt, dass viele Diener manchmal schlechter 
bedienen als wenige. Nun würde aber nach So- 
krates* Vorschlag jeder Bürger tausend Söhne ha- 
ben, und zwar nicht so als wenn sie allein seine 
Söhne wären, sondern jeder Beliebige würde 
gleichsehr des Einen wie jedes beliebigen Anderen 



60 II, 3. 

Sohn sein ; so werden sie ihn flenn Alle gleichsehr 
vernachlässigen. Ferner, wenn es einem Bürger 
gut oder schlecht geht und die Seinigen ihm Tlieä- 
nahme beweisen sollen^ so wird Jeder nur als 
Bruchtheil der gesammten Btirgerzahl ihn 'Mei- 
ner^ nennen d. h. 'Meiner oder der des N. N/ 
und so weiter durch die ganze Zahl der Tau- 
send, oder aus wie Vielen nun der Staat besteht ; 
und auch so wird er immer noch zweifelnd spre- 
chen, da ja nicht zu ermitteln ist, wem gerade 
ein Sohn geboren worden' und ob der geborene 
Sohn am Leben geblieben. Was ist nun wohl 
zweckmässiger? Dass Jeder von den zweitau- 
send oder zehntausend dasselbe 'Mein' nenne in 
dieser allgemeinen Weise, ohne nähere Bestim- 
mung der Angehörigkeit, oder vielmehr so, wie 
man in den jetzigen Staaten Mein sagt? Da nennt 
denselben Menschen .der Eine seinen Bruder, ein 
Anderer seinen Vetter, oder in welchem Grade 
sonst die Verwandtschaft sein mag, sei es Bluts- 
verwandtschaft oder Angehörigkeit und Verschwä- 
gerung, unmittelbare oder mittelbare ; und ausser- 
dem nennen ihn noch Andere ihren Zunft- oder 
Stammgenossen. Wahrlich, Einzel- Vetter zn sein 
ist besser als gemeinschaftlicher Sohn nach jener 
platonischen Weise. — Ueberdiess lässt es sich 
gar nicht verhindern, dass, auch wo Frauen- und 
Kindergemeinschaft besteht, doch Manche ihre 
wahren Brüder^ Kinder, Väter und Mütter zu er- 



11,4. 61 

kennen glauben ; nach der Aehnlichkeit, die zwi- 
schen Kindern und Eltern stattzufinden pflegt, 
werden sie unvermeidlich sich bestimmte Ansichten 
über ihr gegenseitiges Verhältnis^ bilden. Und 
dafür giebt es, nach dem Bericht einiger Ver- 
fasser von Erdbeschreibungen, auch thatsächliche 
Belege. Im inneren Libyen soll nämlich bei 
einigen Stämmen Frauengemeinschaft bestehen, 
jedoch die Kinder nach der Geburt auf Grund 
der Aehnlichkeit bestimmten Vätern zugetheilt 
werden. Wirklich giebt es Frauen und auch Thier- 
weibchen, z. B. Stuten und Kühe, welche die 
Eigenthümlichkeit haben, dass sie lauter den 
Eltern sehr ähnlich sehende Geburten zur Welt 
bringen, wie die sogenannte ehrliche Stute in 
4Pharsalos. — Ferner können die Einflihrer der 
Frauen- und Kindergemeinschaft schwer solchen 
Uebelständen vorbeugen wie z. B. körperlichen 
Schädigungen, unabsichtlichen und auch absicht- 
lichen Tödtungen, Schlägereien, Schimpfen, und 
nichts von all diesem kann ohne Verletzung des reli- 
giösen Gefühls gegen Väter, Mütter und nahe 
Verwandte so leichthin verübt werden, wie 
gegen die fernstehenden. Ja, wo man seine An- 
gehörigen nicht kennt, muss unvermeidlich 
dergleichen öfter vorkommen als wo man sie 
kennt; und ferner lassen nach geschehener 
That da, wo man sie kennt, die üblichen Süh- 
nungen sich anwenden; wo man sie aber nicht 



62 II, 4. 

kennt, ist keinerlei Stihnung möglich. — Selt- 
sam ist es noch, dass Sokrates, nachdem er die 
Söhne gemeinschaftlich gemacht, bloss von dem 
fleischlichen Umgang die Liebenden ausschliesst, 
die Liebschaft aber nicht verbietet und auch 
nicht die übrigen Berührungen, die zwischen 
Vater und Sohn und zwischen Bruder und Bruder 
über alle Maassen hässlich sind; ist es doch 
schon die blosse Liebschaft. Seltsam ist es ferner, 
dass er den fleischlichen Umgang lediglich des- 
halb ausschliesst, weil die Lust allzu heftig 
werde; darauf aber, dass es das eine Mal Vater 
oder Sohn, ein anderes Mal ein Brüderpaar ist, 
käme nach seiner Meinung nichts an. — Uebrigens 
wäre Frauen- und Kindergemeinschaft viel zweck- 
mässiger für die platonischen * Bauern* als für 
die 'Wächter' verordnet worden. Denn wenn 
Frauen und Kinder gemeinschaftlich sind, ist 
die Anhänglichkeit geringer, und ein' solcher Zu- 
stand loser Verbindung passt für die Unterthanen, 
damit sie gehorsamen und nicht revolutioniren, 
keineswegs aber für die herrschende Klasse der 
^Wächter. Ueberhaupt muss ein solches Gesetz 
das Gegentheil von dem bewirken, was einer 
richtigen Gesetzgebung herbeizuführen obliegt 
und auch der Grund war, weshalb Sokrates jene 
Verordnung über Kinder und Frauen aufstellen 
zu müssen glaubte. Wir Alle nämlich halten 
daftlr, dass gegenseitige Anhänglichkeit der Bür- 



II, 4. 63 

ger das gr^sste Gut für die Staaten sei, denn 
wo diese vorhanden, wird nicht leicht Aufruhr 
entstehen; und auch Sokrates preist vorzüglich 
das Einssein des Staates. Einssein wird nun 
aber nach der allgemeinen Ansicht — und auch 
Sokrates spricht es aus — durch die Anhänglich- 
keit bewirkt, wie bekanntlich Aristophanes in 
dem Gespräch über Liebe \Flaions Gastmahl 191 **] 
sagt, 'die Liebenden, weil sie einander so sehr 
anhängen, wünschen zusammenzuwachsen und 
Beide aus den Zweien, die sie sind, Einer zu 
werden'. In dem dortigen Falle nun müssen bei 
einem solchen Zusammenwachsen Beide oder 
doch Einer von Beiden daraufgehen; im Staat 
aber muss durch jene Art der Gemeinschaft die 
Anhänglichkeit eine sehr verdünnte werden, und 
der Sohn wird vom Vater oder der Vater vom 
Sohn nur im schwächsten Sinne Mer Meine' 
sagen. Denn wie ein wenig Rosinenwein unter 
viel Wasser gemischt eine unmerkliche Mischung 
hervorbringt, so ergiebt sich auch als nothwendig, 
dass unter einer solchen Verfassung die gegen- 
seitige, auf diesen Verwandtschaftsgraden ruhende 
Angehörigkeit nur ein sehr geringes Interesse 
hervorruft sowohl bei dem Vater flir die Söhne, 
wie bei dem Sohn für den Vater und bei Brüdern 
für einander. Zwei Dinge sind es ja, welche vor- 
züglich die Menschen zu hegender Sorgfalt und 
Anhänglichkeit bestimmen: der alleinige Besitz 



64 II, 5. 

und die Seltenheit der besessenen Sache, durch 
welche sie dem Besitzer theuer wird; keines von 
Beiden aber kann für die vorhanden sein, welche 
unter einer solchen Verfassung leben. — Auch 
noch hinsichtlich des Versetzens von Neuge- 
borenen theils aus der Bauern- und Handwer- 
kerklasse unter die * Wächter', theils aus diesen 
unter jene, bleibt man in grosser Verwirrung, 
^ wie denn diess ausgeführt werden soll; unver- 
meidlich wissen doch die Vollstrecker der Ueber- 
gabe und Versetzung, welche Kinder und welchen 
Personen sie dieselben übergeben, wodurch die 
geforderte allgemeine Unbekanntschaft mit den 
verwandtschaftlichen Beziehungen der Einzelnen 
gestört ist. Und ferner muss das schon oben 
s.obens.6i. Berührte, nämlich körperliche Schädigung, Lieb- 
schaft, Tödtung noch in gesteigertem Maasse bei 
diesen vorkommen, da ja nun die unter die 
anderen Bürger Versetzten nicht länger die 
'Wächter' mit den Namen Brüder, Kinder, Väter 
und Mütter benennen, und die bei den 'Wächtern' 
Untergebrachten ebenso wenig die übrigen Bür- 
ger, so dass sie sich also auch nicht wegen der 
Verwandtschaft vor dem Begehen solcher Dinge 
in Acht nehmen können. — Ueber die Kinder- 
und Frauengemeinschaft seien also diese Ge- 
sichtspunkte aufgestellt. 

Hieran schliesst sich zunächst die Unter- 5 
suchung über den Besitz, welcherlei Einrichtung 



11,5. . 65 

hierüber diejenigen, welche unter der besten ^^f^^Hi^ 
Verfassung leben wollen, zu treffen haben, ob 
nämlich der Besitz gemeinschaftlich sein solle, 
oder nicht gemeinschaftlich. Diesen Punkt kann 
man auch abgesondert von der Gesetzgebung 
über Kinder und Frauen betrachten; ich meine 
so: Auch wenn Kinder und Frauen nach der 
jetzt allgemeinen Sitte Einzelnen angehören 
sollen, so kann man doch hinsichtlich des Be* 
Sitzes fragen, ist es zweckmässiger, dass die Be- 
sitzthümer durch ihre Verwendung gemeinschaft- 
lich sind, d. h. dass zwar die Grundstücke ge- 
trennt besessen werden, man aber die Früchte 
an die Staatskammer abliefert und dann erst 
verbraucht, wie es manche barbarische Völker- 
schaften machen ; oder umgekehrt, dass der Boden . 
gemeinschaftlich besessen und gemeinschaftlich 
bebaut wird, aber die Früchte für den Gebrauch 
der Einzelnen getrennt angewiesen sind, welche 
Art der Gemeinschaftlichkeit ebenfalls bei einigen 
Barbaren bestehen soll; oder endlich dass Beides, 
Grundstücke und Früchte, gemeinschaftlich sind. 
Wo nun neben den Vollbürgern eine unterge- 
bene Ackerbauerklasse vorhanden ist, da lässt 
sich schon irgend eine minder verfängliche Form 
finden; wo aber die Bürger durchaus von eigener 
Arbeit leben müssen, da bietet diese Besitzfrage 
wohl mehr Schwierigkeiten. Denn da eine völlige 
Gleichheit van Genüssen und von Leistungen 



66 n, 5. 

nicht durchzuführen ist, so müssen gegen die 
viel Geniessenden oder Bekommenden aber wenig 
Arbeitenden nothwendig Beschwerden entstehen 
von Seiten derer, die weniger bekommen und 
mehr arbeiten. Ueberhaupt ist es eine missliche 
Sache mit dem Zusammenleben und der Gemein- 
schaftlichkeit, misslich in jedem menschlichen 
Verhältniss, besonders aber in solchen Vermögens- 
dingen. Sieht man es doch an den auf gemein- 
schaftliche Kosten Reisenden. Wohl in den 
meisten Fällen entsteht Zwist unter ihnen, indem 
sie auf die ersten besten und geringfügigen An- 
lässe sich mit einander überwerfen. Ebenso 
übei'werfen wir uns auch mit denjenigen Dienel-n 
am häufigsten, mit welchen wir, weil sie die 
gewöhnliche Bedientenverrichtung besorgen, am 
meisten in Berührung kommen. — Gemeinschaft- 
lichkeit des Besitzes hat also diese und andere 
ähnliche Uebelstände ; dagegen möchte wohl die 
jetzt übliche Weise, wenn sie noch durch die 
Sitten und Verordnung richtiger Gesetze ver- 
vollkommnet wird, nicht wenig voraus haben. 
Sie wird nämlich das Gute von beiden Weisen 
vereinigen, ich meine von der Gemeinschaftlich- 
keit und von der Getrenntheit der Besitzthümer. 
Denn das Richtige ist, dass der Besitz nur in ge- 
wissem Betracht gemeinschaftlich, im Allgemeinen 
aber getrennt sei. Durch die gesonderte Verwaltung 
werden alsdann die Zwistigkeiten verhindert 



n, 5. 67 

sein, und da Jeder auf sein Eigen unablässiges Vorzüge 
Augenmerk richtet, so gedeiht Alles besser. ^IfS^B. 
Andererseits wird durch Edelsinn sich fllr den 
Gebrauch die sprichwörtliche Gütergemeinschaft 
unter Freunden herausstellen. Schon jetzt finden 
sich in einigen Staaten die Ansätze für diesen 
Zustand, zum Beweise dass er nicht unmöglich 
ist; und zumal in den Staaten mit guter Ver- 
fassung besteht schon einiges der Art und Anderes 
könnte sich leicht entwickeln. Jeder nämlich hat 
dort seinen Besitz als Eigenthum, theils jedoch 
macht er ihn flir seine Freunde nutzbar, theils 
besteht fllr gewisse Dinge Gemeinschaftlichkeit 
des Gebrauchs, wie z. B. in Lakedämon Einer des 
Anderen Sclaven so zu sagen wie seinen eigenen 
benutzt, ebenso Pferde und Hunde und Esswaaren, 
wenn Einem auf dem Lande der Mundvorrath aus- 
geht. Sonach ist es oflfenbar besser, dass die Besitz- 
thtimer an sich getrennt seien, man sie aber flir den 
Gebrauch gemeinschaftlich mache. Wie jedoch in 
den Menschen die hierzu nöthige Gesinnung zu 
entwickeln sei, diess ist die eigenthümliche Auf- 
gabe des Gesetzgebers. — Ferner macht es hin- 
sichtlich der Freude einen unermesslichen Unter- 
schied, ob man etwas als sein Eigen ansehen 
kann. Denn wohl nicht Umsonst hat jeder Mensch 
Liebe ^u sich selbst, vielmehr ist diess in der 
Natur begründet. (Sein Ich lieb zu haben wird 
freilich mit Recht getadelt; darunter ist aber 



68 n, 5. 

nicht die Selbstliebe überhaupt gemeint, sondern 
dass man sich mehr lieb hat als man soll, ebenso 
wie wenn man Einen tadelt, dass er das Geld 
oder die Ehren lieb habe; denn eine gewisse 
Liebe zu jedem dieser Dinge haben wohl alle 
Menschen.) Auch Freunden, oder Gästen, oder 
Bekannten Gefallen oder Hilfe zu erweisen, ge- 
währt grosse Freude, und das kann nur geschehen, 
wenn der Besitz getrennt ist. Dieses Alles also 
findet nicht statt für die, welche den Staat über- 
mässig eins machen, und ausserdem noch er- 
sticken sie unverkennbar die thätige Ausübung 
zweier Tugenden, erstlich der Enthaltsamkeit 
durch ihre Verordnungen über Frauengemein- 
schaft — und allerdings ist es doch eine sittliche 
That, bloss aus Enthaltsamkeit eines Anderen 
Weib nicht zu berühren — und zweitens der 
Freigebigkeit, durch ihre Verordnungen über 
Gütergemeinschaft; denn nun wird Einer der 
freigebig gesinnt ist, nicht als solcher erkannt 
werden, noch irgend eine freigebige Handlung 
vollbringen können, da ja das Wesen der Frei- 
gebigkeit in der Verwendung des eigenen Be- 
sitzes liegt. 

Einen schönen Schein hat freilich eine der- 
artige Gesetzgebung und man hält sie leicht flir 
menschenfreundlich. Wer es so hört, zollt freudig 
Beifall in der Meinung, nun werde eine herrliche 
Liebe Aller zu Allen entstehen, zumal wenn man 



IT, 5. 69 

die bei den jetzigen Verfassungen vorhandenen 
Uebelstände angreift, als entsprängen sie daraus 
dass das Vermögen nicht gemeinschaftlich ist, 
ich meine: Civilprozesse, Criminalfälle wegen 
falschen Zeugnisses, Schmeicheleien gegen Reiche. 
Aber Nichts von Alle dem entsteht aus Mangel 
an Gemeinschaft, sondern aus Schlechtigkeit, da 
ja der Augenschein lehrt, dass Leute die Etwas ge- 
meinschaftlich besitzen und Compagnons viel mehr 
in Zwist gerathen als die, deren Besitz gesondert 
ist. Nur scheinen unserer oberflächlichen Be- 
trachtung die in Folge von Compagnieschaft 
Streitenden gering an Zahl, weil wir sie, ohne 
attf die richtige Proportion 0u achten, gegen die 
Vielen halten, die ihr Vermögen für sich haben. 
— Femer ist es billig, nicht bloss von dem 
vielen Schlimmen zu reden, das bei Gütergemein- 
schaft wegfallen werde, sondern auch von dem 
vielen Guten. Offenbar würde das Leben durch- 
aus unerträglich werden. — Für die Ursache von 
Sokrates' Fehlgriff muss aber die Unrichtigkeit 
seines Fundamentalsatzes gelten. Allerdings näm- 
lich soll Haus wie Staat in gewissem Betracht 
eins sein, jedoch nicht durchaus. Denn bei 
immer fortschreitendem Einswerden kommt es 
dahin, dass entweder gar kein Staat mehr vor- 
handen, oder auch dass er zwar vorhanden, 
jedoch weil er nahe daran ist kein Staat zu sein, 
als schlechterer Staat vorhanden ist ; ähnlich wie 



70 II, 5. 

wenn man aus der Symphonie Eine Stimme und 
aus dem Rhythmus Einen Versfuss machen wollte. 
s. oben S.56. Man soU vielmehr die, wie oben gesagt, wesent- 
liche Vielheit bestehen lassen, und sie auf dem 
Wege der Erziehung zum einigen und Einen 
Staat machen. Wer nun aber eine solche Er- 
ziehung einfllhren will und die Ueberzeugung 
hegt, durch sie werde ein guter Zustand des 
Staates herbeigeführt, von dem ist es doch un- 
gereimt, wenn er durch dergleichen Mittel loie 
die plcUonischen zu bessern glaubt und nicht 
vielmehr durch Einführung von Sitten, durch 
Beförderung der geistigen Entwickelung und 
durch Gesetze, wie z. B. der Gesetzgeber in Lake- 
dämon und Kreta durch die Tischgenossenschaften 
eine gewisse Gemeinschaftlichkeit des Besitzes her- 
zeugnisB gestellt hat. — Auch darf man nicht verkennen, 

der 

Geschichte, (j^gg gchou au sich dic lange Vorzeit und die vielen 
Völker Beachtung fordern, bei welchen dergleichen 
sich wohl gezeigt hätte, wenn es zweckmässig 
wäre. Denn fast alle Erfindungen sind schon 
einmal gemacht worden; nur sind sie theils nicht 
übersichtlich zusammengestellt, theils wendet man 
sie nicht an, obgleich man sie kennt. — Am 
deutlichsten würde die UnricMigkeit von Plcdons 
Satz über das Einsmachen des Staates zu Tage 
treten, wenn man eine derartige Verfassung 
in ihrer factischen Einrichtung zu Gesicht be- 
käme; denn, ohne doch wiederum Eintheilungen 



11,5. 71 

nach Tischgenossenschaften und Sonderungen 
nach Sippschaften und Stämmen vorzunehmen, 
wird er keinen Staat zu schaffen im Stande 
sein, wo dann also durch seine Gesetzgebung 
nichts weiter erreicht würde, als dass die 'Wächter' 
keinen Feldbau treiben, was die Lakedämonier 
schon jetzt durchzuftlhren versuchen. — Ja, sogar 
welche Form der Gesammtverfassung für alle 
Angehörigen eines solchen Staates bestehen solle, 
hat weder Sokrates ausgesprochen noch lässt es 
sich leicht sagen. Gleichwohl besteht doch die 
Mehrzahl des Staates aus der Menge der anderen 
nicht zu den 'Wächtern' gehörenden Bürger^ und 
hinsichtlich dieser ist gar nichts festgesetzt, ob 
auch die Bauern ihren Besitz gemeinschaftlichr ^e^sauem 
oder Jeder Privateigenthum, ob sie ferner Frauen ^****- 
und Kinder gemeinschaftlich, oder Jeder für sich 
haben sollen. Ist nämlich bei ihnen ebenso wie 
bei der Wächterklasse Allen Alles gemein, worin 
soll dann der Unterschied zwischen ihnen und 
jenen Wächtern liegen? oder was soll sie be- 
wegen, die Herrschaft derselben zu ertragen, wo- 
fern man nicht einen ähnlichen Kunstgriff an- 
wendet wie die Kreter; diese nämlich gestatten 
den Sclaven sonst Alles ebenso wie den Freien, 
nur verbieten sie ihnen die Turnplätze und den 
Besitz der Waffen. Soll es hingegen in Betreff 
des Besitzes und der Ehe bei den Bauern ebenso 
wie in den anderen jetzigen Staaten gehalten 



72 II, 5. 

werden, welcherlei Staatsverband wird dann die 
beiden Klassen umfassen können? Unvermeid- 
lich bilden sich ja dann in dem Einen Staat 
zwei Staaten, und zwar zwei sich feindlich gegen- 
über stehende. Den 'Wächtern' nämlich würde 
er dann ungefähr die Stellung einer militäri- 
schen Besatzung, den Bauern, Handwerkern und 
sonstigen Einwohnern die Stellung einer von der 
Besatzung in Zaum gehaltenen Bürgerschaft be- 
reiten. Streitigkeiten aber und Processe und 
welche Misstände er sonst als in den jetzigen 
Staaten vorhanden bespricht, würden dann alle 
auch bei diesen beiden sich einstellen. Trotz- 
dem behauptet Sokrates, die vielerlei Gesetze, 
z. B. stadtpolizeiliche, marktpolizeiliche und der- 
gleichen, würden in seinem Staat durch die Er- 
ziehung entbehrlich gemacht, während er doch 
seine Erziehungsform nur für die 'Wächter' be- 
stimmt. Ueberdiess macht er die Bauern zu 
Eigenthümern der Landgüter, von denen sie den 
Wächtern nur eine Rente zu entrichten haben, 
und für eine- so gestellte Klasse sind nicht nur 
feste Gesetze nöthig, sondern sie wird voraus- 
sichtlich noch viel unlenksamer und anspruchs- 
voller sein als die in einigen der jetzigen Staaten 
vorhandenen Klassen von Heloten, Penesten und 
Leibeigenen. Mögen nun die Bestimmungen über 
die Vermögens- und Familienverhältnisse bei 
den Bauern gleich wichtig sein wie bei den 



II, 5. 73 

Wächtern oder minder wichtig, jedenfalls ist 
jetzt von Sokrates gar nichts darüber festgesetzt, 
so wenig wie über die zunächst liegenden Fragen, 
welche politische Verfassung flir diese Bauern 
gelte und welcherlei Erziehung und Gesetze. 
Wie es aber damit sein soll, lässt sich weder 
leicht ersinnen, noch ist es von geringem Ein- 
fluss auf den Bestand der Wächter-Gemeinschaft, 
ob die Bauern so oder anders geartet sind. Ist 
die Meinung etwa diese, dass die Weiber den 
Bauern gemeinschaftlich, der Besitz jedoch ge- 
trennt sei, so entsteht die Frage, wie soll man 
dann unter den gemeinschaftlichen Weibern Haus- 
frauen finden, welche die Wirthschaft in einer 
dem gesonderten Feldertrag ihrer Männer ent- 
sprechenden Weise tlihren? Seltsam 

ist es auch, flir die Behauptung, dass die Frauen 
dieselben Geschäfte wie die Männer verrichten 
sollen, einen Vergleich von den Thieren herzu- 
nehmen, bei denen ja von Wirthschaftf Uhren 
keine Rede ist. — Bedenklich isf ferner die Art 
wie Sokrates die Regierung einsetzt. Er macht 
nämlich immer dieselben Leute zu Regierenden. 
Diess wird jedoch eine Quelle des Aufruhrs 
sogar bei einer Bevölkerung, die gar kein Selbst- 
geflihl besitzt, geschweige bei 'eifervollen und 
kriegerischen Männern^, aus welchen ja die Wächter- 
Masse bestehen soll. Für ihn freilich liegt die 
Nothwendigkeit, immer dieselben zu Regieren- 



74 II, 6. 

den zu machen, aaf der Hand. Denn das gott- 
gesandte Gold ist nicht bald Diesen bald Jenen 
in die Seelen gemischt, sondern immer den- 
selben. xEr sagt nämlich, gleich bei der Geburt 
habe die Gottheit dem einen Theil der ^Wächter' 
Gold, dem änderen Silber beigemischt, Erz und 
Eisen aber den zukünftigen Handwerkern und 
Bauern. — Ferner, während er den 'Wächtern' 
die Glückseligkeit entzieht, bezeichnet er es doch 
als Aufgabe des Gesetzgebers, den ganzen Staat 
glücklich zu machen. Der Staat im Ganzen kann 
jedoch unmöglich glücklich sein, ohne dass, wo 
nicht alle, so doch die meisten oder wenigstens 
einige Theile sich im Besitz der Glückseligkeit 
befinden. Gehört ja 'Glücklichsein' nicht in die- 
selbe Kategorie wie der Begriff 'gerade Zahl'. 
Gerade sein kann wohl die ganze Zahl ohne 
dass eine ihrer Hälften es ist, hingegen beim 
Glücklichsein ist dergleichen unmöglich. Wenn 
nun aber die 'Wächter' nicht glücklich sind, wer 
denn sonst? Doch wohl nicht die Handwerker 
und der grosse Haufe der niederen Arbeiter. — 
Bei dem 'Staat' also, über welchen Sokrates ge- 
redet hat, ergeben sich diese Schwierigkeiten, und 
ausserdem noch andere eben so bedeutende. 

Aehnliches ungefähr gilt auch für die später 6 
geschriebenen 'Gesetze'. Es ist daher zweck- 
mässig auch über die dort entworfene Staatsver- 
fassung einige kurze Betrachtungen hinzuzufligen. 



11,6. 75 

In dem 'Staat^ nämlich hat Sokrates nur ganz 
wenige Punkte festgestellt, wie es mit der Ge- 
meinschaft von Frauen und Kindern sollte ge- 
halten werden, und mit der des Besitzes, und 
dann noch die Ordnung der Verfassung. Er zer- 
legt nämlich die ganze Bevölkerung in zwei 
Stände, erstlich den Bauernstand und. zweitens 
den Wehrstand. Aus letzterem bildet sich ein 
dritter, der berathende, welcher der Souverän 
des Staates ist. Hinsichtlich der Bauern und 
Handwerker aber, ob ihnen gar kein Amt oder 
ob ihnen ein solches zugänglich ist, ob auch sie 
Waflfen fuhren und mit in den Krieg ziehen sollen 
oder nicht — hierüber hat Sokrates nichts fest- 
gestellt; hingegen die Frauen, meint er, sollen 
mit in den Krieg ziehen und dieselbe Erziehung 
wie die 'Wächter* gemessen; im Uebrigen hat 
er seine Rede mit Betrachtungen aügeflillt, die 
nicht zur Sache gehören, und mit solchen, welche 
die Erziehung betreffen, wie diese fllr die Wächter 
eingerichtet werden solle. — Die '^Gesetze' nun piatons 

Gesetze. 

bestehen zum grössten Theil in der That aus 
Gesetzen, über die Verfassungsform hingegen hat 
er nur wenig gesagt. Und obgleich er sich vor- 
setzt, dieselbe den jetzigen Staaten anzunähern, 
biegt er sie doch bei Kleinem wieder zu der 
anderen, im 'Staat* entworfenen, hinüber. Denn 
mit Ausnahme der Frauen- und Vermögensge- 
meinschaft giebt er beiden Staaten dieselben 



76 II, 6. 

Einrichtungen. Die Erziehung ist dieselbe, die 
Bestimmungen darüber dass die Herrschenden von 
den nothwendigen Arbeiten befreit leben und 
über die Tischgßnossenschaft sind hier so wie 
dort. Nur sollen in dem Staat der 'Gesetze' 
auch Itir die Frauen Tischgenossenschaften be- 
stehen und während der * Staat' auf Tausend 
Wehrhafte, sind die 'Gesetze' auf filnftausend be- 
rechnet. Geistreiches nun haben immer alle Re- 
den des Sokrates und Feines und Neues und Ein- 
dringendes; dass jedoch Alles nun auch immer 
richtig sei, heisst wohl zu viel verlangt; wie 
z. B. gleich die eben genannte Menge t;ow fünf- 
tausend wehrhaften Bürgern, Für so Viele, darf 
man sich nicht verhehlen, ist ein Land wie das 
Babylonische oder sonst eines von unermesslichem 
Umfang nöthig, da fünftausend Nichtsthuer davon 
ernährt werden sollen und in deren Gefolge noch 
ein anderer vielmal grösserer Haufe von Frauen 
und Kindern. Nun muss man freilich beim Ent- 
wurf des besten Staates Voraussetzungen nach 
Wunsch machen, aber diese dürfen doch nichts 
Unmögliches enthalten. — Es heisst auch dort, 
der Gesetzgeber müsse die Gesetze mit Rücksicht 
auf zwei Punkte geben: auf das Landesgebiet 
und auf die Menschen. Dem ist es gut noch 
hinzuzufügen: 'auch mit Rücksicht auf die Nach- 
barländer', wofern der Staat ein staatliches Leben 
innerhalb der Staatenfamilie fuhren soll, denn er 



II, 6. 77 

mu»s zum Kriege über eine Wehrkraft verfligen 
können, die nicht bloss im eigenen Gebiet son- 
dern auch iUr das Ausland anwendbar ist. Und 
sollte auch Jemand ein solches politisch thätiges 
Leben weder für den Einzelnen noch fttr den 
gesammten Staat gutheissen, so bleibt doch um 
nichts weniger diess zu beachten, dass man sich 
den Feinden furchtbar zeigen muss, nicht bloss 
wenn sie in das Gebiet eingezogen, sondern auch 
nachdem sie wieder abgezogen sind. — Auch 
für den Umfang des Besitzes ist zu erwägen, 
ob nicht vielleicht eine andere ais die dort von 
Piaton aufgestellte Begrenzung besser, weil deut- 
licher ist. Er sagt nämlich, der Besitz solle so 
gross sein, dass man davon 'massig leben^ möge ; 
also ungefähr wie wenn man sagte 'gut leben\ 
Diess ist nun. aber zu allgemein. Und tiberdiess 
kann man 'massig' und dabei kümmerlich leben. 
Eine bessere Begrenzung bietet also wohl 'massig 
und eder — trennt man nämlich diese zwei Be- 
stimmungen, so würde die letztere mit Ueppigkeit, 
die erstere mit knappem Leben sich vertragen — ; 
und in der That sind ja diess die einzigen, bei 
dem Gebrauch des Vermögens in Frage kom- 
menden, löblichen Eigenschaften ; sanft und tapfer 
kann man sein Vermögen nicht gebrauchen, wohl 
aber massig und edel; mithin müssen eben die- 
selben Eigenschaften auch ftir den Besitz selbst 
die maassgebenden sein. — Auffallend ist es 



78 11, 6. 

zunfTer ^6^1^^^^? ^ass CT, Während er gleiches Vermögens- 
Kinderzahi. ^g^g^gg einfiihrt, doch hinsichtlich der Bürgermenge 

keine Vorkehrungen trifft, sondern das Kinder- 
zeugen ins Unbestimmte hin frei giebt, in der 
Meinung, es werde sich diess schon zu der 
ursprünglichen Bürgerzahl hinlänglich durch 
unfruchtbare Ehen auch bei unbegrenzter Kinder- 
zeugung ausgleichen, weil nämlich in den jetzi- 
gen Staaten eine derartige Ausgleichung statt 
zu finden scheint. Aber bei einer Staatseinrich- 
tung, wie er sie vorschlägt, braucht diess nicht 
eben so scharf zuzutreffen wie es bei den jetzigen 
der Fall ist. Jetzt ist Niemand ganz arm, weil die 
Vermögensquoten sich auf die ganze Bürgerzahl, 
wie gross diese auch sei, vertheilen können; 
• Piaton jedoch verbietet die Parzellirung, und 
dann ist die nothwendige Folge, dass die Ueber- 
zähligen, mögen es nun viele, oder wenige sein, 
gar nichts bekommen. Viel eher, sollte man 
glauben, als für das Vermögen müsste für das 
Kinderzeugen eine feste Grenze bestehen, so dass' 
Niemand über eine gewisse Zahl hinaus zeugen 
dürfte; und bei dieser Bestimmung der Kinder- 
menge wäre Rücksicht zu nehmen auf die ge- 
wöhnlichen Zufälle, wenn es sich z. B. träfe, 
dass nicht alle geborenen Kinder am Leben blei- 
ben, und auf Kinderlosigkeit anderer Bürger. 
Es aber ganz unbeschränkt zu lassen, wie es 
jetzt in den meisten Staaten ist, daraus muss 



n, 6. 79 

Bothwendig Armutb der Bürger CBtspringen, und 
Armuth wiederum erzeugt Aufruhr und Verbrechen. 
Der Korinthier Pheidon, einer der ältesten Gesetz- 
geber, war der Ansicht, die Hausstände müssten 
immer in gleicher Bürgerzahl erhalten werden, 
selbst wenn sie Alle von Anfang an Grundstücke 
von ungleicher Grösse besessen hätten. Hiervon 
wird gerade das Gegentheil in diesen 'Gesetzen' 
aufgestellt. Jedoch wie in diesem Punkt nach 
unserer Ansicht eine bessere Einrichtung zu treffen 
sei, kann erst später gesagt werden. — Unge- 
nügend sind auch in diesen/ Gesetzen' die Be- 
stimmungen über die Regierenden, worauf näm- 
lich der Unterschied zwischen denselben und den 
Regierten sich gründen solle. Er sagt darüber 
nur, dass, wie der Zettel aus anderer Wolle be- 
steht als der Einschlag, so sich die Regierenden 
zu den Regierten verhalten müssen. — Für das 
Gesammtvermögen gestattet er eine Vermehrung 
bis um das Fünffache, warum soll also dasselbe 
nicht auch flir Grundbesitz bis zu einem gewissen 
Maasse gelten? — Auch bei den getrennt bele- 
genen Hausstellen hat man zu bedenken, ob diess 
nicht wohl fllr die Bewirthschaftung wenig zu- 
träglich sein möchte. Er hat nämlich Jedem 
zwei Hausstellen an verschiedenen Plätzen an- 
gewiesen ; und in zwei Häusern wohnen ist doch 
misslich. — Die gesammte Staatsform nun soll 
weder Demokratie noch Oligarchie sein, sondern 



80 II, 6. 

der in der Mitte zwischen diesen liegende soge- 
nannte Verfassungsstaat (Politeia); denn nur die 
Schwerbewaffneten sind Bürger. Stellt er nun 
diese Staatsform hin als diejenige, welche mehr 
als die übrigen den Zuständen der bestehenden 
Staaten sich anschliesse, so hat er vielleicht 
Recht; will er sie jedoch für die beste nächst 
dem Idealstaat erklären, so hat er Unrecht; denn 
mancher dürfte wohl der Verfassung der Lakoner 
den Vorzug ertheilen, oder auch einer anderen 
mehr aristokratischen. — Nun behaupten zwar 
Manche, die beste Verfassung müsse aus allen 
Verfassungsarten gemischt sein, weshalb sie auch 
der lakedämonischen ihren Beifall geben; denn, 
wie die Einen sagen, sei sie aus Oligarchie, 
Monarchie und Demokratie zusammengesetzt; 
diese nämlich sehen in dem lakedämonischen 
Königthum ein monarchisches, in der Behörde 
der Aeltesten ein oligarchisches Element, und 
das demokratische liege in der Behörde der 
Ephoren, weil die Ephoren aus dem Demos ge- 
nommen werden. Andere halten das Ephoren- 
amt fllr Tyrannis, und finden vielmehr das demo- 
kratische Element in den Tischgenossenschaften 
und der sonstigen Einrichtung des täglichen 
Lebens. In diesen ^Gesetzen' wird nun aber ge- 
sagt, es müsse die beste Verfassung aus Demo- 
kratie und Tyrannis bestehen, die man doch 
entweder gar nicht fllr Verfassungsformen gelten 



n, 6. 81 

lassen kann, oder nur für die allerschlechtesten. 
Besser also sind die Vorschläge derer, welche 
die Mischung aus einer grösseren Anzahl von 
Verfassungsformen anstellen. Denn die Verfassung 
ist immer um desto besser, aus je mehr Verfassungs- 
formen sie zusammengesetzt ist. — Ferner hat 
dieser Staat der 'Gesetze^ offenbar gar nicht ein- 
mal ein monarchisches Element, sondern nur 
oligarchische und demokratische. Und zwar neigt 
sich die Richtung mehr zur Oligarchie. Deutlich 
tritt diess in der Bestellung der Beamten her- 
vor. Denn die Bestimmung, dass unter Erwählten 
geloost werde, ist zwar nach beiden Seiten un- 
parteiisch ; dagegen dass flir die Wohlhabenderen 
ein Zwang besteht in den Versammlungen zu 
erscheinen und die Beamten mitzuwählen oder 
an sonst einer öffentlichen Handlung theilzuneh- 
men, während die Uebrigen von einem solchen 
Zwange befreit sind — das ist oligarchisch, so 
wie auch das Streben, dass die Mehrzahl der 
Beamten aus den Reichen und für die höchsten 
Aemter aus den höchsten Vermögensklassen ge- 
nommen seien. Auch die Wahl des Raths setzt 
er in oligarchischer Weise fest. Bei dem ersten 
Wählen nämlich findet Zwang zum Wählen für 
Alle Statt, jedoch müssen die Gewählten hier 
zur ersten Klasse gehören ; dann wird unter glei- 
chen Bestimmungen aus der zweiten Klasse ge- 
wählt; dann aus der dritten, hier jedoch soll Itir 



82 II, 7. 

die Mitglieder der vierten Klasse kein Zwang 
zum Wählen stattfinden; und bei der Wahl aus 
der vierten Klasse findet nur für die Mitglieder 
der ersten und zweiten Zwang zum Wählen statt. 
Dann, sagt er, sollen aus den so Gewählten eine 
gleiche Zahl aus jeder Klasse ernannt werden. 
Die Mitglieder der höchsten Vermögensklassen 
werden also bei de^ Wahlen durch ihre grössere 
Anzahl und Tüchtigkeit den Ausschlag geben, 
da manche von den gemeinen Leuten, weil flir 
sie kein Zwang besteht, nicht mitwählen. — Dass 
man also eine solche beste Verfassung nicht aus 
Demokratie und Monarchie zusammensetzen dürfe, 
ergiebt sich aus dem Gesagten und aus dem, 
was noch späterhin gesagt werden soll, wenn 
wir zur Untersuchung über eine solche beste 
waiiTen.^ Vcrfassung gelangen. — Hinsichtlich der Beam- 
tenwahl ist auch noch zu bemerken, dass in dem 
indirecten Wahlverfahren, wonach aus einer 
grösseren Zahl in der Vorwahl Gewählter die 
eigentliche Wahl stattfindet, eine Gefahr liegt. 
Will nämlich eine Anzahl Leute, die gar nicht 
* gross zu sein braucht, fest zusammenhalten, so 
werden die Wahlen immer nach ihrem Willen 
ausfallen. — Mit der in den 'Gesetzen' aufge- 
stellten Staatsverfassung hat es also diese J5e- 
wandniss. 

Es liegen nun auch noch andere Verfassungs- 7 
entwürfe vor, theils von Privatleuten, theils von 



11,7. 83 

philosophisclien Staatsmännern, welche jedoch 
alle näher als diese beiden platonischen sich den 
geschichtlich gewordenen und jetzt geltenden 
Verfassungen anschliessen. Denn Niemand ausser 
Piaton ist auf Kinder- und Frauengemeinschaft 
verfallen, noch auch auf Tischgenossenschaften 
der Frauen, sondern sie gehen Alle mehr von 
dem Nothwendigen aus. Es glauben nämlich 
Manche, der Hauptpunkt sei eine zweckmässige 
Ordnung der Vermögensverhältnisse, da, wie sie 
sagen, immer aus diesem Anlass die Revolutio- 
nen entstehen ; deshalb hat auch Phaleas der r>er Staat 

des 

Chalkedonier zuerst dahin zielende Vorschläge p*»»^*^»« 
gemacht. Er sagt nämlich, der Besitz der Bür- 
ger müsse gleich sein. Für Staaten, die eben 
erst gegründet werden, lasse sich das, meinte er, 
unschwer bewerkstelligen; die schon bestehen- 
den Staaten auf eine solche Gleichmässigkeit zu- 
rückzuführen mache zwar etwas mehr Mühe, es 
werde aber am leichtesten dadurch erreicht, dass 
die Reichen Mitgift geben aber nicht bekommen,' 
die Armen bekommen aber nicht geben. Piaton 
hingegen, als er die 'Gesetze' schrieb, war der 
Ansicht, bis zu einer gewissen Grenze müsse man 
Freiheit lassen, mehr jedoch als das Fünffache 
des niedrigsten Vermögensmaasses dürfe keinem 
Bürger zu besitzen gestattet sein, wie schon s. oben s.79. 
früher gesagt. Die Entwerfer solcher Gesetze 
dürfen sich jedoch nicht verhehlen, was ihnen 



84 II, 7. 

jetzt allerdings verhohlen ist, dass wer eine be- 
stimmte Vermögensmenge festsetzt, auch gehalten 
ist, eine bestimmte Kindermenge festzusetzen; 
sonst muss, wenn die Zahl der Kinder die Menge 
des Vermögens übersteigt, das Gesetz unwirksam 
werden; und auch abgesehen von dem Uebel- 
* stand, der an sich schon in dem Vorhandensein 

eines unwirksamen Gesetzes liegt, ist es arg, 
wenn Viele, die reich gewesen, arm werden; 
denn es ist ein Wunder, wenn solche Menschen 
Gleichheit nicht ncuerungsstichtig sind. Dass nun Gleich- 
Sitzes, mässigkeit des Vermögens von einer gewissen 
Bedeutung für die staatliche Gemeinschaft ist, 
haben, wie man deutlich sieht, auch einige unter 
den Alten klar erkannt; in der solonischen Ge- 
setzgebung z. B. und auch anderswo ist es ge- 
setzlich verboten, seinen Grundbesitz beliebig zu 
vergrössern. Gleicherweise verbieten in manchen 
Staaten die Gesett^e den Verkauf des Eigenthums; 
in Lokri z. B. ist der Verkauf gesetzlich unter- 
sagt, wenn man nicht den Eintritt eines augen- 
scheinlichen Missgeschicks nachweisen kann. 
Auch noch für die Forterhaltung der alten Land- 
hufen giebt es gesetzliche Bestimmungen, und 
die Aufhebung derselben in Leukas machte die 
dortige Verfassung allzu sehr demokratisch ; denn 
nun wollte es nicht mehr gehen, dass nur Leute 
mit dem festgesetzten Census in die Aemter 
kämen. — Jedoch auch wenn Gleichheit des 



n, 7. 85 

Vermögens vorhanden ist, so kann dasselbe doch 
immer noch entweder so gar gross sein, dass 
Ueppigkeit entsteht, oder* so gar klein, dass man 
kümmerlich lebt. Offenbar also genügt es nicht, 
dass der Gesetzgeber das Vermögen gleich mache, 
sondern er muss auch das richtige Mittelmaass 
zu treffen suchen. Ja, selbst wenn Jemand das 
ilir Alle richtige Maass festgesetzt hätte, so ist 
auch damit noch nichts genützt. Denn mehr als 
das Vermögen ist es erforderlich die Begierden 
auszugleichen, und diess kann nicht geschehen, 
wenn nicht die Bürger mittelst der Gesetze 
zweckmässig erzogen werden. Aber, möchte 
vielleicht Phaleas sagen, gerade diess behaupte 
auch er. Er meint nämlich, in diesen zwei Stücken 
müsse Gleichheit herrschen, in Besitz und Er- 
ziehung. Aber welcherlei Erziehung es sein solle, 
muss angegeben werden; damit dass sie eine 
und dieselbe ist, wird nichts genützt. Denn sie 
kann eine und dieselbe und dabei noch immer 
so beschaflfen sein, dass sie die Menschen zu 
Habsucht oder zu Ehrsucht oder zu beiden 
geneigt werden lässt. Ferner ist es nicht 
richtig, dass nur Ungleichheit des Besitzes die 
Revolutionen veranlasst, sondern auch Ungleich- 
heit der Würden. Und zwar verhalten sich diese 
zwei Fälle in entgegengesetzter Weise. Die 
Masse macht Revolutionen wegen Ungleichheit 
in den Besitzverhältnissen, die feinen Leute we- 



86 II, 7. 

« 

gen der Würden, wenn diese gleich sind, worauf 
auch der Vers zurückgeht [Ilicts 9, 319] : ' Wird 
doch gleichviel Ehre dem Wichte zu Theil wie 
dem Edlen \ Auch werden die Menschen zu Ver- 
brechern nicht bloss wegen der nothwendigen 
Bedürfnisse, wogegen Phäleas in der Vermögens- 
gleichheit ein Mittel zu finden glaubt, so dass 
nun nicht mehr Frost oder Hunger zu Raub ver- 
leite, sondern sie begehen auch Verbrechen, um 
Angenehmes zu haben und nicht fortwährend 
begehren zu müssen. Denn wenn sie Begierde 
nach mehr als dem Nothwendigen haben, so wer- 
den sie Verbrechen begehen, um dieselbe zu 
stillen, ja nicht bloss um der Stillung dieser Be- 
gierde willen, sondern auch um lauter Lust ohne 
irgend ein Unangenehmes zu geniessen. Welches 
Heil giebt es nun für diese drei Klassen? T'ür 
die erste ein kleines Capital und Arbeit, ftir die 
zweite Mässigung, und was den dritten Fall an- 
geht, so dürfen die, welche sich aus sich selber 
vergnügen wollen, bei nichts als bei der Philo- 
sophie ihr Heil suchen. Denn alle andere Lust 
bedarf Menschen. — In der That geschehen die 
grössten Verbrechen um des Ueberfltissigen, kei- 
neswegs um des Nothwendigen willen, z. B. Ty- 
rann wird man nicht, um nicht zu frieren; da- 
her sind auch so grosse Ehrenbezeugungen üb- 
lich für den welcher, nicht einen Dieb, sondern 
einen Tyrannen tödtet. Also ist nur gegen die 



II, 7. 87 

kleinen Verbrechen eine Abhülfe in der Staats- 
form des Phaleas gewährt. — Ferner sieht er 
bei seinen meisten Einrichtungen nur darauf, 
dass durch sie die inneren Beziehungen der Bür- 
ger zu einander in gute Ordnung gebracht wer- 
den; jedoch die Beziehungen zu den benachbar- ^^^J*^J^^ 
ten und allen frejpiden Staaten müssen es nicht ^®°' 
minder sein ; es ist demnach unumgänglich, dass 
die Verfassung mit Rücksicht auf Kriegstüchtig- 
keit eingerichtet sei, und hierüber hat er nichts 
gesagt. Dasselbe gilt hinsichtlich des Besit:&es. 
Dieser nämlich muss nicht bloss in hinreichen- 
dem Mäasse für die inneren Staatsbedürfnisse 
vorhanden sein, sondern auch für Gefahren von 
aussen her. Also darf er einerseits nicht in so 
grosser Menge vorhanden sein, dass dadurch die 
Begierde übermächtiger Nebenstaaten erregt wird 
und die Besitzer dann ausser Stande sind, den 
Angriflf abzuwehren; und andererseits darf er nicht 
so unbedeutend sein, dass auch ein Krieg mit 
Staaten gleichen Ranges nicht bestritten werden 
kann. Phaleas nun hat hierftir gar keinen maass- 
gebenden Gesichtspunkt aufgestellt. Behält man 
es jedoch gebührend im Auge, dass Fülle des 
Besitzes bis zu einem gewissen Grade dem Staats- 
wohl förderlich ist, so darf man vielleicht diess 
ttir die zweckmässigste Begrenzung erklären, dass 
die mächtigeren Nebenstaaten ihre Rechnung 
nicht dabei finden dürfen, bloss wegen des über- 



88 n, 7. 

massigen Reichthums Krieg anzufangen, sondern 
diess gethan hätten, auch wenn die Angegriffenen 
nicht so reich gewesen wären. Ungefähr wie 
Eiibuios. Eubulos, als Autophradates sich anschickte, die 
Festung Atarneus zu belagern, diesen aufforderte, 
zu tiberschlagen, wie lange Zeit zur Eroberung 
des Platzes nötbig sein werde, und ftir diese 
Zeit die Kriegskosten zu berechnen ; er, Eubulos, 
sei nämlich bereit, nach Empfang auch einer 
geringeren Summe, gleich jetzt Atarneus zu räu- 
men. Durch diese Worte brachte er es dahin, 
dass Autophradates sich die Sache überlegte und 
von der Belagerung abstand. — Etwas freilich 
trägt nun wohl Gleichheit des Vermögens unter 
den Bürgern dazu bei, inneren Zwist zu verhü- 
ten, aber ein grosses Gewicht ist darauf kaum 
nach irgend einer Seite zu legen. Denn erstlich 
können nun leicht die feineren Leute erbittert 
werden, weil sie sich zu etwas anderem als bloss 
zu gleichem Theil berechtigt halten, wie ja auch 
die Erfahrung lehrt, dass sie oft aus diesem 
Grunde Verschwörungen und Aufstände machen. 
Und ferner ist die menschliche Schlechtigkeit 
unersättlich; anfänglich gentigt schon ein Zwei- 
obolensttick, der ursprüngliche Betrag des jedem 
Athener aus der Staatskasse gezahlten TJieater- 
geldes; ist diess einmal herkömmlich geworden, 
so verlangt man immer mehr, bis man sich ins 
Grenzenlose verliert. Denn in der That ist ja 



n, 7. 89 

die Begierde, ihrem Wesen nach, grenzenlos, und 
das Leben der meisten Menschen ist nur auf Be- 
friedigung der Begierden gerichtet. Für diese 
Dinge nun liegen die Heilmittel nicht sowohl im 
Gleichmachen des Vermögens, sondern darin, dass 
man die edleren Naturen dahin bringt, nichts 
voraus haben zu wollen, die niedrigen aber, 
nichts voraus haben zu können; welches letztere 
nur dann durchzuführen ist, wenn sie die Schwä- 
cheren sind und ihnen kein Unrecht geschieht. 
Aber auch hiervon abgesehen, ist was Phaleas 
über Gleichheit des Vermögens vorbringt, nicht 
einmal an sich betrachtet richtig. Denn er be- 
rücksichtigt bei seinem Gleichmachen nur den 
Grundbesitz, während doch auch der Reichthum 
an Sclaven, Viehstand, Münze und die vielfältigen 
Gegenstände der mobiliaren Einrichtung in An- 
schlag kommen. Entweder also muss man auf 
Gleichheit oder einen massig bestimmten höch- 
sten Ansatz in allen diesen Stücken ausgehen, 
oder aber völlige Freiheit lassen. — Offenbar Industrie in 

den Händen 

bringt er ferner bei einer Gesetzgebung, wie er ^^^ ®****^- 
sie vorschlägt, nur einen winzigen Staat zu Wege, 
wofern nämlich alle Gewerksieute Staatssclaven 
^ sein und also zur Ausfüllung der Zahl der Staats- 
mitglieder nichts beitragen sollen. Vielmehr, 
wenn überhaupt von diesem Vorschlag Gebrauch 
zu machen ist, so dürften Staatssclaven nur zu 
Arbeiten mit staatlichem Zweck verwendet und 



90 II, 8. 

die Einrichtung mttsste so getroffen werden, wie 
sie in Epidamnos besteht und Diophantos es in 
Athen einmal einzuttihren versuchte. — Aus dem 
Gesagten wird man hinlänglich ersehen, was 
Phaleas in seinem Verfassungsentwurf Richtiges 
oder nicht Richtiges vorgebracht hat. 

Der Erste aber unter den nicht praktischen 8 
Staatsmännern, welcher Etwas über die beste 
uer Staat Staatsform aufzustellen unternommen hat, war 

des Hippo- 

damos. Hippodamos, des Euryphon Sohn aus Milet, der- 
selbe, welcher den Städtebau mit getheilten Quar- 
tieren aufgebracht und im Piräeus die sich durch- 
schneidenden Strassen angelegt hat, und der übri- 
gens auch in seinem ganzen Auftreten aus Sucht 
sich auszuzeichnen so sehr in das Klügeln ge- 
rieth, dass er Manchen einen geckenhaften Ein- 
druck machte mit seiner Haarttllle und den kost- 
baren Schmucksachen bei einer zwar einfachen 
aber nicht bloss im Winter sondern auch zur 
Sommerzeit warmen Kleidung, wie er denn auch 
ein die ganze Natur umfassender Gelehrter sein 
wollte. Seinen Staat nun wollte er, was die Be- 
völkerung angeht, aus zehntausend Männern bil- 
den, und zwar sollte sie in drei Klassen getheilt 
sein ; eine Klasse nämlich Hess er aus Gewerks- 
ieuten bestehen, eine andere aus Bauern, und 
die dritte aus dem Wehrstand, welcher auch 
allein Waffen ftihrt. Nicht minder wollte er den 
Grund und Boden in drei Theile theilen, in 



II, 8. 91 

heiliges, öffentliches und Privatland; heiliges, 
wovon der übliche Götterdienst bestritten wer- 
den soll, staatliches, wovon die Wehrleute ihren 
Unterhalt beziehen sollen; und das der Bauern 
soll Privatland sein. Auch von Gesetzen, meinte 
er, gebe es nur drei Gattungen. Denn die Ge- 
genstände aller Prozesse seien nur drei an der 
Zahl, nämlich folgende: Verletzung der Ehre, 
Verletzung des Eigenthums, und Todtschlag. Auch 
wollte er einen obersten Gerichtshof eingeführt 
wissen, an welchen alle vermeintlich unrichtig 
entschiedenen Sachen gebracht werden sollten; 
und besetzen wollte er ihn mit einer Anzahl 
durch Wahl bestimmter Greise. Die richterlichen 
Urtheile, meinte er ferner,' dürfen nicht mittelst 
Kugelung abgegeben werden, sondern jeder Rich- 
ter solle ein Täfelchen einreichen, worauf er zu 
schreiben habe, wenn er einfach verurtheile; 
spreche er einfach frei, so bleibe es leer; wolle 
er aber beides nur theil weise thun, so habe er 
dieses näher anzugeben. Die jetzt hierüber gel- 
tenden Anordnungen seien, meinte Hippodamos, 
nicht zu billigen. Denn da die Richter nur mit 
Ja oder Nein entscheiden dürfen, so nöthige man 
sie ihren Eid zu verletzen. Auch wollte er ein 
Gesetz geben, dass denen, welche eine dem Staat 
nützliche Erfindung machten, Auszeichnungen zu 
Theil würden, und auch dass die Kinder der im 
Kriege Gefallenen Erziehung auf öflFentliche Ko- 



92 II, 8. 

sten erhielten ; als wenn diess bisher nirgends 
sonst eingeführt wäre, während doch sowohl in 
Athen wie in anderen griechischen Staaten dieses 
Gesetz in Wirksamkeit ist. — Die Beamten ferner 
sollen alle von der Gemeinde gewählt werden 
— die Gemeinde wiederum soll aus allen drei 
Klassen des Staates bestehen — und die Ge- 
wählten sollen die. öffentlichen, Fremden- und 
Waisen -Angelegenheiten unter ihre Obhut neh- 
men. — Hiermit sind die meisten und bemer- 
kenswerthesten Punkte der Verfassungsform des 
Hippodamos angegeben. 
Kritik des Zuvördcrst dürfte man nun Anstoss nehmen 

Staats des 

Hippoda- an der Klasseneintheilung der gesammten Btir- 
germenge. Die Gewerksieute nämlich, die Bauern 
und die Waffenführenden, sie Alle sollen Staats- 
bürger sein, die Bauern, während sie doch keine 
Waffen, die Gewerksieute, während sie doch we- 
der Grundbesitz noch Waffen haben, so dass sie 
fast zu Sclaven der Waffenflihrenden werden 
müssen. Dass diesen zwei letzteren Klassen 
nun alle Ehrenämter zugänglich seien, erweist 
sich als unaustührbar. Denn nothwendig müssen 
es Leute aus der waffenftihrenden Klasse sein, 
welche zu Feldherren, Bürgervögten und, möchte 
man sagen, gerade zu den einflussreichsten Aem- 
tern bestellt werden. Sind nun diese Aemter, 
mithin das Staatsbürgerrecht, den übrigen Klassen 
verschlossen, wie ist es dann denkbar, dass die- 



mos. 



11,8. 93 

selben dem Staate ergeben seien? Jedoch, wird 
man einwenden, mögen sie ergehen sein oder nicht, 
jedenfalls muss doch die eine Klasse, da sie ja 
allein Waffen führt, den beiden anderen Klassen 
zusammengenommen tiberlegen sein. Aber, ent- 
gegne ich, diess ist nicht so leicht, wenn die 
waiFenillhrehde Klasse nicht zahlreich ist; ist sie 
es aber, weshalb dann die übrigen für Voll- 
bürger erklären und die Bestellung der Beamten 
in ihre Hand legen ? Ferner, wozu/ nützen die 
Bauern in diesem Staat ? Gewerksieute sind aller- 
dings nothwendig; denn jeder Staat bedarf der 
Gewerksieute, und diese können sich auch in 
diesem Staat, wo sie keinen Grundbesitz haben 
sollen, so gut wie in den anderen Staaten mit 
dem Ertrage ihres Handwerks durchbringen. Aber 
die Bauern? sollten sie bloss der waflfenflihren- 
den Klasse ihren Unterhalt schaffen, so würden 
sie mit gutem Grunde eine Bürgerklasse bilden, 
jetzt aber besitzen sie eigenes Land und beibauen 
es für eigene Rechnung. — Ferner, bezüglich des 
Gemeinlandes, von welchem der Wehrstand sei- 
nen Unterhalt beziehen soll, entstehen folgende 
Bedenken: sollen es die Waflfenflihrenden selbst 
bebauen, so ist die Scheidung zwischen Krieger- 
und Bauernstand nicht vorhanden, welche durch- 
züttlhren doch die Absicht des Gesetzgebers ist. 
Sollen hingegen die Besteller des Gemeinlandes 
verschieden sein von den Bauern mit eigenem 



94 II, 8. 

Landbesitz und von den Kriegern, so entstände 
daraus ein vierter Bestandtheil des Staates, der 
gar keinen Staatsvortheil genösse und also der 
Verfassung abhold sein müsste. Endlich, wollte 
man die Bestimmung treffen, dass ein und die- 
selben Leute ihr eigenes und das Gemeiriland 
bestellen, so lässt sich erstlich von der Feldarbeit 
je Eines Ackermanns schwerlich eine solche 
Fruchtemenge erzielen als ftlr den Bedarf- je 
zweier Hausstände nöthig ist, und zweitens wa- 
rum sollen denn diese Landbesteller nicht gleich, 
ohne dass überhaupt eine Scheidung zmschen Pri- " 
vat' und Gemeinland stattfindet, von denselben 
Hufen sich ihren eigenen Unterhalt nehmen und 
den Kriegern den ihrigen liefern? Alles dieses 
Form des leidet also an grosser Verwirrung. — Ebensowenig 

Richter- 

spnichs. igt das Gesetz in Betreff der Richtersprtiche zu 
billigen, dass er nämlich, während doch die Klage 
einfach lautet, einen theilweisen Urtheilsspruch, 
foi:dert, und sonach den Richter zum Schieds- 
mann werden lässt. Bei Schiedsgerichten lässt . 
sich diess allerdings, auch wenn der Schieds- 
männer mehrere sind, wohl durchführen, weil man 
da sich unter einander über das Urtheil bespricht, 
in den Geschworenengerichten jedoch geht es 
nicht an, viehnehr treffen die meisten Gesetzge- 
ber gerade dafiir Vorkehrungen, dass die Rich- 
ter sich nicht unter einander besprechen. Fer- 
ner, wie soll Verwirrung beim Urtheil in dem 



II, 8. 95 

Falle vermieden werden, wenn der Richter zwar 
glaubt, dass eine Schuld vorliege, aber nicht in 
dem vom Kläger angegebenen Betrage? Z. B. der 
Kläger fordert zwanzig Minen, einer der Richter 
meint es gebühren ihm nur zehn Minen ( — oder 
welclie grössere Summe man für den Kläger und 
welche kleinere man für den Richter wählen 
will — ) ein anderer Richter meint ftinf, wieder 
ein anderer vier ( — denn natürlich werden sich 
die Meinungen in solcher Weise nach Bruchthei- 
len spalten — ) ausserdem erkennen einige Rich- 
ter dem Kläger seine ganze Forderung und einige 
erkennen ihm gar nichts zu. Wie soll nun in 
solchem Falle die Auszählung der Stimmen vor- 
genommen werden ? — Endlich liegt in dem ein- 
fachen Ab- oder Zuerkennen gar keine Nöthigung 
7.ur Eidesverletzung, wofern auch die Klage in 
der richtigen Form einfach gestellt ist. Denn 
der Aberkennende urtheilt nun nicht, dass gar 
keine, sondern dass keine Schuld in diesem Be- 
trage von zwanzig Minen vorliege, und erst der- 
jenige verletzt, seinen Eid, welcher, ohne an eine 
Schuld in diesem Betrage von zwanzig Minen 
zu glauben, ein zuerkennendes Urtheil abgiebt. — 
üass aber den Männern, welche etwas dem Staat 
Nützliches erfinden, eine Ehrenbezeugung gewährt 
werde — hierüber ein Gesetz aufzustellen ist 
nicht gefahrlos, und bloss wenn man es so hört, 
hat es einen guten Schein. Denn es zieht Schi- 



96 n, 8. 

kaue und, nach Umständen, auch Umwälzungen 
der Verfassung nach sich. Jedoch berührt sich 
dieser Punkt mit einem anderen Problem und 
einer eigens anzustellenden Untersuchung, mit 
der Frage nämlich, welche von Manchen aufge- 
worfen wird, ob Aendern an den väterlichen 
Satzungen, auch wenn sich etwas Besseres dafür 
darbietet, den Staaten schädlich, oder ob es för- 
derlich sei; hiernach dürfte man also schwerlich 
dem Vorschlag des Hippodamos so ohne Wei- 
teres zustimmen, falls das Aendern an sich nicht 
förderlich sein sollte, da es' ja leicht kommen 
kann, dass Jemand Aufhebung von alten Satzun- 
gen oder gar der Verfassung als eine öffentliche 
Wohlthat in Antrag bringt. 

Da wir nun aber einmaUauf diesen Punkt 
geführt worden, so wird es zweckmässig sein, 
ihn noch ein wenig zu erörtern. Denn, wie ge- 
sagt, die Sache hat ihre zwei Seiten, und wohl 
Gründe für könutc man glauben, das Aendern sei gut. We- 

die Neue- ° ' ° 

riingen. nigstcus iu dcu übrigen Wissenschaften hat es 
sich förderlich erwiesen, z. B. die über das vä- 
terliche Herkommen hinausgehenden Aenderun- 
gen in der Heilkunde, auch in der Gymnastik 
und überhaupt in allen Künsten und Fertigkeiten; 
und da in Eine Klasse mit diesen doch auch die 
Staatskunst zu setzen ist, so sollte man meinen, 
dass auch in ihr das Gleiche gelten muss. Die 
geschichtlichen Thatsachen selbst, könnte man 



n, 8. 97 

sogen, weisen daraufhin, da ja die alten Satzun- 
gen gar einfältig und barbarisch seien; stets 
trugen die Hellenen das Messer am Gürtel, und 
die Frauen kaufte Einer vom Anderen; und was 
sich irgendwo noch von alten Bräuchen erhalten 
hat, ist durchaus thöricht ; z. B. in Kyme besteht 
für Blutgerichte die Satzung, dass wenn der den 
Mord Einklagende eine Anzahl Zeugen aus seiner 
eigenen Vetterschaft beibringt, der Angeklagte als 
des Mordes schuldig angesehen wird. Ueber- 
haupt komme es ja allen Leuten nicht auf das 
väterliche Herkommen sondern auf das an, was 
das Beste ist. Und ferner sind doch wohl die 
ersten Menschen, sei es dass sie Erdentwachsene 
waren oder aus irgend welchem allgemeinen 
Untergang entrannen, nur wenige und von gewöhn- 
lichem Schlage und — was den Erdentwachsenen 
ja auch die Sage ausdrücklich beilegt — unver- 
ständig gewesen, so dass es doch seltsam wäre, 
an dem festhalten zu wollen, was solchen Men- 
schen gut dünkte. Ueberdiess sei Unabänderlich- 
keit nicht einmal bei den aufgeschriebenen Ge- 
setzen rathsam. Denn so wie bei den übrigen 
Künsten sei es auch bei staatlichen Ordnungen un- 
möglich, Alles in schriftlicher Aufzeichnung zu er- 
schöpfen, da ja die schriftliche Fassung noth wendig 
eine allgemeine ist, während die Anwendung 
es mit dem Besonderen der Einzelfälle zu thun 
hat. Hiernach also wäre es erwiesen, dass zu 

7 



98 II, 8. 

gewissen Zeiten Aenderung gewisser Gesetze ge- 
boten ist. — Von einer anderen Seite betrachtet, 
Gründe scheint ledoch die Sache grosse Vorsicht zu ver- 

gegen die «' *-' 

rangln, langen. Ist nämlich die Verbesserung nur gering, 
und liegt hingegen in der Gewöhnung, leichthin 
die Gesetze aufzuheben, etwas Schlimmes, so ist 
es klar, dass man gegen manche Missgriflfe sowohl 
der Gesetzgeber als der Behörden nicht ein- 
schreiten darf; denn der Vortheil der Neuerung 
würde den Schaden nicht aufwiegen, der daraus 
entsprijigt, dass man sich an Unbotmässigkeit 
gegen das Bestehende gewöhnt. — Das von den 
Künsten hergenommene Beispiel ist ebenfalls 
trügerisch. Denn Aenderung in einer Kunst und 
Aenderung im Gesetz stehen sich nicht gleich. 
Die ganze Kraft des Gesetzes, sich Gehorsam zu 
verschaffen, beruht allein auf der Gewohnheit, 
und diese bildet sich nur im Lauf der Zeit aus. 
Also ist das leichte Uebergehen von den be- 
stehenden Gesetzen zu anderen neuen Gesetzen 
eine Schwächung des innersten Wesens des Ge- 
setzes. — Endlich, angenommen dass Aenderung 
von Gesetzen überhaupt rathsam sei, ist sie 
es bei allen Gesetzen und in jeder Verfassungs- 
form, oder nicht? soll die Aenderung von jeder 
beliebigen oder von bestimmten, dazu befugten 
Personen ausgehen? Diese Unterschiede sind von 
grosser Bedeutung. Wir wollen also lieber diese 
Untersuchung fallen lassen; denn sie erfordert 
mehr Zeit, als wir jetzt haben. 



II, 9. 99 

9 Bei der Verfassung der Lakedämonier und Die spar- 

tsnlsche 

der kretischen und wohl auch bei allen anderen Verfassung. 
Verfassungen sind zwei Punkte zu untersuchen: 
erstlich, ob die gesetzlichen Bestimmungen der 
besten staatlichen Ordnung entsprechen, oder 
nicht entsprechen; zweitens, ob etwas in ihnen 
dem Grundgedanken und der Eigenthümlichkeit 
derjenigen Verfassung widerstrebt, welche die 
Gesetzgeber selbst sich zum Ziel gesteckt haben. 
Dass nun, wenn ein edles Staatsleben bestehen 
soll, die Bürger der niederen Nothdurftsarbeit 
enthoben sein müssen, wird allgemein zugestanden. 
In welcher Weise jedoch diese Enthebung be- 
werkstelligt werden muss, ist anzugeben nicht 
leicht. Leibeigene, die für die Bürger arbeiten, 
werden oft gefährlich. Hat sich doch die thessa- 
lische Penestenschaft häufig gegen die Thessaler 
erhoben, und nicht minder die Heloten gegen Heloten. 
die Lakonen; in der That lauern sie gleichsam 
im Hinterhalt stets auf Unglücksfälle des lakoni- 
schen Staats. Bei den Kretern allerdings ist 
bis jetzt dergleichen noch nicht vorgekommen; 
der Grund liegt vielleicht darin, dass dort von 
den benachbarten Städten, obgleich sie sich 
gegenseitig bekriegen, doch keine sich mit den 
aufständischen Hintersassen verbündet, weil diess 
gegen ihr eigenes Interesse wäre, da sie ebenfalls 
Hintersassen haben; die Lakedämonier hingegen 
hatten lauter Erbfeinde zu Nacbbaren, Argeier 



100 n, 9. 

und Messenier und Arkader, die vor einem Bund- 
niss mit den Heloten sich nicht scheuten ; wie ja 
auch die anfanglichen Empörungen bei den 
Thessalern nur stattfanden, weil diese noch immer 
Grenzkriege zu führen hatten mit Achäern und 
Perrhäbern und Magneten, welche ebenfalls sich 
mit den Penesten einliessen. Und auch von allem 
Anderen abgesehen, so macht doch jedenfalls 
die Beaufsichtigung der Leibeigenen viel zu 
schaffen; auf welche Art soll man sie behandeln? 
Hält man sie in loser Zucht, so werden sie tiber- 
müthig und wollen ihren Herren gleichstehen; 
wird ihnen das Leben sauer gemacht, so gehen 
sie mit bösen Anschlägen um und hegen Hass. 
Die Lakedämonier also, welchen mit ihrer Helo- 
tenschaft das Letztere begegnet, sind gewiss nicht 
die Erfinder der besten Art, Leibeigene zu be- 
handeln. — Die schlaffe Zucht ferner in Betreff 
Die Frauen dcr Fraucu thut Eintrag sowohl dem Hauptzweck 

in Sparta. 

ihrer Verfassung als auch der Staatswohlfahrt 
an sich. Wie nämlich das Haus in Mann und 
Weib getheilt ist, so muss man auch den Staat 
fast ganz so ansehen, als bestehe er aus einer * 
Zweitheilung in männliche und weibliche Be- 
völkerung; mithin darf man sagen, dass in allen 
Verfassungen, wo es mit den Frauen schlecht 
bestellt ist, der halbe Staat ohne Gesetzgebung 
sei. Und diess ist dort in der That eingetreten. 
Denn während der Gesetzgeber den ganzen 



11,9. 101 

Staat sittenstrcDg haben will, so fuhrt er diese 
Absicht zwar unverkennbar durch rticksichtli<5li 
der Männer, bei den Frauen aber hat er es nicht 
genau genommen. Wirklich leben diese aus- 
schweifend in jedem Sinne des Worts und tippig. 
Unter einer solchen Verfassung muss dann auch 
Reichthum viel gelten, besonders wenn Weiber- 
regiment herrscht, wie das meistens bei den die 
Soldtruppen liefernden und überhaupt bei den 
kriegerischen Stämmen der Fall ist, die Kelten 
ausgenommen und wo etwa noch sonst man sich 
offen der Knabenliebe ergiebt. Wohl nicht ohne 
Grund, scheint es, hat wer zuerst diesen Mythos 
ersann, den Ares mit der Aphrodite gepaart. 
Denn, wie die Erfahrung lehrt, sind alle der- 
gleichen Leute entweder von der Leidenschaft 
zu Männerumgang oder zu dem mit Frauen be- 
sessen. Daher war es auch bei den Lakonen so, 
und zur Zeit als sie die erste griechische Macht 
waren ging Vieles durch die Hände der Frauen. 
Und worin besteht denn nun der Unterschied, 
ob Frauen Beamte sind oder die Beamten sich 
von den Frauen beherrschen lassen? Das Ergeb- 
niss ist beidemal dasselbe. Während nun ferner 
Keckheit bei keinem der alltäglichen weiblichen 
Geschäfte, sondern höchstens im Kriege von 
Nutzen ist, so waren die Frauen der Lakonen 
auch nach dieser Seite im höchsten Grade schäd- 
lieh. Bei dem Einfall der Thebaner haben sie 



102 11,9. 

(las deutlich bewiesen. Brauchbar waren sie zu 
nichts, wie es in anderen Städten doch die Frauen 
sind, Lärm aber machten sie noch mehr als der 
Feind. Ursprünglich nun scheint bei den La- 
konen aus begreiflichen Gründen diese schlaffe 
Zucht der Frauen entstanden zu sein. Denn, 
draussen zu Felde liegend,, entfremdeten sie sich 
der Heimath, als sie lange Zeit Krieg führten 
erst gegen die Argeier und dann gegen die Ar- 
kader und Messenier. Und als nun ruhige Zeiten 
kamen, fügten sich allerdings die Männer dem 
Gesetzgeber, da diese im Soldatenleben, das ja 
nach vielen Seiten sittliche Tüchtigkeit ausbildet, 
eine Vorschule durchgemacht hatten ; die Frauen 
jedoch soll Lykurgos zwar, wie es heisst, zu 
seinen Gesetzen hinzuflihren versucht haben, als 
sie sich aber sperrten, wieder davon abgestanden 
sein. Auf solche Anlässe also können die that- 
sächlichen Verhältnisse und mithin allerdings 
auch dieser auf die Frauen bezügliche Verfassungs- 
fehler zurückgefllhrt werden. Aber wir unter- 
suchen hier nicht, was verzeihlich und was nicht 
verzeihlich, sondeni was richtig und was nicht 
richtig ist. 

Wie nun schon vorhin gesagt, wirft der Miss- 
stand mit den Frauen nicht bloss an sich einen 
Flecken auf die Verfassung, sondern befördert 
auch die Geldsucht. Diess führt uns auf den 
Punkt, welcher nach dem bisher Besprochenen 



II, 9. 103 

zunächst dem Tadel ausgesetzt ist: die Ungleich- Beeitzver- 
mässigkeit des Besitzes. Es ist nämlich bei ihnen ^p*^- 
dahin gekommen, dass Einige ein gar grosses, 
Andere ein überaus kleines Vermögen haben; 
weshalb dann auch der ganze Grundbesitz in 
die Hände weniger Personen tibergegangen ist. 
Hierüber sind auch die gesetzlichen Bestimmun- 
gen fehlerhaft. Kauf oder Verkauf des Familien- 
guts hat nämlich der Gesetzgeber mit einem 
Makel belegt, und daran hat er Recht gethan; 
es jedoch zu verschenl^en oder zu vermachen hat 
er nach Belieben freigestellt. Gleichwohl sind 
die Folgen nothwendig dieselben in diesem wie 
in jenem Fall, Auch gehören fast zwei Fünftel 
des ganzen Bodens den Frauen, weil ^ie Zahl 
der Erbtöchter beträchtlich ist und weil man 
grosse Mitgiften giebt. Gleichwohl wäre doch 
besser festgesetzt, dass gar keine oder eine kleine 
oder doch wenigstens nur eine massige Mitgift 
gegeben werde. Jetzt hingegen steht es dem 
Vater frei, grosse Mitgift zu geben und auch die 
den Grundbesitz erbende Tochter an wen es ihm 
beliebt zu verheirathen; und stirbt er ohne letz- 
willige Verfügung, so kann sie der hinterblei- 
bende Erbe seines übrigen Vermögens verheirathen 
an wen er will. So kam es denn auch dass, 
obgleich das Land im Stande ist ftinfzehnhundert -* 
Reiter und dreissigtausend Schwerbewaffnete zu 
ernähren, die Zahl der Spartiaten nicht einmal 



104 II, 9. 

tausend betrug. Dass diese Verhältnisse bei 

ihnen schlecht geordnet sind, ist auch durch die 

* 

einfachen geschichtlichen Thatsachen erwiesen 
worden. Eine einzige Niederlage konnte der 
Staat nicht tiberdauern, sondern ging zu Grunde 
an Menschenmangel. Unter den früheren Königen 
nun habe man, wird erzählt, das Bürgerrecht an 
Nichtbürger ertheilt und deshalb sei, obgleich 
anhaltend Krieg geführt wurde, damals doch kein 
Menschenmangel eingetreten; ja einstmals sollen 
die Spartiaten sogar sich auf zehntausend be- 
laufen haben. Mag diess nun wahr sein oder 
nichl^ jedenfalls wird zweckmässiger als durch 
Ausdehnung des Bürgerrechts die reichliche Be- 
völkerung des Staats durch gleichmässige Ver- 
theilung des Besitzes erstrebt. Auch das Gesetz 
über das Kinderzeugen ist der Verbesserung 
dieses Misstandes hinderlich/ Weil nämlich der 
Gesetzgeber die Zahl der Spartiaten so gross 
als möglich sehen will, treibt er die Bürger an, 
möglichst viele Kinder zu zeugen; so haben sie 
denn ein Gesetz, dass wer drei Söhne gezeugt 
hat, von der 'Kriegswacht', wer vier, von jeder 
Leistung entbunden ist. Gleichwohl springt es 
doch in die Augen, dass wenn die Bevölkerung 
wächst, während der Boden in solcher Weise 
vertheilt ist, nothwendig auch die Zahl der 
Armen steigen muss. — Nicht minder sind die 
Bestimmungeil über das Ephorenamt fehlerhaft. 



II, 9. 105 

Dieser Behörde als solcher steht die Entschei- Ephoren. 
düng über die wichtigsten Angelegenheiten Spar- 
ta's zu; es kommen jedoch nur Leute aus dem 
Demos hinein, so dass oft gar arme Menschen 
in . das CoUegium gerathen, und solche waren 
dann aus Noth käuflich. Zu wiederholten Malen 
hat sich diess in fiilheren Zeiten herausgestellt 
und auch jetzt wieder bei der Andrischen Sache. 
Einige Ephoren nämlieh, die mit Geld bestochen 
waren, richteten, so weit an ihnen war, den 
ganzen Staat zu Grunde. Und ferner sahen sich, 
weil diese Behörde so gar mächtig und unum- 
schränkt wie ein Tyrann gebietend ist, die Könige 
gezwungen, den Ephoren den Hof zu machen, 
so dass auch diess mit zum Verderb der Ver- 
fassung beitrug. Demokratie nämlich ward nun 
was Aristokratie gewesen war. Ein die Ver- 
fassung zusammenhaltendes Band ist dieses CoUe- 
gium allerdings. Denn nun bleibt der Demos 
ruhig, weil ihm das wichtigste Amt zugänglich 
ist; und jedenfalls also, mag dieses Ergebniss 
von dem Gesetzgeber beabsichtigt, oder zufällig 
sein, ist die Einrichtung politisch vortheilhaft. 
Denn wenn eine Verfassung sich behaupten soll, 
so müssen alle Klassen des Staats das Bestehen 
und unveränderte Fortdauern derselben wtinschens- 
werth finden. Diese Anhänglichkeit an die Ver- 
fassung ist in Sparta bei den Königen vorhan- 
den in Folge ihrer eigenen Ehrenstellung, bei 



106 II, 9. 

^ 

den gebildeten Ständen, in Folge der Geinisia; 
denn dieses Amt ist ein Preis, der durch Tüch- 
tigkeit errungen wird; bei dem Demos aber ist 
jene Anhänglichkeit vorhanden in Folge des Epho- 
renamts; denn zu demselben sind Alle ohne Aus- 
nahme wählbar. Demnach wäre es zwar richtig, 
dass zu diesem Amt Wählbarkeit für Alle ohne 
Ausnahme bestände, nur dürfte das Wählen nicht 
in der jetzigen Weise geschehen. Denn diese ist 
gar kindisch. — Wichtige Kechtsurtheile ferner 
haben die Ephoren zu fällen, während sie doch 
Leute beliebigen Schlages sind; es wäre also 
besser, dass sie nicht, wie jetzt geschieht, nach 
persönlichem Ermessen urtheilten, sondern nach 
dem Buchstaben des Gesetzes. — Auch dsCs täg- 
liche Leben der Ephoren stimmt nicht zu der 
sonstigen Richtung des Staates; es ist nämlich 
ein gar lockeres, während ftlr die übrigen Bürger 
in diesem Punkt die Uebertreibung eher nach 
der Seite ^ der Härte stattfindet, so dass sie es 
nicht aushalten können, sondern verstohlen, gleich- 
sam als Ausreisser vor dem Gesetz, die sinnlichen 
Freuden gemessen. — Auch mit der Behörde 
Geronten. der Gcroutcn ist es dort nicht fehlerfrei bestellt. 
Wären die Mitglieder ordentliche und genügend 
zu allen Eigenschaften eines braven Mannes heran- 
gebildete Leute, so könnte man vielleicht sagen, 
die Einrichtung sei dem Staat vortheilhaft, ob- 
gleich auch dann noch der Punkt, dass sie 



II, 9. 107 

lebenslänglich wichtige Rechtsentscheidungen fäl- 
len, sein Bedenken hätte; denn es giebt ein 
Altern der Geisteskraft, so gut wie des Körpers. 
Da sie nun aber dergestalt gebildet sind, dass 
der Gesetzgeber selbst ihnen als nicht braven 
Männern misstraut, so liegt hierin eine Gefahr. 
In der That ist es erwiesen, dass die Mitglieder 
dieser Behörde sich bestechen lassen und die 
öffentlichen Angelegenheiten vielfach persönlicher 
Gunst opfern. Daher wären auch diese Geron- 
ten besser nicht unverantwortlich, wie sie es 
jetzt sind. Man könnte freilich einwenden, dass 
ja alle Behörden der Ephorenbehörde verant- 
wortlich sind. Aber erstlich wird damit wieder- 
um der Ephorie ein gar grosses Machtgeschenk 
verliehen, und dann meinen wir auch nicht, dass 
die Verantwortlichkeit der Geronten in solcher 
allgemeinen Weise stattfinden soll. — Die Art 
ferner, wie sie dort die Wahl der Geronten vor- 
nehmen, ist erstlich, was den entscheidenden 
Wahlact betriflft, kindisch, und auch dass wer 
Itir das Amt würdig befunden werden soll, selbst 
darum bitten muss, ist nicht richtig. Denn der 
des Amts Würdige soll Beamte sein, möge er 
wollen oder nicht. Jetzt aber tritt auch hierin 
der Gedanke hervor, welcher den Gesetzgeber 
bei den übrigen Theilen der Verfassung geleitet 
hat. Er legt es nämlich darauf an, die Bürger 
ehrsüchtig zu machen, und Leute von diesem 



108 II, 9. 

Charakter hat er also auch für die Gerontenwahl 
ins Auge gefässt; denn Niemand als ein Ehr- 
süchtiger wird darum bitten, Beamte zu werden. 
Gleichwohl entspringen die meisten absichtlichen 
Rechtsverletzungen, welche in der Welt vorkom- 
men, fast nur aus Ehrsucht und Geldsucht. — 
Die Könige. Was die Königswürde anlangt, so soll die Frage, 
ob ihr Nichtbestehen für die griechischen Staa- 
ten besser sei oder ihr Bestehen, anderswo be- 
sprochen werden. Jedenfalls jedoch wäre es 
besser dass, anders als es jetzt geschieht, bei 
jedem Könige nur auf das gesehen würde was 
er persönlich ist und thut. Dass nun aber in 
Lakedämon nicht einmal der Gesetzgeber selbst 
es für möglich hält, die Könige zu edlen und 
braven Männern auszubilden, ist deutlich. Wenig- 
stens bezeigt er ihnen Misstrauen, als seien sie 
nicht hinlänglich brave Männer. Deshalb schickte 
man auch, wenn sie sich ausser Landes begaben, 
als Beigeordnete ihre Feinde mit, und sah in 
der Zwietracht der Könige eine Bürgschaft für 
den Staat. — Unrichtig sind auch die gesetz- 
phiditia. liehen Bestimmungen über die Tischgenossen- 
schaften, die sogenannten Phiditia, von dem fest- 
gestellt, der sie zuerst eingeführt hat. Es müssten 
nämlich diese Zusammenkünfte lieber auf öffent- 
liche Kosten stattfinden, wie in Kreta. Bei den 
Lakonen hingegen muss jeder Einzelne beitragen, 
obgleich manche sehr arm sind und diese Aus- 



( 



II, 9. ' 109 

gäbe nicht zu bestreiten vermögen; das Ergeb- 
niss ist also ein der Absicht des Gesetzgebers 
geradezu widersprechendes. Es soll nämlich die 
Anstalt der Tischgenossenschaften eine demokra- 
tische sein; in dieser Form jedoch wird sie Alles 
eher als demokratisch. Denn ftlr die gar Armen 
ist es nicht leicht, sich daran zu betheiligen, 
während die herkömmliche Grenze des Bürger- 
rechts bei ihnen diese ist, dass wer jene Bei- 
steuer nicht zu entrichten vermag, kein Bürger- 
recht ausüben kann. — Das Gesetz über die 
Admiralswürde haben schon Andere getadelt, und 
ihr Tadel ist richtig; denn es ist eine Quelle der 
Zwietracht. Neben den Königen nämlich, die 
unabsetzbare Generale sind, steht nun die Admi- 
ralswürde fast wie ein zweites Königthum. — 
Gegen den Grundgedanken des Gesetzgebers aber 
lässt sich auch noch folgender Tadel aussprechen, 
wie ihn Piaton in den 'Gesetzen^ wirklich ausge- 
sprochen hat. Das ganze System der Gesetze 
ist nämlich auf Eine Seite der Tugend berechnet, 
auf kriegerische Tugend, weil diese zur Herr- 
schaft verhilft. So ging es ihnen denn auch 
gut, so lange sie Krieg fahrten; zu Grunde aber 
gingen sie, als sie die erste griechische Macht 
geworden waren, weil sie nicht verstanden in 
Müsse zu leben, und keine andere Ausbildung 
von höherem Gewicht als die kriegerische sich 
angeeignet hatten. — ■ Von nicht minderer Be- 



110 11,10. 

deutung ist folgender Irrthum : sie sind der An- 
sicht, dass die Güter, fllr welche die Menschen 
Alles aufs Spiel zu setzen pflegen, eher durch 
Tugenden als Untugenden zu erlangen sind; 
und hierin haben sie gewiss Recht; dass sie nun 
aber jene Güter fllr vorzüglicher achten als die 
Tugend, darin haben sie nicht Recht. — Auch 

Finanzen, mit dcu Staatsfinanzcu ist es bei den Spartiaten 
übet bestellt. Vorräthig haben sie im öffentlichen 
Schatz nichts fllr den Nothfall eines grossen Krie- 
.ges, und die ausserordentlichen Steuern entrich- 
ten sie schlecht; weil nämlich der Grundbesitz 
meistens in den Händen von Spartiaten ist, mag 
ein Spartiate des Anderen Steuern nicht contro- 
liren. Und so hat denn der Gesetzgeber die 
gerade Umkehrung des richtigen Verhältnisses 
herbeigeftthrt. Den Staat nämlich hat er geld- 
arm, und die Einzelnen geldsüchtig gemacht. — 
So viel mag über die Verfassung der Lakedä- 
monier genügen; denn hiermit sind die Punkte 
berührt, gegen welche sich vorzüglich Einwen- 
dungen machen lassen. 

Die kreti- Die krctischc Verfassung ist nun zwar das lo 

sehe Ver- 

fassung. Seitenstück der lakedämonischen; jedoch, mögen 
auch einige geringe Bestandtheile derselben nicht 
schlechter sein, so ist doch das Meiste weniger 
abgerundet. Spricht ja Wahrscheinlichkeit wie 
Ueberlieferung daflir, dass die Verfassung der 
Lakonen in den meisten Stücken die kretische 



II, 10. 111 

zum Vorbild gehabt hat, und das Alte ist 
ja gewöhnlich weniger scharf ausgeprägt als 
das Neuere. Lykurgos nämlich soll, als er 
nach Niederlegung der Vormundschaft über den 
Charillos auf Reisen ging, die längste Z^eit in 
Kreta verweilt haben, wozu ihn die Stammver- 
wandtschaft veranlasste. Denn die Lyktier waren 
von denLakonen ausgesandte Ansiedler, und als 
sie zur Ansiedlung auf die Insel kamen, trafen 
sie das fragliche System von Gesetzen schon in 
Geltung unter den damaligen Einwohnern. Des- 
halb leben auch jetzt noch die Hintersassen, die 
Ueberreste der alten Bevölkerung, in unveränderter 
Weise nach diesen Gesetzen, weil die erste Fest- 
stellung des gesammten Systems derselben auf 
Minos zurückgeht. Es scheint nun die Insel 
für die Herrschaft über Hellas von der Natur 
bestimmt und trefflich gelegen zu ^ein. Denn 
sie beherrscht durch ihre Lage das ganze Mittel- 
meer, und die Hellenen haben ja fast Alle ihre 
Sitze um das Mittelmeer herum. Auf der einen 
Seite ist die Entfernung vomPeloponnes nur ge- 
ring, auf der anderen ist der nächste Punkt 
Asiens schon die Gegend um Triopion und Rho- 
dos. Daher hat auch Minos sich der Herrschaft 
über das Mittelmeer bemächtigt und die Inseln 
theils sich unterworfen theils mit Ansiedelungen 
besetzt und schliesslich sich gegen Sicilien ge- 
wandt, wo er bei Kamikos den Tod fand. — 



112 n,io. 

Die Aehnlichkeit nun zwischen dem kretischen 
System und dem lakonischen bestellt in Folgen- 
dem. Für die Spartiaten bauen die Heloten das 
Feld, flir die Kreter die Hintersassen; und auch 
Tischgenossenschaften sind bei Beiden, ja vor 
Alters führten sie sogar bei den Lakonen nicht 
den Namen Phiditia sondern Andria, wie bei 
den Kretern — ein deutliches Zeichen dass sie 
von dorther stammen. Ferner ist das Verfassungs- 
system ähnlich. Denn die Ephoren haben die- 
selbe Stellung wie die in Kreta sogenannten 
Kosmoi, nur dass die Zahl der Ephoren itinf, 
die der Kosmoi zehn ist. Die spartanischen 6e- 
ronten stehen den Aeltesten gleich, welche bei den 
Kretern Rath heissen. Das Königthum bestand 
wenigstens früher in Kreta so gut wie in Sparta; 
dann haben es die Kreter abgeschafft, und der 
Oberbefehl im Kriege steht jetzt den Kosmoi zu. 
An der Volksversammlung haben Alle Theil, je- 
doch besitzt sfe keine andere Befugniss als die 
Beschlüsse der Kosmoi und der Aeltesten durch 
ihre Abstimmung mitzubestätigen. — Die Tisch- 
genossenschaften sind bei den Kretern besser 
eingerichtet als bei den Lakonen. In Lakedämon 
nämlich muss Jeder kopfweise den festgesetzten 
Beitrag einliefern, wonicht, so ist ihm, wie schon 
s. oben s. 109. früher erwähnt, gesetzlich die Ausübung des 
Bürgerrechts untersagt. In Kreta dagegen ist 
es mehr Staatssache. Von -allem Früchte- und 



11,10. 113^ 

Heerdenertrag nämlich, ferner von den Domä- 
nen und den Abgaben, welche die Hintersassen 
entrichten, ist ein Theil ausgesetzt zum Behuf 
des Götterdienstes und der laufenden staatlichen 
Ausgaben, und ein anderer Theil für die Tisch- 
genossenschaften, so dass Alle auf öflfentliche 
Kosten unterhalten werden, Weiber, Kinder und 
Männer. Auch damit man wenig esse, welches 
er für heilsam hält, hat der Gesetzgeber vielerlei 
ersonnen, so wie auch um die Frauen von den 
Männern entfernt zu halten, damit sie nicht viele 
Kinder bekommen; zu solchem Zwecke hat er 
den Umgang der Männer untereinander einge- 
führt. Ob dieser vom Uebel oder nicht vom Uebel 
sei, wird zu untersuchen sich eine andere Gele- 
genheit bieten. Dass jedoch die Einrichtung der 
Tischgenossenschaften bei den Kretern besser ist 
als bei den Lakonen, leuchtet ein. Dagegen ist 
es mit den Kosmoi noch schlechter bestellt als Koamoi. 
mit den Ephoren. Denn der Uebelstand, an dem 
' > -^' das EphorencoUegium leidet, ist auch in dem 

'f -' "- der Kosmoi vorhanden; es kommen nämlich Leute 

' .a ' -' beliebigen Schlages hinein. Das Gute hingegen, 

n V'- ' welches in Sparta für die Verfassung daraus ent- 

n. h ^ ' springt, findet sich hier nicht. Weil dort nämlich 

U'^'^' . alle Bürger dazu wählbar sind, wünscht der De- 

;7,flj. ^' mos, dem ja nun das höchste Amt oflfen steht, den 

t[j>L':3^ Bestand der Verfassung. Hier aber wählt man die 

s iif:T^ Kosmoi nicht aus allen Bürgern, sondern aus ge- 

8 



•••• .^ 



^ti, '.'r ' 



/ ri.'' 



JU 11,10. 

wissen Geschlechtern, und die Aeltesten wählt man 
aus den gewesenen Kosmoi. Auf diese Aeltesten 
wiederum findet dasselbe Anwendung, was über 
die entsprechende Gerontenbehörde in Lakedämon 
bemerkt wurde. Mit der Unverantwortlichkeit 
nämlich und Lebenslänglichkeit wird ihnen eine 
über Gebühr hohe Stellung eingeräumt, und dass 
sie ihre Verwaltung nicht nach niedergeschrie- 
benem Gesetz, sondern nach persönlichem Er- 
messen ttihren, ist gefährlich. Dass aber der De- 
mos, obgleich ihm jene Aemter verschlossen sind, 
dennoch ruhig bleibt, zeugt keineswegs tlir die 
Richtigkeit der Bestimmung an sich. Auch Geld 
nehmen die Kosmoi nicht, wie es doch die Epho- 
ren thun, jedoch liegt hierin ebenfalls kein Be- 
weis ftir die gute Einrichtung dieser Behörde, 
denn es geschieht bloss deshalb nicht, weil sie 
auf einer Insel fern von denen wohnen, welche 
sie bestechen könnten. Die Art aber, wie sie 
jenen Verfassungsfehler ins Gleiche bringen, ist 
ungereimt, und hat nichts von Bürgerthum, son- 
dern nur von Adelswirthschaft an sich. Oft näm- 
lich verbinden sich gegen die Kosmoi Einige 
ihrer eigenen Amtsbrüder oder Privatleute und 
jagen sie aus dem Amt; auch ist es den Kosmoi 
gestattet, vor abgelaufener Zeit ihr Amt nieder- 
zulegen. Alles dieses nun geschähe besser nach 
einem objectiven Gesetz und nicht nach subjec- 
tivem Belieben ; denn das ist keine sichere Rieht- 



n, 10. 115 

schnür. Das AUerschlimmste aber ist die Sus- 
pension der Kosmenbehörde, die oft von Mäch- 
tigen herbeigefUhrt wird, welche sich einer Ver- 
urtheilung entziehen wollen; und hierin zeigt es 
sich deutlich, dass diese Staatsform zwar etwas 
vom Bürgerthum hat, aber nicht Bürgerthum ist • 
sondern vielmehr Adelswirthschaft. Sie pflegen 
nämlich, indem sie sich aus ihrem Anhang un- 
ter dem Demos und aus ihren vornehmen Freun- 
den Parteien bilden, alle Beamten abzusetzen 
und Aufruhr zu machen und sich unter einander 
zu bekriegen. Dergleichen aber heisst doch wahr- 
lich nichts anderes, als dass ein solcher Staat 
tlir eine Weile gar kein Staat mehr ist, sondern 
der staatliche Verband sich auflöst. 'Auch von 
aussen^ bedroht ist ein Staat, wo es so hergeht, 
da die, welche ihn angreifen wollen, diess nun 
auch leicht können. Jedoch, wie gesagt, er hält 
sich durch seine örtliche Lage; die insularische 
Abgelegenheit nämlich bewirkt in Kreta von vorn 
herein, was die Spartaner durch Fremdenvertrei- 
bungen erreichen. Das ist auch der Grund wes- 
halb bei den Kretern die Hintersassenschaft ruhig 
bleibt, während die Heloten oft abfallen. Die s.obens.99. 
Kreter nämlich sind nicht wie die Spartaner In- 
haber eines auswärtigen Reichs, und Fremden- 
krieg hat erst vor Kurzem den Weg übers Meer 
auf die Insel gefunden, wobei denn auch die 
Schwäche der. dortigen Gesetze alsbald zu Tage 



116 11,11. 

getreten ist. ~ Soviel sei also über diese Ver- 
fassung gesagt. 
i>/cka^,Jia- Auch die Karchedonier gelten dafür, dass sie 11 

glsche Ver- *^ ' 

fassting. ^jj^g g^^g ^jjj jjj vielen Punkten vor den übri- 
gen Staaten ausgezeichnete Verfassung haben 
und manches darin besonders der lakonischen 
ähnlich sei. Diese drei Verfassungen nämlich 
stehen sich wohl untereinander eben so nahe als 
sie insgesammt von den übrigen weit abweichen : 
erstlich die kretische, zweitens die lakonische, 
und die dritte in der Reihe ist die der Karche- 
donier. In der That sind viele Einrichtungen 
bei den Karchedoniern lobenswerth. Ein Zeichen 
wohlgeordneter Verfassung liegt schon darin, dass 
der Demos gutwillig bei der Verfassungsforra be- 
harrt und weder nennenswerther Aufruhr noch 
ein Tyrann dort vorgekommen ist. Aehnlichkei- 
ten mit der lakonischen Verfassung hat sie, in- 
sofern die Tischgenossenschaften der 'Vereine^ 
den lakonischen Phiditia entsprechen, die Be- 
hörde der Hundertviermänner den lakonischen 
Ephoren; — nur wird, was keineswegs ein Nach- 
theil ist, diese karchcdonische Behörde mit Rück- 
sicht auf persönliche Tüchtigkeit gewählt, wäh- 
rend die Ephoren aus Leuten beliebigen Schlages 
genommen sind — ; endlich entsprechen die kar- 
chedonischen Könige und der Aeltestenrath d«n 
lakonischen Königen und Greronten; und zwar ist 
dieses bei den Karchedoniern besser, dass die Kö- 



11,11. 117 

nige weder aus einem und demselben Geschlecht 
stammen müssen, noch aus jedem beliebigen stam- 
men dürfen, und dass der Aeltestenrath nicht nach 
blosser Rücksicht auf das Alter, sondern durch 
Wahl aus den Reichen besetzt wird. Denn da 
den Aeltesten grosse Befugniss zusteht, so kön- 
nen sie, wenn es geringe Leute sind, grossen 
Schaden stiften und haben ihn thatsächlich im 
lakedämonischen Staat gestiftet. 

Die meisten Ausstellungen nun, welche mit Be- 
zug auf die Abweichungen von der besten Staats- 
form zu machen wären, treffen alle drei genannten 
Verfassungen gemeinschaftlich; hinsichtlich der 
Widersprüche gegen den Grundgedanken der 
einmal gewählten Verfassung, welcher eine Aristo- 
kratie und Politeia erstrebt, ist von der karche- 
donischen zu sagen, dass in ihr Einiges vielmehr 
nach Demokratie, Anderes nach Oligarchie hin- 
tiberneigt. Allerdings, was und was nicht an die 
Volksversammlung zu bringen sei, hängt von den 
Königen unter Zuziehung der Aeltesten ab, wenn 
alle Stimmen einhellig sind; wo nicht, so hat 
auch darüber die Volksversammlung zu entschei- 
den. Bringen nun aber die Könige etwas an die 
Versammlung, so ist derselben damit nicht eine 
blosse Keuntnissnahme von den Beschlüssen der 
Behörden gewährt, sondern die Mitglieder der 
Versammlung sind zum Urtheilen befugt, und 
wer will, darf gegen die eingebrachten Vorschläge 



118 11,11. 

sprechen, was in den zwei anderen Verfassungen, 
s. oben s. 112. der kretischen und lakedämonischen, nicht so ist. 
Hierin liegt demnach ein Hinneigen istir Demo- 
Jcratie. Dass dagegen die Ftinferkammern, welche 
viele wichtige Befugnisse hahen, siöh cooptiren, 
dass diese Ftinferkammern die Hundertmänner, 
d. h. die höchste Behörde, wählen, dass ferner 
die Mitglieder dieser Kammern länger als die 
Mitglieder anderer Behörden Beamte sind — 
denn sie sind Beamte nach ihrem Austritt und 
vor ihrem Eintritt — das ist oligarchisch; dass 
hinwieder die Beamten ohne Gehalt und nicht 
erloost sind, und was von ähnlichen Bestimmungen 
sich etwa sonst noch findet, ist flir aristokratisch 
anzusehen ; auch dieses, dass, wie in Lakedämon, 
s. unten s. 133. allc Rcchtssachcn von den festen Behörden, nicht 
von wechselnden Geschworenen , abgeurtheilt 
werden. 

Am meisten jedoch schlägt die Staatsfonn der 

Karchedonier aus der Aristokratie zur Oligarchie 

über in Folge einer Ansicht, welche den Beii'all 

der öflFentlichen Meinung findet. Man glaubt näni- 

Beichthiim der lich, dic Bcamtcn müssten nicht bloss mit Rtick- 

Beamten. 

sieht auf Trefflichkeit, sondern auch auf Kcich- 
thum gewählt werden; denn dass ein Dürftiger, 
der sich seinen Lebensunterhalt durch Arbeit ver- 
dienen muss, hinlängliche freie Zeit habe um sein 
Amt löblich zu verwalten, sei unmöglich. Ist 
demnach die Wahl mit Rücksicht auf Reichtbum 



11,11. 119 

oligarchisch, die Wahl mitRticksiclit auf Trefflich- 
keit aristokratisch, so wäre diese, ReirMlmm und 
TrefftichJceit verbindende Form als eine dritte 
zu rechnen, nach welcher denn auch die Karche- 
donier ihre Verfassung eingerichtet hätten. Denn 
sie sehen bei ihren Wahlen auf diese beiden 
Punkte und vorzüglich bei der Wahl der höchsten 
Aemter, der Könige und Feldherren. In dieser 
Abweichung von der Aristokratie hat man nun 
aber vielmehr einen Fehler der Gesetzgebung zu 
erkennen. Denn es gehört mit zum Wesentlichsten, 
gleich von vorn herein datiir zu sorgen, dass 
die Besten im Stande seien, von Arbeit zu feiern 
und doch nichts Unschönes zu begehen, nicht 
bloss wenn sie Beamte, sondern auch nicht ein- 
mal wenn sie Privatleute sind. Aber zugegeben, 
dass man auch auf Wohlhabenheit der Beamten 
sehen müsse, damit sie freie Zeit haben, so ist 
es doch schlimm, dass die höchsten Aemter käuf- 
lich sind, das Königsamt wie das Feldherrenamt. 
Denn dieses Gesetz bewirkt, dass Reichthum 
höher als Trefflichkeit geschätzt und der ganze 
Staat geldsüchtig wird, da, wenn die leitenden 
Stände etwas flir schätzenswerth ansehen, ihrem 
Vorgang dann nothwendig die Meinung auch der 
übrigen Bürger nachfolgt. Wo aber Trefflichkeit 
nicht über Alles geschätzt wird, da kann die Ver- 
fassung keine wahrhaft aristokratische sein. Fer- 
ner liegt es in der Natur der Sache, dass wenn 



Aemter- 
kaiif. 



120 11,11. 

der Eintritt in das Amt Kosten verursacht, die 
Aemterkäufer sich nun auch gewöhnen, etwas 
bei dem Amt zu verdienen. Denn während jeder 
Arme, mag er noch so brav sein, zu verdienen 
wünscht, so wäre es doch seltsam, wenn Leute von 
minder gutem Charakter, dergleichen jene Aemter- 
häufer sind, diess da nicht wünschen sollten, wo 
sie Kosten gehabt haben. Also, man muss den Satz 
aufstellen: Beamte sollen sein die, welche die 
besten Beamten sein können; und wenn die kar- 
chedonische Gesetzgebung auch im Uebrigen sich 
um die Armuth der braven Männer nicht küm- 
mern wollte, so wäre es doch besser gewesen, 
wenigstens während sie Beamte sind, dafür zu 
sorgen, dass sie freie Zeit haben. — Für tadel- 
haft darf es auch gelten, dass Einer mehrere 
cumuiation Acmtcr vcrwaltet, was bei den Karchedoniern 

der Aemter. ^ 

ein beliebtes Verfahren ist. Denn Ein Geschäft 
wird von Einem besonders dazu bestimmten am 
besten besorgt ; und darauf, dass diese möglichst 
gute Besorgung der Geschäfte stattfinde, muss 
die Gesetzgebung sehen und nicht vorschreiben, 
dass ein und derselbe Mensch als Flötenspieler 
und Schuhmacher fungire. Also, in einem nicht 
allzu kleinen Staat ist die Theilnahme einer grös- 
seren Anzahl an den Aemtern ein bürgerthüm- 
licheres, und, weil minder ausschliesslich, auch 
ein volksthUmlicheres Verfahren; und, wie ge- 
sagt, es wird so jedes einzelne Geschäft treff- 



II, 12. 121 

lieber und schneller besorgt. Man kann das im 
Kriegs- und Seewesen wabrnebmen; denn auf 
diesen beiden Gebieten verzweigt sich das Be- 
fehlen wie das Gehorchen durch fast alle Bethei- 
ligten. — Obgleich nun aber die Verfassung der 
Karchedonier oligarchisch ist, so wissen sie doch 
auf sehr gute Art sich vor Aufruhr seitens des 
Demos zu schützen, nämlich durch Bereicherung 
dessellben, indem sie immer einen anderen Theil 
des Demos in die unterworfenen Städte zur An- 
Siedlung aussenden. Hierdurch nämlich heilen 
sie die Schäden ihrer Verfassung und geben ihr 
Dauer. Aber gerade dieses ist vom blossen Glück 
abhängig, während doch Aufruhr durch die Ge- 
setzgebung verhütet sein soll. Wie es jetzt ist, 
so würden, wenn einmal ein Unglück eintreten 
und die Mehrzahl der unterthänigen Gebiete ab- 
fallen sollte, die Gesetze kein Mittel darbieten, 
die Ruhe zu erhalten. — Um die Verfassung 
der Lakedämonier und die kretische und die der 
Karchedonier, welche mit Recht in Ansehen ste- 
hen, ist es demnach so bestellt. 



12 Unter denjenigen, welche Meinungen über Ver- Notizen- 

gammlung 

fassungswesen geäussert haben, sind einige in gei^gg'e^r' 
gar keinen Staatsgeschäften gewesen, sondeni 
ihr ganzes Leben hindurch Privatleute geblieben. 
Was über diese etwa zu sagen ist, wurde wohl 



122 11,12. 

ohne Ausnahme schon im Vorhergehenden erledigt. 
Andere sind theils für ihre eigenen theils auch 
fitr einige auswärtige Staaten Gesetzgeber ge- 
worden, und haben selbst Staatsgeschäite ver- 
waltet; und von diesen wiederum haben die Ei- 
nen nur Gesetze geliefert, die Anderen auch Ver- 
fassungen, z.B. Lykurgos und Solon ; denn diese 
haben sowohl Gesetze als Verfassungen einge- 
führt. Ueber die Verfassung der Lakedämonier 
ist schon gesprochen; was Solon angeht, so mei- 
nen Einige, er sei ein trefflicher Gesetzgeber ge- 
wesen; denn er habe die Oligarchie aufgehoben, 
die allzu ungemildert gewesen, habe der Knecht- 
schaft des Demos ein Ende gemacht und die an- 
gestammte Demokratie unter richtiger Mischung 
der Verfassungselemente festgestellt; denn der 
Kath im Areopag sei eine oligarchische Einrich- 
tung, Besetzung der Aemter durch Wahl sei eine 
aristokratische, und die Geschworenengerichte 
eine demokratische. Es scheint jedoch, dass Solon 
jene zwei Einrichtungen, den Rath und die Be- 
Setzung der Aemter durch Wahl, schon vorge- 
funden und nur nicht abgeschaflft, die Stellung 
des Demos dagegen neu geschaffen hat, dadurch 
dass er die Geschworenengerichte aus allen Bür- 
gern besetzte. Deshalb tadeln ihn auch Manche; 
denn er habe, sagen sie, die andere nichtdemo- 
Jcratische Seite der Verfassung unwirksam ge- 
macht, indem er die oberste Befugniss über Alles 



II, 12. 123 

dem Geschworenengericht einräumte, das doch 
erloost sei. Nachdem nämlich dieses Geschwore- 
nengericht erstarkte, habe man in Liebedienerei 
gegen den Demos wie gegen einen Tyrannen, 
die Verfassung auf die jetzige Form der Demo- 
kratie gebracht; dem Kath im Areopag habe Ephi- 
altes die Gewalt gekürzt im Verein mit Perikles ; 
die Geschworenenrichter zu Söldlingen gemacht 
habe Perikles; und in dieser Weise habe jeder 
Demagoge es immer weiter getrieben bis auf die 
jetzige Form der Demokratie. Oflfenbar jedoch 
ist dieses nicht nach Solons Absicht eingetreten, 
sondern mehr durch Fügung der Ereignisse; 
weil nämlich die in den medischen Zeiten erwor- 
bene Seeherrschaft dem Demos verdankt wurde, 
so begann er sich zu fühlen, und als die Vor- 
nehmen eine Gegenpartei bildeten, nahm er sich 
schlechte Führer. Solon selbst jedoch hat dem 
Demos wohl nur den allemothwendigsten Ein- 
fluss eingeräumt, nämlich die Behörden zu wäh- 
len und ihnen Rechenschaft abzufordern; denn 
wenn der Demos auch nicht einmal diese Befug- 
niss hätte, so wäre er geknechtet und der Ver- 
fassung feindlich gesinnt. Dagegen hat Solon 
alle Aemter ohne Ausnahme mit Vornehmen und 
Wohlhabenden besetzt aus den Fünfhundertscheff- 
lern, den Zeugiten und einer dritten Klasse, der 
sogenannten Ritterschaft. Die vierte Klasse wird 
von Tagelöhnern gebildet, und diese hatten zu 



124 11,12. 

keinem Amte Antritt. — Gesetzgeber waren auch 
Zaleukos für die epizcphyrischen Lokrer und 
Charondas aus Katana liir seine Mitbürger und 
die übrigen chalkidischen Städte in Italien und 
Sicilien. — Einige versuchen auch eine unui^ter- 
brochene Reihenfolge von Gesetzgebern nachzu- 
weisen, so nämlich, dass Onomakritos der erste 
gewesen, welcher das Gesetzgeben tüchtig ver- 
standen; geübt habe sich aber dieser, obgleich 
er ein Lokrer war, in Kreta, wo er auf An- 
lass seiner Weissagekunst Verweilte. Dieses Ono- 
makritos Freund sei nun Thaies gewesen, Schü- 
ler des Thaies aber seien Lykurgos und Zaleu- 
kos, und wiederum 'des Zaleukos Schüler sei 
Charondas gewesen. Jedoch bei diesen Aufstel- 
lungen sind die chronologischen Verhältnisse nicht 
genau erwogen. — Noch war auch Philolaos aus 
Korinth Gesetzgeber bei den Thebanern. Dieser 
Philolaos war aus dem Geschlecht der Bakchia- 
den; er bekam ein Liebesverhältniss mit Dio- 
kles, dem Sieger in Olympia, und als dieser 
seine Vatei*stadt Korinth verliess aus Abscheu 
gegen die verbrecherische Liebe seiner Mutter 
Halkyone, ging er mit ihm fort nach Theben, 
und dort beschlossen beide ihr Leben. Noch jetzt 
zeigt man ihre Gräber, die sich sonst von Einem 
Standpunkt aus gemeinsam überblicken' lassen, 
nimmt man aber die Richtung nach dem korin- 
thischen Gebiet, so erblickt man nur 4as eine, 



11,12. 125 

das andere nicht. Dabei erzählt die Sage, sie 
hätten ihr Grab in dieser Weise angelegt, weil 
Diokles, ira Ingrimm über das ihm widerfahrene 
Unheil, gewollt habe, dass das korinthische Land 
von seinem Grabhügel aus nicht zu sehen, Phi- 
lolaos dagegen, dass es zu sehen sei. Auf sol- 
chen Anlass also siedelten sie sich bei den The- 
banern an, und Philolaos gab denselben Gesetze 
über manche andere Dinge und auch über das 
Kinderzeugen, die dort sogenannte Adoptionsord- 
nung, und diess ist eine ihm eigenthümliche Ge- 
setzesbestimmung, damit nämlich die Zahl der Hu- 
fen unverändert bleibe. — Charondas hat nichts Ei- 
genthtimliches, ausser den Klagen wegen falschen 
Zeugnisses; denn das sogenannte Umstossver- 
fahren hat er zuerst aufgebracht. In scharfer 
und runder Fassung der Gesetze jedoch thut er 
es sogar den heutigen Gesetzgebern ^uvor. — Dem 
Phaleas eigenthümlich ist die Gleichmachung des 
Vermögens; dem Piaton ist die Gemeinschaft der 
Frauen, der Kinder, des Vermögens eigenthüm- 
lich, auch noch die Tischgenossenschaften der 
Frauen, ferner das Trinkgesetz, dass nämlich 
die Nüchternen den Vorsitz beim Gelage ilihren, 
und das Gesetz über die kriegerischen Uebungen, 
dass man sich gewöhne auf beiden Händen rechts 
zu sein; denn es gebühre sich, dass von den zwei 
Händen nicht bloss die eine brauchbar und die 
andere unbrauchbar sei. — Von Drakon giebt es 



126 ' 11,12. 

zwar auch Gesetze, aber er hat nur flir eine schon 
vorhandene Verfassung die entsprechenden Ge- 
setze festgestellt. Eigenthiimlich ist in diesen 
Gesetzen nichts, das Erwähnung verdiente, ausser 
der in dem hohen Strafansatz sich zeigenden 
Härte. — Auch Pittakos hat nur Gesetze gelie- 
fert und keine Verfassung. Eigenthiimlich ist 
ihm die Bestimmung, dass Trunkene lUr Verge- 
hen einer höheren Strafe unterliegen als Nüch- 
terne. Weil nämlich Uebermuth häufiger bei 
Trunkenen als bei Nüchternen vorkommt, so hat 
er nicht die grössere Nachsicht, die man den 
Trunkenen schenken dürfte, ins Auge gefasst, 
sondern das öffentliche Wohl. — Auch Andro- 
damas von Rhegion war noch Gesetzgeber tUr 
die Chalkider auf dem thrakischen Vorlande; 
es giebt von ihm Bestimmungen über den Blut- 
bann und die Erbtöchter. Etwas Eigenthüm- 
liches jedoch lässt sich wohl von ihm nicht an- 
führen. 



Hiermit seien denn die Betrachtungen über die 
Verfassungen beschlossen, sowohl über die prak- 
tisch geltenden, wie über die von einigen Schrift- 
stellern vorgeschlagenen. 



Drittes Buch. 



1 Bei der Untersuchung über Wesen und Eigen- 
schaften der einzelnen Staatsverfassungen hat 
man wohl zuerst den Begriff ^Staat' zu betrachten 
und zu sehen, was doch eigentlich den Staat 
ausmache. Bisher nämlich giebt es hierüber ge- 
theilte Meinungen, indem von einem Staatsact 
die Einen behaupten, er sei vom Staat, die An- 
deren, nicht vom Staat sondern von der Oligarchie 
oder von dem Tyrannen sei er ausgegangen. 
Die Feststellung dieses Begriffs ist für unseren 
Zweck unumgänglich, weil ja offenbar diegesammte 
Thätigkeit sowohl des Staatsmannes als des Ge- 
setzgebers sich auf das bezieht was Staat ist und 
die Staatsverfassung in einer die Bewohner des 
Staats umschliessenden Ordnung besteht. Da 
nun aber der Staat in die Reihe der zusammen- 
gesetzten Dinge gehört, so gut wie irgend eines 
der übrigen Dinge, welche zwar Ganze aber aus 
vielen Gliedern zusammengefügt sind, so erhellt, 
dass zuvörderst der Begriff des Bürgers erörtert 
werden muss, weil ja eine Anzahl Bürger den 
Staat bilden. Wir hätten also zu untersuchen, 

9 



130 IIL 1. 



7 



Begriff des wem dcr Name Bürger zukommt und was der 

Bürgers. 

Begriff des Bürgers ist. Denn auch darüber, 
wer Bürger sei, sind die Meinungen vielfach ge- 
theilt. Nicht Alle erkennen einstimmig denselben 
als Bürger an. Mancher, der in Demokratien 
Bürger ist, ist in Oligarchien oft nicht Bürger. 
— Von vorn herein nun sind bei dieser Unter- 
suchung diejenigen zu beseitigen, welche auf 
irgend einem aussergewöhnlichen Wege die Be- 
nennung Bürger erlangt haben, z. B. die Ehren- 
bürger. Was nun aber den wahren Bürger an- 
geht, so kann erstlich das Wohnen an einem be- 
stimmten Ort ihn nicht zum Bürger machen. 
Denn diese Gemeinschaft des Wohnens umfasst 
auch Insassen und Sclaven. Ebensowenig kön- 
nen die, welche zum Rechtsverband in so fern 
gehören, dass sie gegenseitig zu Recht stehen 
und prozessiren, dadurch allein schon zu Bür- 
gern werden. Denn dieses findet sich auch bei 
Angehörigen verschiedener Staaten, zwischen de- 
nen Handelsverträge bestehen, da auch jener Ge- 
richtszwang für die durch solche Verträge Ver- 
bundenen statt findet. Die Insassen jedoch ha- 
ben vieler Orten nicht einmal an dieser Gerecht- 
same vollständigen Antheil, sondern müssen sich 
einen gerichtlichen Vertreter bestellen, so dass 
sie also nur in unvollständiger Weise an solcher 
Rechtsgemeinschaft Theil haben. Jedoch atif alle 
diese Unterschiede haben wir hier nicht eirnsu- 



III, 1. 131 

gehen; es ist damit wie mit Knaben, die ihrer 
Jugend wegen noch nicht in die Btirgerliste ein- 
getragen, oder mit Greisen, die ihrer Bürger- 
pflichten enthoben sind; auch von diesen muss 
map in gewissem Sinne sagen, sie seien Bürger, 
jedoch nicht so ganz schlechthin, sondern man 
muss hinzufügen, dass die Einen unreife, die 
Anderen tiberlebte Bürger sind, oder welchen ähn- 
lichen Ausdruck man sonst will; denn darauf 
kommt nichts an. Was wir meinen ist deutlich. 
Es ist uns zu thun um den Bürger schlechthin, 
gegen den sich kein, eine Einschränkung ver- 
langender, Einwand erheben lässt; wollte man 
auf jene Fragen über die Insassen eingehen, so 
Hessen sich ebensolche auch in Betreff der f\ir 
ehrlos Erklärten und der Verbannten sowohl auf- 
werfen als lösen. Der Begriff des Bürgers 
schlechthin wird nun aber durch nichts anderes 
wesentlicher bestimmt als dadurch, dass er mit- 
entscheidende Stimme und amtliche Gewalt hat. 
Ein Theil der.Aemter freilich erleidet zeitliche 
Unterbrechung, so dass manche von derselben 
Person überhaupt nicht zweimal oder erst nach 
Verlauf festgesetzter Fristen verwaltet werden 
dürfen; es giebt aber auch einen unaufhörlichen 
Beamten, nämlich den Geschworenen und den 
Stimmberechtigten in der Volksversammlung. 
Nun möchte vielleicht Jemand sagen, die eben 
Genannten seien gar keine Beamten, und das 



132 III, 1. 

was sie sind, gebe ihnen noch keinen Antheil an der 
Gewalt. Obschon es lächerlich ist, denen, welche 
den entscheidendsten Einfluss haben, die Gewalt 
abzusprechen. Jedoch es soll darauf nicht ankom- 
men; denn es handelt sich hierbei nur um Worte. Es 
giebt nämlich für das dem Geschworenen und dem 
in der Volksversammlung Stimmberechtigten Ge- 
meinsame kein gebräuchliches Wort, mit welchem 
man beide zusammenfassend benennen könnte. 
Der Deutlichkeit wegen sei daflir der Ausdruck 
'unaufhörliche Amtsgewalt^ gestattet. Für Bürger 
demnach gelten uns diejenigen, welche in solcher 
Weise an der Amtsgewalt Theil haben. — Aller- 
dings passt nun die gegebene Definition von 
Bürger wohl am besten auf Alle, die gewöhnlich 
Bürger heissen. Man darf jedoch nicht über- 
sehen,, dass überall, wo die unter Einen Begriff 
fallenden Dinge der Art nach verschieden sind und 
das eine begrifflich das erste, ein anderes das 
zweite, ein anderes das folgende ist, es für diese 
Dinge als solche, entweder durchaus kein, oder 
doch nur in dürftiger Weise etwas Gemeinsames 
giebt. Nun sind aber die Verfassungen offenbar der 
Art nach von einander verschieden und die einen 
sind begrifflich später, die anderen früher; die ver- 
fehlten nämlich und die ausgeschrittenen müssen 
ja nothwendig später sein als die fehlerlosen— was 
s. miton H. 153. wir uutcr ausgeschrittenen meinen, wird weiterhin 
deutlich werden — ; also muss auch der Bürger in 



111,1. • 133 

jeder einzelnen Verfassung ein Anderer sein. Die 
gegebene Definition von Bürger trifft demnach am 
meisten ftir die Demokratie zu, ftlr die übrigen Ver- 
fassungen kann sie wohl zutreffen, muss es aber 
nicht. In manchen nämlich giebt es keine Ge- 
meinde und sind keine regelmässigen Volksver- 
sammlungen üblich, sondern nur ausserordentlich 
berufene; auch ist die Gerichtsbarkeit unter be- 
stimmte Behörden vertheilt, wie z. B. in Lake- 
dämon die verschiedenen Civilklagen von ver- 
schiedenen Ephoren, die Klagen wegen Todt- 
schlag von den Geronten und wohl auch andere 
Klagen von irgend einer anderen Behörde ent- 
schieden werden. Ebenso ist es auch in Kar- s. obens. ii8. 
chedon. Alle Prozesse nämlich werden dort von 
bestimmten Behörden abgeurtheilt. Jedoch man 
braucht deshalb die obige Definition von Bürger 
noch nicht aufzugeben, da sich ihr nachhelfen 
lässt. In den nicht demokratischen Verfassun- 
gen nämlich ist der in der Versammlung Stimm- 
berechtigte und der Richter nicht ein unauf- 
hörlicher Beamte, sondern ein in seiner Amts- 
gewalt zeitlich begrenzter, da dort solchen be- 
grenzten Beamten, sei es allen oder einigen, die 
Befugniss zuertheilt ist, zu rathen und zu richten, 
sei es über alle oder über einige Angelegen- 
heiten. Der Begriff des Bürgers also ist hier- 
aus deutlich. Wem nämlich der Eintritt in ein 
berathendes oder entscheidendes Amt freisteht, 



134 III, 2. 

von dem dürfen wir dann sagen, er sei Bürger 
des bezüglichen Staats, und Staat nennpn wir, 
schlechthin gesprochen, eine zu unabhängigem 
Leben hinreichende Anzahl solcher Bürger. — 
Für die Praxis pflegt man wohl den Bürger zu 2 
definiren, als einen, der nach beiden Seiten Bürger 
zu Eltern hat, nicht bloss nach Einer Seite, Vater 
oder Mutter. Manche steigen auch hierbei noch 
weiter hinauf, z. B. bis zu zwei oder drei oder 
noch mehr Ahnen. Da man nun so geschätls- 
mässig und aus dem Groben zu definiren pflegt, 
finden Einige jenen dritten oder vierten Ahnen 
schwierig, auf welchen Grund der nun Bürger 
GorgiuB. sein solle. Gorgias der Leontiner, der sich in 
Larisa aufhielfy sagte einmal, theils weil er diese 
Schwierigkeit vielleicht wirklich nicht lösen 
konnte, theils weil er spotten wollte : sowie Mörser 
diejenigen seien, die von Mörsermachermeistern 
gemacht worden, so seien Bürger von Larisa 
diejenigen, die von den Bürgermeistern dazu ge- 
macht worden; denn es gebe in Larisa Bürger- 
meister, die man Larisermacher nennen könne. 
Die Sache ist jedoch einfach. Haben nämlich 
jener dritte und vierte Ahn gemäss der oben von 
uns aufgestellten Definition das Bürgerrecht be- 
sessen, so waren sie wirklich Bürger. Kann ja 
doch auch die Forderung, dass man von Bürger 
oder Bürgerin abstamme, unmöglich auf die 
ersten Bewohner des Staats oder Gründer einer 



r 



III, 3. 135 

Colonie Anwendung finden. — Grössere Schwie- 
rigkeit machen vielleicht alle, welche in Folge 
von Umwälzung der Verfassung das Bürgerrecht 
erlangt haben, wie es z. B. in Athen nach Ver- 
treibung der Tyrannen durch Kleisthenes ge- 
schehen ist. Denn dieser hat viele Insassen und 
Freigelassene in die Phylen eingeschrieben. Hier 
jedoch betrifft die Meinungsverschiedenheit nicht 
die Frage, wer Bürger, sondern ob er es un- 
rechtmässig oder rechtmässig sei. Obschon man 
dann auch noch weiter diesen Zweifel aufwerfen 
könnte, ob nicht, wenn unrechtmässig, er gar 
kein Bürger sei, indem unrechtmässig und fälsch- 
lich gleich gelte. Jedoch, da offenbar es unrecht- 
mässige Beamte giebt, von denen wir dennoch 
sagen werden, sie seien allerdings Beamte ob 
zwar nicht rechtmässig, der Begriff des Bürgers 
aber durch Amtsgewalt bestimmt wird — denn, 
wie wir sagten, Bürger ist wer an der so und 
so beschaffenen Amtsgewalt Theil hat — : so er- 
hellt, dass man auch von jenen Neubürgern sagen 
muss, Bürger seien sie allerdings; ob sie es je- 
doch rechtmässig oder unrechtmässig seien, diese 
Frage steht in Berührung mit der vorhin ei'wähn- s. oben s. it.k 
3 ten Controverse. Es finden nämlich Manche 
schwierig zu bestimmen, wann etwas der Staat 
und wann es nicht der Staat gethan hat, z. B. 
in dem Falle, dass eine Umwälzung von Oli- 
garchie oder Tyrannis zu Demokratie stattfindet. 



136 ' 111,3. 

In solchem Falle wollen Einige weder die Con- 
tracte einhalten, unter dem Vorgeben, die Leistung 
sei nicht dem Staat, sondern dem Tyrannen zu 
Gute gekommen, noch viele andere derartige 
VerpflicKtungen, da, wie man sagt, manche Staats- 
formen nur durch Uebermacht, nicht aber zum 
gemeinen Besten bestehen. Hiernach dürfte man 
dann auch, wenn irgendwo in dieser bloss auf 
. Uebermacht fussenden Weise demokratisch regiert 
wird, die unter solcher demokratischen Staatsförm 
vorkommenden Handlungen ebenso wenig für 
Handlungen des bezüglichen Staates gelten lassen, 
wie die aus der Oligarchie oder Tyrannis §ich 
herschreibenden. — Dieser Gegenstand nun er- 
scheint verwandt mit folgender Schwierigkeit: 
auf welchen Grund man unter gewissen Verhält- 
ideutität nissen ein städtisches Gemeinwesen flir ein 

des Staats. 

und dasselbe ansprechen dürfe oder nicht für 
dasselbe, sondern für ein anderes. Die am 
meisten auf der Hand liegende Formulirung dieser 
Schwierigkeit betrifft das Gebiet und die Ein- 
wohner. Denn es kann vorkommen, dass das 
Gebiet und die Einwohner örtlich getrennt sind 
und die Einen dieses, die Anderen jenes Gebiet 
bewohnen. Dieses nun kann man freilich als 
eine ziemlich gelinde Schwierigkeit ansehen. 
Denn da das griechische Wort für 'Stadt' in 
mehr als Einer Bedeutung gebraucht wird und 
sowoM Staat wie Stadt bedetdet, so lässt sich dieser 



III, 3. 137 

Punkt mit Bequemlichkeit erledigen. — Ebenso 
entsteht nun auch bei Bewohnern eines unge- 
trennten Gebiets die Frage, wann man ein 
städtisches Gemeinwesen llir ein einziges halten 
soll. Der Mauerring kann doch keinesfalls die 
Einheit ausmachen. Denn man könnte ja auch 
um den unter so viele verschiedene Staaten ver- 
theilten Peloponnes eine einzige Mauer ziehen; 
und von solcher Grösse ist vielleicht wirklich 
Babylon, oder welche Stadt sonst noch den Um- 
kreis eher einer Völkerschaft als eines städtischen 
Gemeinwesens einnimmt. In Babylon wenigstens 
soll, als es erobert worden, ein ansehnlicher 
Theil der Stadt am dritten Tage noch pichts 
davon gemerkt haben. Jedoch die Untersuchung 
dieser Schwierigkeit wird mit Nutzen bei anderer 
Gelegenheit angestellt. Denn was die Grösse 
eines städtischen Gemeinwesens betrifft, so muss 
der Staatsmann sich allerdings eine Meinung 
darüber bilden, sowohl welche Zahl von Ein- 
wohnern als auch ob gleiche oder verschiedene 
Abstammung derselben zweckmässig sei. Jetzt 
jedoch wollen wir nur auf die Frage eingehen 
ob, wenn dieselben Bewohner dasselbe unge- 
trennte Gebiet inne haben, man ohne RücJcsicht 
auf die Verfassung so lange der Stamm der Be- 
wohner derselbe bleibt, auch sagen müsse, der 
Staat sei derselbe, obschon fortwährend ein Theil 
dahingerafft und Andere geboren werden, so wie 



138 111,3. 

wir auch Flüsse dieselben zu nennen pflegen 
und Quellen dieselben, obschon fortwährend 
neues Nass . herzufliesst und anderes abläuft; 
oder ob man allerdings von den Menschen aus 
diesem Grunde sagen müsse sie seien dieselben, 
von dem Staat aber, er sei ein anderer, sobald 
die Verfassung geändert ist. Denn da der Staat 
eine Gemeinschaft und zwar eine Gemeinschaft 
von Staatsbürgern ist, so sollte es scheinen, dass 
wenn die Staatsverfassung eine der Form nach 
andere wird und mithin die Staatsverfassung 
ihre Identität verliert, nothwendig auch der Staat 
nicht derselbe bleibe, wie wir ja auch von einem 
Chor, wenn er bald in einer Komödie, bald in 
einer Tragödie auftritt, sagen, er sei ein anderer, 
obschon es oftmals dieselben Personen sind, und 
eben so auch jede sonstige Gemeinschaft und 
Zusammensetzung eine andere nennen, sobald 
die Art der Zusammensetzung eine andere wird, 
wie wir z. B. die aus denselben Tönen be- 
stehende Harmonie eine andere nennen, wenn 
sie bald die dorische, bald die phrygische ist. 
Verhält es sich hiermit nun solcherweise, so ist 
es klar, dass man die Identität des Staats vor- 
züglich im Hinblick auf die Verfassung zu be- 
stimmen hat. Was den blossen Namen dagegen 
anlangt, so steht es frei, einen anderen zu ge- 
ben, auch wenn die Bewohner dieselben bleiben, 
oder den alten zu lassen, auch wenn die Bewob- 



111,4. 139 

ner durchaus andere sind. Ob nun abei* die Ge- 
rechtigkeit verlange, die Contracte einzuhalten 
oder nicht einzuhalten, wenn der Staat zu einer 
anderen Verfassung übergeht, ist eine andere 
Frage. 

4 An das eben Besprochene schliesst sich die Bürger- 
tugend nnd 

Untersuchung, ob man die Tugend des braven ^^^^^l' 
Mannes und des wackeren Bürgers Itir dieselbe 
anzusehen habe, oder nicht fllr dieselbe. Soll 
jedoch dieser Punkt seine Erörterung finden, so 
müssen wir zuvörderst die Tugend des Bürgers, 
wenn auch nur in weiterem Umrisse, bestimmen. 
— Der Seemann ist eines von mehreren Mitglie- 
dern der bezüglichen Gemeinschaft, und ebenso, 
sagen wir, ist es auch der Bürger. Obschon nun 
die Seeleute eine ungleiche Stellung haben, — 
denn der Eine ist Ruderer, ein Anderer ist Ca- 
pitän, ein Anderer ist Steuermann, ein Anderer 
flihrt einen anderen derartigen Namen — so ist 
es doch klar, dass zwar die ganz scharfe Defi- 
nition der Tugend eines jeden Einzelnen nur für 
diesen allein wird gelten können, aber ebenso- 
wohl auch eine gemeinschaftliche für Alle pas- 
sen wird. Denn das Wohl der Fahrt ist ihrer 
Aller Aufgabe, da ja dieses jeder einzelne See- 
mann anstrebt. Ebenso ist nun auch die Auf- 
gabe der Bürger, wie ungleich sie übrigens sein 
mögen, das Wohl ihrer Gemeinschaft; ihre Ge- 
meinschaft aber ist die Staatsverfassung. Mithin 



140 III, 4. 

muss die Tugend des Bürgers von der Verfas- 
sung bedingt sein. Da es nun aber mehrere Ar- 
ten von Verfassung giebt, so kann offenbar des 
wackeren Bürgers Tugend nicht eine einzige, die 
vollkommene, sein, während wenn wir Jemanden 
einen braven Mann nennen, wir allerdings voll- 
kommene Tugend meinen. Sonach ist es klar, 
dass wohl Jemand ein wackerer Bürger sein kann, 
ohne diejenige Tugend zu besitzen, welche den 
wackeren Mann macht. — Man kann jedoch auch 
noch auf andere Weise diese Frage untersuchen, 
indem man bei der Erörterung von der besten 
Verfassung ausgeht. Angenommen nämlich, dass 
es einen Staat geben kann, der aus lauter wa- 
ckeren Bürgern besteht, so muss doch jeder von 
diesen die ihm zufallende Aufgabe richtig erflil- 
len, was ja nur in Folge einer Tugend gesche- 
hen kann, und da es nun wiederum unmöglich 
ist, dass alle Bürger von gleicher menschlicher 
Beschaffenheit seien, so folgt wohl, dass die Tu- 
gend des Bürgers und des braven Mannes nicht 
eine einzige sei. Denn die Tugend des wacke- 
ren Bürgers müssen alle Bürger jenes Staates be- 
sitzen, da ja nothwendig nur in diesem Falle der 
Staat der beste sein kann, die Tugend des bra- 
ven Mannes können sie unmöglich Alle besitzen, 
wenn, wie vorausgesetzt ward, es nicht nöthig ist, 
dass alle Bürger in dem musterhaften Staat von 
gleicher menschlicher Beschaffenheit seien. — 



in,4. 141 

Ferner lässt sich der Beweis auch noch so führen: 
Da die Bestandtheile des Staats ungleich sind, 
ähnlich wie das animalische Geschöpf zunächst 
aus Seele und Leib, die menschliche Seele aus 
Vernunft und Begierde, der Hausstand aus Mann 
und Weib, aus Herrn und Sclaven zusammenge- 
setzt ist — da ebenso auch der Staat aus allen 
diesen und ausserdem noch aus anderen ungleich- 
artigen Elementen biesteht, so folgt nothwendig, 
dass die Tugend aller Bürger nicht eine einzige 
sein kann, so wie ja auch unter den Choristen 
die des Chorflihrers und seines Nebenmannes es 
nicht ist. Dass also jene beiden Arten von Tu- 
gend nicht schlechthin zusammenfallen, ist hier- 
aus klar. Aber sollte nicht unter gewissen Um- 
ständen die Tugend des wackeren Bürgers und 
des wackeren Mannes dieselbe sein? Da spre- 
chen wir nun den Satz aus, dass wer als Gebie- 
tender für wacker gelten soll, zugleich brav und 
einsichtig sein, der Bürger jedoch nicht noth- 
wendig einsichtig zu sein brauche. Behaupten 
doch Manche, dass gleich die Erziehung fttr den 
Gebietenden eine andere sein müsse, wie man 
ja auch wirklich sieht, dass die Königssöhne in 
der Reit- und Kriegskunst unterrichtet werden 
und wie Euripides im Aeolos von der Ersiehung 
junger Fürsten sagt: * Nicht wünsch' ich mir in 
feinen Dingen sie gewandt. Vielmehr in Allem, 
was der Staat verlangt ; er setzt also voraus, es 



142 m, 4. 

gebe flir den Gebietenden eine besondere Erzie- 
hung. Wenn nun hiernach die Tugend des bra- 
ven Gebietenden und des braven Mannes dieselbe, 
Bürger aber auch der Gehorchende ist, so wäre 
zwar nicht schlechthin Bürger- und Mannestugend 
dieselbe, abef wohl für eine gewisse Art von 
Bürger. Denn allerdings ist die Tugend des Ge- 
bietenden und die des gewöhnlichen Bürgers 
nicht dieselbe, und dieses veranlasste vielleicht 
auch den Jason zu sagen, er habe nichts zu 
essen, wenn er nicht Tyrann sei, d. h. er ver- 
stand nicht als Privatmann zu leben. Aber, lässt 
sich einwenden, die Fähigkeit sowohl zu gehor- 
chen als zu gebieten gilt doch allgemein für 
eine schätzenswerthe, und die Tugend eines tüch- 
tigen Bürgers findet man darin, dass er im Stande 
sei, auf die rechte Art sowohl zu gehorchen als 
zu gebieten; wenn wir also die Tugend des bra- 
ven Mannes nur mit dem Gebieten verknüpfen, 
die des Bürgers aber in Beidem, sowohl im Ge- 
horchen als im Gebieten, bestehen lassen, so wäre 
dieses beides, das Gebieten und das Gehorchen, 
nicht gleich schätzenswerth, was doch gegen die 
allgemeine Ansicht streitet. Da nun also die ge- 
wöhnliche Meinung das eine Mal dahin geht. 
Beide müssten Verschiedenes und der Gebietende 
nicht dasselbe lernen wie der Gehorchende, und 
wiederum, der Bürger müsse Beides, das Gebie- 
ten wie das Gehorchen, verstehen und Beides 



/ 



III, 4. 143 

durchmachen, so übersieht man wohl den wei- 
teren Verlauf der Untersuchung. Es giebt näm- 
lich eine über Sclaven auszuübende Herrenge- 
w^alt. Darunter verstehen wir die auf die nie- 
deren Arbeiten bezügliche, bei denen es nicht 
nöthig ist, dass der Gebietende sie zu verrichten, 
sondern vielmehr nur zu gebrauchen wisse. Das 
Gegentheil ist sogar eines Freien unwürdig, ich 
meine, wenn man im Stande ist, die Bedienten- 
leistungen auch zu versehen. Unter dem Begriff 
Sclave befassen wir nun aber mehrere Arten, da 
es ja auch mehr als Eine Art von niederen Ge- 
schäften giebt. Eine (Gattung derselben haben 
die Handarbeiter inne, das sind solche Arbeiter, 
die, wie auch schon das Wort andeutet, nur von 
ihren Händen leben, und in diese Klasse gehö- 
ren auch die groben Gewerke; deshalb hatten 
auch in einigen Staaten die Handwerker in der 
alten Zeit, bevor die äusserste Demokratie ein- 
geführt worden, keinen Zutritt zu den Aemtern. 
Die Arbeiten derjenigen Leute also, welche in 
dieser Weise sich befehlen lassen müssen, soll 
Niemand, der zu den Besseren zählt, also auch 
der gute Staatsmann so wenig wie der gute 
Bürger lernen, ausser etwa für seinen persönli- 
chen Bedarf, weil in diesem Falle das Herrn- 
und Sclavenverhältniss nicht mehr stattfindet. — [ 

Aber nun giebt es auch noch eine Gewalt, kratt 
welcher man über seinesgleichen und Freie ge- 



144 in, 4. 

bietet; solcher Art nämlich, sagen wir, ist die 
Gewalt des Staatsamts, und die Austtbung dieser 
Gewalt muss allerdings der Gebietende durch 
Gehorchen erlernen, z. B. Cavalleriegeneral zu 
sein dadurch dass man unter einem Cavallerie- 
general dient, Infanteriegeneral zu sein dadurch 
dass man sowohl als Obrister wie als Haupt- 
mann unter einem Infanteriegeneral dient. In 
diesem Sinne ist denn auch jener andere gang- 
bare Spruch richtig, dass wer nicht gehorcht 
habe, nicht ordentlich gebieten könne. Nun ist 
freilich fllr jede dieser Stellungen des Gehorchens 
und Gebietens eine andere Tugend nöthig, der 
gute Bürger aber muss Beides, Gehorchen sowohl 
wie Gebieten, kennen und können, und Bürger- 
tugend ist eben dieses, mit der Gewalt über 
Freie nach beiden Seiten des Gebietens und Ge- 
horchens vertraut zu sein. Und allerdings ist 
Beides, das Gehorchen und das Gebieten, mit 
dem Wesen des braven Mannes verträglich, ob- 
schon das Gebieten eine andere Art von Massig- 
keit und Gerechtigkeit erfordert, als das Gehor- 
chen. Offenbar nämlich kann der brave Mann, 
wann er gebietet und wann er als Freier ge- 
horcht, eine Tugend, z. B. Gerechtigkeit, nicht 
als eine unterschiedlose besitzen, sondern als 
eine in Arten zerfallende, nach denen er sein 
Gebieten und Gehorchen bemessen wird, so wie 
ja auch für Mann und Weib die Massigkeit und 



m, 5. 145 

Tapferkeit eine verschiedene ist. Denn einen 
Mann würde man wahrlich für feig halten, wenn 
er nur so tapfer wäre wie ein tapferes Weib, 
und ein Werb für keck, wenn sie nur so be- 
scheiden wäre wie ein anständiger Mann. Ist ja 
doch auch die Theilnahme an der häuslichen 
Wirthschaft für Mann und Weib eine verschie- 
dene ; des Mannes Aufgabe ist, zu erwerben, die 
des Weibes, zu erhalten. — Von allen im Ver- 
lauf dieser Auseinandersetzung erwähnten vier 
Cardinaltugenden ist nun die Einsicht die ein- 
zige, welche nur dem Gebietenden eigenthtim- 
lich ist; die übrigen, scheint es, sind noth wen- 
diges Gemeingut sowohl der Gehorchenden als 
der Gebietenden. Einsicht jedoch ist nicht die 
von dem Gehorchenden zu verlangende Tugend, 
sondern nur richtige Vorstellung; denn der Ge- 
horchende ist gleichsam der Flötenmacher, der 
Gebietende dagegen der Flötenspieler, der das In- 
strument benutzt. — Ob also die Tugend des braven 
Mannes und des wackeren Bürgers dieselbe ist, 
oder eine verschiedene, und in wie fern sie die- 
selbe, in wie fern wiederum eine verschiedene, 
ist hieraus klar. 

Von den Schwierigkeiten in Betreff des 
Bürgers ist jedoch noch eine unerledigt. Ver- 
hält es sich nämlich wirklich so, dass nur der- 
jenige Bürger ist, welchem Antheil an Amtsge- 
walt zusteht, oder muss man auch die niederen 

10 



146 in, 5. 

Stellung Handwerker fllr Bürger gelten lassen? Falls 

der niede- ^ ^ 

^'"weS^f" ^^^ ^^^ ^^^^ diese, welche doch nicht in die 
Aemter eintreten, Itir Bürger gelten lassen mass, 
so kann die Tugend wie sie eben als eine mit 
dem abwechselnden Gebieten und Gehorchen ver- 
knüpfte bestimmt wurde, unmöglich llir jeden 
Bürger passen. Denn hier hätten wir Einen der 
nie gebietet und doch Bürger ist. Soll aber wie- 
derum keiner dieser vom Gebieten ausgeschlossenen 
Leute Bürger sein, so entsteht tiir jeden Ein- 
zelnen von ihnen die Frage, zu welcher Klasse 
man ihn rechnen soll. Denn Insasse ist er doch 
eben so wenig, und Fremder auch nicht. Oder 
sollen wir sagen, dass hierin noch gar nichts 
absonderliches liege, da ja auch die Sclaven zu 
keiner der genannten Klassen gehören, und eben 
so wenig die Freigelassenen? In der That darf 
man nicht Alle, die ttir den Staat unentbehrlich 
sind, gleich tlir Bürger erklären; sind ja auch 
die Knaben nicht in demselben Sinne Bürger wie 
die Männer, sondern die Männer sind es schlecht- 
hin, die Knaben nur voraussetzungsweise ; Bürger 
nämlich sind sie wohl, aber noch nicht reif ge- 
wordene. In alter Zeit nun bildete an einigen 
Orten die Sclaven- und Fremdenbevölkerung den 
niederen Handwerkerstand, weshalb auch noch 
heutzutage er meistens aus solchen Leuten be- 
stellt. Freilich giebt es auch Orte, z. B. Athen, 
tvo die niederen Handwerker Bürget' sind, der 



III, 5. 147 

beste Staat jedoch wird keinen niederen Hand- 
werker zum Bürger machen. Wenn aber auch 
ein Solcher Bürger ist, so muss man doch sagen, 
dass die Bürgertugend, von welcher oben die 
-Rede war, nicht flir Jedermann sei, auch nicht 
flir die bloss Freigeborenen, sondern nur flir die- 
jenigen, welche der niederen Arbeiten tiberh()ben 
sind; die übrigen sind, wenn sie für Eine Per- 
son solche niedere Dienste verrichten, Sclaven, 
wenn tiir das gesammte Publicum, niedere Hand- 
werker und Tagelöhner. Wie es mit diesen aber 
stehe, wird bei geringem Nachdenken aus Fol- 
gendem klar; denn die schon früher vorgetragene s. oben s. 132. 
Bemerkung macht gleich auf den ersten Blick 
alles deutlich. Da es nämlich mehrere Ver- 
fassungsformen giebt, so muss es auch mehrere 
Arten von Bürgern, zumal von gehorchenden Bür- 
gern, geben; und sonach ist es in einer gewissen 
Verfassung, nämlich in der zu Athen bestehenden 
äassersten Demokratie, unvermeidlich, dass der 
niedere Handwerker und der Tagelöhner Bürger 
seien, in gewissen anderen ist es dagegen un- 
möglich, z. B. wenn irgendwo die Verfassung 
des sogenannten Edelstaats besteht, in welcher 
die Ehrenstellen nur nach Tugend und Würdig- 
keit verliehen werden; denn sich ganz den An- 
forderungen der Tugend hinzugeben, ist nicht 
im Stande wer ein niederes Handwerker- oder 
Tagelöhner - Leben ttlhrt. In den Oligarchien 



148 lU, 6. 

aber ist es zwar undenkbar, dass der Tage- 
löhner Bürger sei — denn der Eintritt in die 
Aemter ist dort von hohen Vermögensansätzen 
abhängig — dass dagegen der niedere Hand- 
werker Bürger sei, ist wohl denkbar; denn 6e- 
werksleute werden sogar meistens reich. In 
Theben freilich bestand ein Gesetz, dass wer 
nicht seit zehn Jahren den Marktgeschäften fern 
geblieben, kein Amt bekleiden dürfe. In vielen 
Verfassungen dagegen zieht das Gesetz sogar 
ein Fremdenelement in die Bürgerschaft hinein; 
es hat nämlich in manchen Demokratien Jeder 
das Bürgerrecht, der eine Bürgerin zur Mutter 
hat; und gleicherweise wird es an vielen Orten 
mit den Bastarden gehalten. Jedoch, weil man 
bloss aus Mangel an echten Bürgern Personen 
wie die Genannten zu Bürgern macht, so werden 
jene gesetzlichen Bestimmungen nur so lange 
ausgeführt als die Bevölkerung knapp ist; so- 
bald sie aber, wieder reichlich geworden, besei- 
tigt man bei Kleinem zuerst die, welche einen 
Sclaven zum Vater oder eine Sclavin zur Mutter 
haben, dann die welche bloss von mütterlicher 
Seite Bürger sind, und endlich werden ausschliess- 
lich die nach beiden Seiten von Altbürgern Ab- 
stammenden für Bürger erklärt. — Dass es also 
mehrere Arten von Bürgern giebt, ist hieraus klar, 
und auch dass im vollsten Sinne nur derjenige 
Bürger heisst, welcher Theil an den Ehrenämtern 



III, 6. 149 

hat, wie es auch Homeros [Ilias, 9, 648] andeutet, 
da wo er Achilleus sagen lässt, Agamemnon be- 
handle ihn wie einen ^ehrenentbehrenden Sied- 
ler\ Denn wer keinen Theil an den Ehren- 
ämtern hat, der ist, sdhst wenn er Bürger heisst, 
gleichsam ein Insasse. Es giebt jedoch Orte, 
£f. B, Athen, wo dieses Verhältniss vertuscht wird, 
um denjenigen, mit denen man nun einmal zu- 
sammenwohnt, etwas vorzuspiegeln. 

In Betreff der Frage also, ob die Tugend 
welche den braven.Mann, und die welche den 
wackeren Bürger macht ftir eine und dieselbe 
oder für verschieden zu halten sei, hat sich aus 
dem Gesagten ergeben, dass in manchem Staat 
beide Charaktere ungetrennt, in manchem ande- 
ren Staat getrennt sind, und auch in jenem 
ersten Staat die Ungetrenntheit sich nicht findet 
bei jedem, sondern nur bei dem politisch thätigen 
Bürger, der auf die Besorgung der öffentlichen 
Angelegenheiten Einfluss hat oder doch Einfluss 
haben kann, sei es fttr sich allein oder zugleich 
mit Anderen. 
6 Nachdem nun dieses auseinandergesetzt wor- 
den, ist zunächst zu untersuchen ob man Eine 
oder mehrere Verfassungsformen annehmen soll, 
und wenn mehrere, von welcher Art und Zahl 
sie sind und worin ihre Unterschiede bestehen. 
Verfassung nun ist Ordnung des Staates hin- 
sichtlich der Gewalten überhaupt, und vorzüglich 



150 111, 6. 

der souveränen Gewalt. Souverän des Staates 
nämlich ist überall die regierende Klasse und 
die regierende Klasse bestimmt sich nach der 
Regierungsform; ich meine, wie z. B. in Demo- 
kratien der Demos souverän ist und umgekehrt 
in den Oligarchien die Vornehmen. In diesen 
beiden Fällen erkennt nun schon die gewöhn- 
liche Auffassung den Unterschied der Verfassungs- 
form an; und mit derselben Rücksicht auf die 
souveräne Gewalt dürfen wir also auch die 
Unterschiede der übrigen Formen bestimmen. 
Zuvörderst aber muss vorausgeschickt werden, 
zu welchem Zweck der Staat besteht, und in wie 
viele Arten die auf den Menschen im gesell- 
schaftlichen Leben gerichtete Gewalt zerfällt. 
Zweck des Bcrcits iu den ersten Vorträgen, bei den Aus- 

Staat«. ^ ' 

einandersetzungen über Hauswirthschaft und 
Herrengewalt ward gesagt, dass allerdings schon 
8. oben s. 7. vou Natur der Mensch ein staatliches Geschöpf 
ist, weshalb auch Menschen, die gar keiner gegen- 
seitigen Unterstützung bedürfen, nicht minder 
sich nach dem Zusammenleben sehnen. Jedoch 
auch das gemeinschaftliche Beste fuhrt sie zu- 
sammen, und dieses vertheilt sich auf die Ein- 
zelnen je nach dem Maasse, in welchem die ver- 
schiedenen Menschenklassen für schönes Leben 
empfänglich sind. Dieses schöne Leben ist nun 
freilich im höchsten Sinne Zweck, für die ver- 
einigte Gesammtheit wie flir jeden Einzelnen, 



III, 6. 151 

Aber die Menschen thun sich auch zusammen 
lediglich um des nackten Lebens willen — viel- 
leicht liegt auch wirklich ein Element des Schönen 
darin — und eben so bleibt die Fortdauer der 
staatlichen Gemeinschaft mit blosser Bücksicht 
auf das nackte Leben möglich, so lange die Müh- 
seligkeiten des Daseins nicht gar zu übermässig 
werden. Liegt es ja zu Tage, dass die meisten 
Menschen viel Drangsal auf sich nehmen aus 
Hang zum blossen Leben ; es ist als ob darin an 
sich schon eine Art von Glück und natürlicher 
Süssigkeit liege. — Was nun aber die zweite 
eben aufgestellte Frage angeht^ so ist es auch Artender 

xierrscuftiu- 

nicht schwer, die in Betracht kommendeh Weisen 
der Herrschaft begrifflich auseinanderzuhalten; 
auch in den nicht streng philosophischen Ge- 
sprächen geben wir ja vielfache Auseinander- 
setzungen darüber. Die Herrengewalt nämlich 
sieht, obschon in Wahrheit das Wohl des natür- 
lichen Sclaven und natürlichen Herrn unzertrenn- 
lich ist, doch trotzdem wesentlich auf das Wohl 
des Herrn; auf das Wohl des Sclaven nur accesso- 
risch, weil, wenn der Sclave umkommt, die Herren- 
gewalt aufhören muss. Dagegen die Gewalt über 
Kinder, Weib und das gesammte Haus, welche 
man hausväterliche Gewalt nennt, besteht ent- 
weder zum Frommen der Untergebenen allein, 
oder wegen eines beiden Theilen gemeinsamen 
Nutzens; an sich nur zum Frommen der Unter- 



152 111,6. 

gebenen, wie wir es ja auch bei sonstigen Fertig- 
keiten, z. B. der Arznei- und Turnkunde, sehen ; 
accessorisch jedoch können sie auch wohl den 
Gebietenden zum Frommen gereichen. Steht ja 
nichts im Wege, dass der Turnlehrer manchmal 
selbst einer der Turnenden sei, so gut wie der 
Schiflfscapitän stets einer der Schiflfsleute ist. Der 
Schiflfscapitän oder Turnlehrer nun hat das Beste 
seiner Untergebenen im Auge; wenn er jedoch 
selbst sich in derselben Lage wie sie befindet, 
nimmt er accessorisch an der Förderung Theil; 
jener nämlich ist auf dem Schiffe, und dieser 
wird, obgleich er Turnlehrer ist, flir den Augen- 
blick einer der Turner. Ebenso besteht nun auch 
die Gewalt des staatlichen Amtes wesentlich zum 
Besten der ihr Untergebenen; wo daher die Ein- 
richtung des Staates auf Gleichheit der bürger- 
lichen Rechte und Pflichten gegründet ist, da 
tritt der Anspruch auf, dass man die staatlichen 
Aemter abwechselnd verwalte; dieser Anspruch 
ging ursprünglich nach der naturgemässen Auf- 
fassung des Verhältnisses dahin, dass man ver- 
langte, es solle die öffentliche Dienstleistung in 
der Reihe herumgehen, und Jeder wollte, dass 
nun auch einmal für sein Bestes ein Anderer 
sorge, so gut wie er selbst früher, zur Zeit als 
er Beamte war, flir das Beste des Anderen ge- 
sorgt habe. Jetzt aber wünscht man wegen der 
Emolumente aus den öffentlichen Geldern und 



III, 7. ^ 153 

aus der Amtsgewalt ununterbrochen Beamte zu 
sein, ganz so wie wenn es der Fall wäre, dass 
die Beamten, selbst wenn sie von kränklicher 
Constitution sind, während ihres Amtes immer 
sich wohl befänden; denn auch alsdann würde 
man wohl nach Aemtern jagen. Es ist also klar, 
dass nur diejenigen Verfassungen, welche auf 
das Gemeinwohl abzielen, nach den allgemein- 
gültigen Bechtsgrundsätzen sich als rechte Staats- 
verfassungen herausstellen, die dagegen bloss auf 
das eigene Wohl der Gebietenden abzielen, alle 
als verkehrte und als Ausschreitungen der rech- 
ten Staatsverfassungen; denn es herrscht in ihnen 
dasselbe Verhältniss wie zwischen Herren und 
Sclaven; der Staat aber ist eine Gemeinschaft 
von Freien. 
7 Nachdem nun dieses auseinandergesetzt wor- 
den, hat sich die Untersuchung zunächst auf die 
Verfassungen zu richten, wie viele und welcher- zahi der 

Verfassun- 

lei es seien, und zwar zuerst auf die rechten ge°- 
unter ihnen; denn wenn diese begrifflich be- 
stimmt sind, werden die Ausschreitungen von 
selbst deutlich sein. Da nun Verfassungsform 
und herrschende Klasse auf dasselbe hinaus- 
kommt, die herrschende Klasse aber der Souve- 
rän der Staaten ist, und der Souverän wieder- 
um nur entweder Einer oder Wenige oder die 
Mehrzahl sein kann, so folgt nothwendig, dass 
wenn der Eine oder die Wenigen oder die Mehr- 



154 III, 7. 

zahl mit Rücksicht auf das Gemeinwohl herrschen, 
die Verfassungen alsdann rechte, diejenigen Ver- 
fassungen dagegen, welche nur auf das eigene 
Wohl des Einen oder der Wenigen oder der 
Mehrzahl gerichtet sind, Ausschreitungen seien; 
denn entweder mtisste man jenen Mitgliedern 
des Staates, für deren Wohl nicht gesorgt wird, 
das Bürgerthum absprechen, oder ihr Wohl muss 
mitbefbrdert werden. Von den monarchischen 
Ötaatsformen nun pflegen wir die auf das Ge- 
meinwohl absehende, Königthum zu nennen; da 
wo zwar die Minderzahl aber doch eine über die 
monarchische Einzahl hinausgehende Minderzahl 
in jener das Gemeinwohl fördernden Weise 
herrscht, nennen wir es Edelstaat, sei es weil 
die Gewalt bei den Edelsten ist, oder weil sie 
dieselbe zum edelsten Besten des Staates und 
seiner Mitglieder gebrauchen; wenn aber die 
Menge die Staatsgeschäfte zum Gemeinwohl ver- 
waltet, nennt man diese Art mit dem Gesammt- 
namen der Gattung: Verfassungsstaat (Politeia). 
Bei diesem Verfassungsstaat tritt nun naturge- 
mäss folgendes Verhältniss hervor. Dass Einer 
oder Wenige an Tugend vor allen Anderen her- 
vorragen, ist denkbar; bei Vielen wird es als- 
bald schwierig, dass sie nach allen Seiten zur 
Tugend vollkommen entwickelt seien; am ehe- 
sten jedoch ist es ttir die kriegerische Tugend 
denkbar, weil diese sich in derMß-sse ausbildet, 



ni, 8. 155 

Und deshalb ist nun in diesem Verfassungsstaat 
der Heerbann der höchste Souverän, und Voll- 
bürger sind in demselben alle WafFenfiihrenden. 
— Ausschreitungen der genannten Verfassungen 
sind aber folgende: die Tyrannis ist Ausschrei- 
tung des Königthums, die Oligarchie Ausschrei- 
tung des Edelstaats, die Demokratie Ausschrei- 
tung des Verfassungsstaats. Denn die Tyrannis 
ist eine nur das Wohl des Monarchen wollende 
Monarchie; die Oligarchie will nur das Wohl 
der Bemittelten, die Demokratie nur das Wohl 
der Unbemittelten; aber das dem Gemeinwohl 
Förderliche will keine von ihhen. 

Es muss jedoch das Wesen jeder dieser Ver- 
fassungen noch etwas auslUhrlicher besprochen 
werden; denn in der That liegen hier einige 
»Schwierigkeiten vor, und der wissenschaftlichen, 
nicht bloss die Praxis ins Auge fassenden Be- 
handiong jeder Disciplin liegt es ob, nichts zu 
übersehen und nichts zu übergehen, sondern über 
Jeden Punkt die Wahrheit zu Tage zu legen. 
Tyrannis nun ist, wie gesagt, eine das Verhält- 
niss von Herren und Sclaven auf die staatliche 
Gemeinschaft tibertragende Monarchie; Oligarchie 
ist, wo den Inhabern grossen Vermögens, und 
umgekehrt Demokratie, wo denen, welche nicht 
im Besitz ansehnlichen Vermögens sondern un- 
bemittelt sind, die Souveränität zusteht. Die 
erste Schwierigkeit betrifft nun diese Definitionen, 



156 ni, 8. 

der^Demo- ÄiigGiiö'^™^!^ üämlich, cinc aus'ßemittelten ge- 
ougarÄ bildete Mehrzahl besitzt irgendwo die Souveräni- 
tät, und gemäss der herrschenden Ansicht ist doch 
Demokratie, wo die Menge souverän ist; — ebenso 
nach der anderen Seite: angenommen es träfe 
sich irgendwo, dass die Unbemittelten zwar von 
geringerer Zahl als die Bemittelten, aber weil 
sie mächtiger wären, dennoch über den Staat 
souverän verfügten, und wo die Minderzahl sou- 
verän ist, soll doch Oligarchie sein: so tritt 
wohl in diesen Fällen hervor, dass die Ver- 
fassungsformen nicht genügend definirt worden. 
Und wollte man nun auch mit der Bemitteltheit 
die Minderheit und mit der Unbemitteltheit die 
Menge verknüpfen und die Verfassungen folgen- 
dermaassen benennen: Oligarchie ist, wo die eine 
Minderzahl ausmachenden Bemittelten, Demo- 
kratie, wo die eine Mehrzahl ausmachenden Un- 
bemittelten die Verwaltung inne haben, so stösst 
man auf eine andere Schwierigkeit. Wie sollen 
wir nämlich alsdann die eben erwähnten Staats- 
formen benennen ? jene, in welcher die Mehrzahl 
aus Bemittelten, und die andere, in welcher die 
Minderzahl aus Unbemittelten besteht und beide 
die souveräne Staatsgewalt inne haben; eine 
andere Staatsform ausser den oben genannten 
giebt es ja nicht. Aus dieser Betrachtung scheint 
es sich also zu ergeben, dass Minderheit, oder 
Mehrheit der souveränen Klasse nur als etwas 



III, 9. 157 

accessorisches, jene in den Oligarchien, - diese 
in den Demokratien sich findet, weil es eben 
überall wenige Bemittelte und viele Unbemittelte 
giebt; es kommen daher auch die vorhin er- 
wähnten Fälle von Staaten mit souveräner be- 
inittelter Mehrzahl und unbemittelter Minderzahl 
in der geschichtlichen Wirklichkeit nicht vor, 
und sie können daher keine besonders zu be- 
nennenden Verfassungsformen veranlassen. Was 
den gegenseitigen Unterschied von Demokratie 
und Oligarchie ausmacht, ist vielmehr nur Ar- 
muth und Reichthum, und woReichthum Gewalt 
giebt, sei es der Minder- oder der Mehrzahl, da 
ist nothwendig Oligarchie, Demokratie dagegen, 
wo die Unbemittelten die Gewalt haben. Jedoch, 
wie gesagt, es trifft sich, dass es dort Wenige, 
hier Viele sind ; denn bemittelt sind Wenige, im 
Besitz der Freiheit sind dagegen alle Bürger, 
und Reichthum und Freiheit sind ja nun auch 
die Gründe, auf welche die beiden Parteien der 
Oligarchen und Demokraten ihren Anspruch an 
die Staatsgewalt zu stützen pflegen. 
9 Hieran schliesst sich passend die Untersuchung 
über Grundsätze und Ansprüche der politischen 
Parteien. Dabei muss zuvörderst festgestellt wer- 
den, welche Definitionen sie von Oligarchie und 
Demokratie geben und was der oligarchische 
und demokratische Rechtsboden ist. Alle näm- 
lich greifen ein gewisses Recht auf, sie verfolgen 



158 III, 9. 

Rechts- es jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt, und 

gründe der 

^Parteien" ^^ ^^^ geltend Hiachen, ist nicht das volle, 
eigentliche Recht. Nämlich, Recht scheint Gleich- 
heit zu sein, und ist es auch, jedoch nicht für 
Alle, sondern nur i'ür die Gleichen. Auch Un- 
gleichheit scheint Recht zu, sein, und ist es auch, 
jedoch nicht für Alle, sondern nur itir die Un- 
gleichen. Nun fassen aber die Leute diese per- 
sönliche Frage, das 'Für wen', in abstrakter Un- 
vollständigkeit und urtheilen darüber falsch ; was 
daher kommt, dass das Urtheil sie selbst be- 
trifft, und in eigener Sache sind ja die meisten 
Menschen tible Richter. Während also das Recht 
relativ für die Personen und, wie früher in den 
ethischen Vorträgen gesagt ward, eine sowohl 
in den Sachen wie für die Personen gleichmässige 
Vertheilung ist, so stimmen die Parteien über die 
sachliche Gleichheit überein, über die persön- 
liche aber entzweien sie sich, zumeist aus dem 
so eben angeführten Grunde, weil man seine 
eigenen Angelegenheiten falsch beurtheilt, dann 
aber auch, weil beide Parteien in dem was sie 
vorbringen,- bis auf einen gewissen Grad Recht 
haben, glauben sie schlechthin Recht zu haben. 
Die Oligarchen nämlich meinen, wenn sie in 
Einem Punkt, d. h. im Geld, ungleich sind, durch- 
aus Ungleiche zu sein, die Demokraten dagegen, 
wenn sie in Einem Punkt, d. h. in der freien 
Geburt, gleich sind, durchaus Gleiche zu sein; 



III, 9. 159 

die eigentliche Hauptsache aber bringen sie nicht 
zur Sprache. Wäre man nämlich bloss der Be- 
sitzthümer wegen in Gemeinschaft getreten und 
zusammengekommen, so wäre eines Jeden Antheil 
am Staat nach dem Maasse seines Besitzes be- 
stimmt, und was die Oligarchen sagen, dürfte fiir 
triftig gelten, dass es nämlich nicht Recht sei, 
wenn an dem Gesellschaftscapital von hundert 
Minen derjenige, welcher nur eine Mine beige- 
steuei-t, gleichen Antheil habe wie der, welcher 
die ganze übrige Summe gegeben, mögen es nun 
die ersten Begründer der Gesellschaft oder deren 
Rechtsnachfolger sein. Gan0 anders stellt sich 
jedoch die Sache, wenn wir die richtige Ansicht 
vom Staat fassen, wonach man in die staatliche 
Gemeinschaft getreten ist nicht des blossen Le- 
bens wegen, sondern vielmehr eines guten Lebens 
wegen; denn sonst würde es auch einen aus 
Sclaven und Thieren bestehenden Staat geben; 
jetzt jedoch giebt es einen solchen nicht, weil 
Sclaven und Thiere von der Glückseligkeit und 
einem durch den sittlichen Willen geleiteten Da- 
sein, d, h, dem Ziel und der Bedingung des 
Staates^ ausgeschlossen sind. — Ebensowenig be- 
steht der Staat des Kriegsbeistandes wegen, da- 
mit man von Niemandem Unrecht zu leiden 
brauche, noch auch zum Zweck des Handels und 
gegenseitigen Verkehrs; denn alsdann müssten 
Tyrrhener und Karchedonier und alle durch 



160 m,9. 

Handelsverträge verbundene Völker sieb wie 
Bürger eines einzigen Staates zu einander ver- 
halten. Nun bestehen allerdings zwischen ihnen 
bindende Festsetzungen in Betreff der Einfuhr- 
artikel und Abkommen sich nicht gegenseitig zu 
schaden und geschriebene Urkunden über Kriegs- 
beistand. Jedoch giebt es zur Handhabung dieser 
Bestimmungen keine allen Paciscirenden ge- 
meinsame Behörden, sondern in jedem Stallt be- 
stehen andere; auch kümmern die Einen sich 
nicht darum wie die Charaktere der Anderen 
beschaffen sein müssten, nicht darum dass kein 
unter die Tractate Befasster ein ungerechter 
Mensch oder sonst mit einer Schlechtigkeit be- 
haftet sei, sondern nur darum dass sie sich unterein- 
sittiiches ander kein Unrecht thun. Dagegen beschäftigen 

iji6i des 

Staats, gicii allerdings mit bürgerlicher Tugend oder 
Untugend diejenigen sehr sorgfältig, welchen es 
um gute staatliche Ordnung für einen einzigen 
Staat Äu thun ist. Und auf diesem Wege tritt 
es also auch klar hervor, dass auf Tugend der 
Bürger derjenige Staat seine Sorgfalt zu richten 
hat, welcher in Wahrheit und nicht bloss dem 
Namen nach Staat heissen will. Wo nämlich 
diese Sorge für die Tugend fehlt, da wird die 
staatliche Gemeinschaft zu einer blossen Allianz, 
die sich von den anderen nach der Ferne hin 
geschlossenen Allianzen nur in örtlicher Hinsicht 
^ unterscheidet. Auch das Gesetz ist nur ein 



111,9. 161 

Vertrag, und wie der Sophist Lykophron sagte, 
ein Bürge daflir dass der Eine dem Anderen 
gerecht werde, aber gute und gerechte Menschen 
aus den Bürgern zu machen vermag es nicht. 
Dass nun dieses wirklich sich so verhalte und 
allein die Sorge für die sittliche Bildung der 
Bü/rger das wahre Wesen des Staates ausmache^ 
liegt klar zu Tage. Denn wollte man auch die 
verschiedenen Oertlichkeiten zu einer einzigen 
verbinden, so dass z. B. die Stadt der Megarer 
und die der Korinthier mit ihren Mauern zusam- 
menstiessen, so würde es darum doch noch nicht 
ein einziger Staat sein. Auch nicht einmal dann, 
wenn sie sich gegenseitig das Recht des Zwi- 
schenheirathens einräumten, obschon dieses aller- 
dings eine für den Staat charakteristische Art 
der Gemeinschaft ist. Ebenso, wenn Menschen 
zwar getrennt, jedoch nicht so sehr fern von 
einander wohnten, dass keine Gemeinschaft mög- 
lich wäre, sie vielmehr Gesetze hätten zur Ver- 
hinderung gegenseitigen Unrechts im Austausch 
ihrer Erzeugnisse, z. B. der Eine wäre ein Zim- 
mermann, der Andere ein Ackersmann, der Dritte 
ein Schuhmacher, der Vierte etwas Anderes der 
Art, und ihre Zahl betrüge zehntausend, ihre Ge- 
meinschaft erstreckte sich jedoch auf gar nichts 
Anderes als auf solche Dinge wie Tausch und 
gegenseitigen Beistand, so wäre es immer noch 
kein Staat. Worin liegt wohl der Grund? Un- 

11 



162 in, 9. 

möglich in der mangelnden örtlichen Nähe der 
Gemeinschaft, denn wenn die in solcher Gemein- 
schaft Stehenden auch zusammenzögen, jeder 
Einzelne jedoch in seinem besonderen Hause wie in 
einem besonderen Staate für sich lebte und mit ein- 
ander sie so verkehrten, als bestände gleichsam ein 
blosses Schutzbündniss, indem sie sich nämlich nur 
gegen ungerechte Angriffe Beistand leisteten, so 
würde die begrififlich strenge Betrachtung auch dar- 
in noch immer keinen Staat erkennen können, da 
sie ja jetzt, nachdem sie zusammengezogen, ganz 
so mit einander umgehen würden, wie vorhin als 
sie getrennt wohnten. Es ergiebt sich also, dass 
der Staat nicht ist eine örtliche und zur Ver- 
hinderung gegenseitigen Unrechts und um des 
Austausches der Erzeugnisse willen bestehende 
Gemeinschaft; sondern diese Dinge müssen frei- 
lich vorhanden sein, wofern ein Staat da sein 
soll, jedoch wenn sie allesammt auch vorhanden 
sind, so ist noch nicht gleich ein Staat da, son- 
dern Staat ist erst die gleichsehr Familien und 
Stämme umschliessende Gemeinschaft guten Le- 
bens zum Zweck eines vollen und unabhängigen 
Daseins. Eine solche Gemeinschaft wird jedoch 
nur stattfinden können bei solchen, die eine und 
dieselbe Oertlichkeit bewohnen und unter ein- 
ander heirathen ; deshalb bildeten sich denn auch 
Vetterschaften in den Staaten und Sippschaften 
und gemeinschaftliche Opfer und Belustigungen 



in, 10. 163 

zur Beförderung des Zusammenlebens. Derglei- 
chen ist jedoch kein wesenhaft staatliches sondern 
ein Freundschaftsverhältniss ; denjj der Vorsatz 
zusammenzuleben ist ja nichts anderes als Freund- 
schaft. Zweck des Staates ist also das gute Le- 
ben, und jene Dinge dienen nur zum Zweck. 
Staat selbst aber ist die von Stämmen und Ort- 
schaften gebildete Gemeinschaft zu einem vollen 
und unabhängigen Dasein, dieses aber heisst, wie 
wir meinen, mit anderen Worten: glücklich und 
sittlich schön leben. Mithin muss man festsetzen, 
dass wegen der sittlich schönen Handlungen die 
staatliche Gemeinschaft besfehe, nicht des blossen 
Zusammenlebens wegen. Und daraus folgt nun 
auch, dass diejenigen, welche nach dieser Seite 
hin den grössten Beitrag zu der Gemeinschaft 
geben, mehr Anrecht am Staat haben als die- 
jenigen, welche ihnen zwar an freier oder adeli- 
cher Geburt gleich oder voran, in der staatlichen 
Tugend aber nicht gleich stehen, oder als diejeni- 
gen, welche sie* zwar an Reichthum tibertreffen, 
an Tugend aber von ihnen tibertroffen werden. 
— Dass also alle politischen Parteien sich nur 
auf ein theilweises Recht berufen, ist aus dem 
Gesagten klar. ' 

10 Schwierigkeit macht es nun aber, wer der Inhaber der 

Sonverä- 

Souverän des Staates sein soll. Sein muss es »**»!. 
entweder die Mehrzahl, oder die Reichen, oder 
die anständigen Leute, oder ein einziger Treff- 



164 III, 10. 

liebster, oder ein Tyrann. Aber in allen diesen 
Fällen kommt man offenbar ins Gedränge. Denn 
wie ? wenn nun, um gleich den ersten Fall 0u 
nehmen^ dciss die Mehrheit der Souverän sei, die 
Armen, weil sie die Mebrzahl bilden, das Ver- 
mögen der Reichen unter sich vertheilen, soll 
das nicht Unrecht sein? Deshalb nicht, weil 
es doch nrni einmal kraft Beschlusses des Sou- 
veräns, also rechtmässig, geschehen ist? Wenn 
dieses nicht das ärgste Unrecht ist, was soll man 
denn so nennen? Und wenn nun, nachdem den 
Reichen Alles genommen worden, immer die un- 
hemittelte Mehrzahl fortfährt, den Besitz der nicht 
ganz unbemittelten Minderzahl zu vertheilen, so 
liegt es doch auf der Hand, dass man so den 
Staat zerstört. Nun zerstört ja aber die Tugend 
nie das sie Besitzende, und auch das Recht ist 
nicht staatenzerstörend. Mithin ist es klar, dass 
auch jenes Gesetz unmöglich ein gerechtes 
sein kann. Ausserdem wttrde noch, wenn man 
es für gerecht gelten lässtj nothwendig folgen, 
dass auch alle Handlungen, die der Tyrann je 
vertlbte, gerecht wären; er zwingt ja als der 
Stärkere, ganz so wie die Mehrzahl die Reichen 
zwingt. — Aber ist es etwa Recht, dass die 
Minderzahl und die Reichen die Gewalt ha- 
ben ? Wenn nun auch diese eben dasselbe thun 
und rauben und der Mehrzahl ihr Eigenthum weg- 
nehmen, ist das Recht ? Dann wäre es auch im 



111,11. 165 

obigen Falle Recht. Dass alles dieses also schlimm 
und nicht gerecht ist, liegt auf der Hand. — 
Aber sollen etwa die anständigen Leute die 
Aemter besetzen und die oberste Gewalt über 
Alles haben? Nun, dann ist die noth wendige^ 
Folge, dass die übrigen Alle ehrlos sind, da sie 
nicht durch die Staatsämter geehrt werden; wir 
fassen ja die Aemter als Ehrenstellen auf; wenn 
nun also immer dieselben Leute Beamte sind, 
so sind die übrigen nothwendigerweise der Ehren 
verlustig. — Aber ist es etwa besser, dass Einer, 
der Bravste, die Amtsgewalt allein habe? Nun, 
das ist ja noch oligarchischer; denn dann ist 
eine noch grössere Anzahl der Ehren verlustig. 
— Aber vielleicht möchte Mancher sagen, dass 
überhaupt ein Mensch und nicht vielmehr das 
Gesetz Souverän sei, ist schlimm, da jener doch 
mit den Leidenschaften, wie sie in der Seele 
sich ausbilden, behaftet ist. Jedoch wenn man 
nun auch das Gesetz für souverän erklärte, es 
aber ein oligarchisches oder ein demokratisches 
Gesetz wäre, was wäre dann hinsichtlich der 
aufgeworfenen Schwierigkeiten gewonnen ? Alles 
vorhin Angeflihrte würde ganz ebenso eintreten. 

11 Die übrigen Punkte nun sollen anderswo 
weiter besprochen werden. Dieser Punkt jedoch, 
dass lieber die Mehrzahl der Souverän sein solle 

• als Wenige, wenn es auch die Besten, sind, scheint 
sich befriedigend zu erledigen und eine gewisse 



166 in, 11. 

Annehmbarkeit, vielleicht sogar eine gewisse 
Wahrheit zu haben. Denn es ist wohl denkbar, 
^Menge.^^ dass die Vielen, von denen jeder Einzelne kein 
sittlich vollkommener Mann ist, dennoch wenn 
sie zusammentreten, besser als jene wenigen Be- 
sten seien, nicht zwar jeder flir sich, aber wohl 
insgesammt genommen; es ist ein ähnliches Ver- 
hältniss wie z. B. zwischen Picknicks und den 
auf Kosten eines Einzigen bestrittenen Mahlzeiten. 
Denn da es Viele sind, kann möglicherweise 
Jeder Etwas von Tugend und Einsicht haben, 
und wenn sie nun zusammentreten, so findet, wie 
die Menge gleichsam ein einziger vielflissiger, viel- 
bändiger und mit vielen Sinneswerkzeugen aus- 
gestatteter Mensch wird, dasselbe auch hinsicht- 
lich der Charaktere und der Geisteskraft Statt. 
Deshalb urtheilt auch die Menge besser über 
die Leistungen sowohl der Tonkunst als der 
Dichter; denn der Eine beurtheilt diese, der An- 
devB jene Seite, sonach Alle Alles. Der Unter- 
schied jedoch zwischen Männern von sittlicher 
Vollkommenheit und jedem Einzelnen aus der 
Menge ))esteht, ähnlich wie man sagt, dass schöne 
Menschen sich von nicht schönen und die künst- 
lerischen Gemälde von den wirklichen Dingen un- 
terscheiden, darin dass dort zur Einheit vereinigt 
erscheint, was hier auf vielen Punkten zerstreut 
ist; getrennt betrachtet könnte von dem einen wirk- 
lichen Menschen das Auge, von einem anderen 



111,11. 167 

ein anderes Glied schöner sein als das im Gemälde. 
— Ob es nun denkbar ist, dass jeder Demos 
und jede Menge sich in dieser Weise zu den 
wenigen sittlich Vollkommenen verhalte, bleibt 
dunkel; oder vielleicht ist es nur zu klar, dass 
es jedenfalls bei Manchen unmöglich ist Denn 
sonst würde ja dieselbe Betrachtung auch auf 
die Thiere und deren vereinzelte gute Eigenschaften 
angewandt werden können. Und in der That 
was haben manche Menschen, so zu sagen, vor 
den Thieren voraus? Aber allerdings für diese 
oder jene Menge steht nichts der Richtigkeit 
de^ angegebenen Verhältnisses im Wege. Dem- 
nach kann man auf diese Weise sowohl die vor- 
hin erwähnte Frage, oh die MehreaM der Sou- 
verän sein solle, erledigen als auch die ihr sich 
anschliessende, wozu die bloss Freigeborenen und 
die Masse der Bürger befugt sein solle, d. h. alle 
diejenigen, welche nicht reich sind und auch kei- 
nerlei durch Tugend geachtete Stellung einneh- 
men. Einerseits ist es nicht gefahrlos, ihnen den 
Eintritt in die höchsten Aemter zu gestatten — 
denn aus Mangel an Rechtssinn und an Einsicht 
möchten sie sich wohl Vergehen und Versehen 
zu Schulden konmien lassen — und wenn man 
andererseits ihnen weder rechtlich noch thatsäch- 
lich den Zutritt eröffnet, so wird das ein fürch- 
terlicher Zustand; denn wo viele der Ehren Ver- 
lustige und Arme vorhanden sind, da ist noth- 



168 in, 11. 

wendig der Staat voll von Feinden. Es bleibt 
also nur der Ausweg, dass man sie zum Bera- 
then und Urtheilen zulässt. Deshalb hat auch 
wirklich Solon und einige andere Gesetzgeber 
ihnen einen Platz bei den Wahlen der Behörden 
und bei der Rechenschaftsabnahme der Beamten an- 
gewiesen, sie aber kein Amt ganz flir sich allein 
verwalten lassen. Denn wenn sie alle zusammen- 
kommen, haben sie zwar genügendes Verständ- 
niss und unter Bessere gemischt haben sie für 
die Staaten etwas Gutes, — wie der nicht reine 
Nahrungsstoff, unter den reinen gemengt, die 
ganze Masse nahrhafter macht als der kleine 
reine Theil gewesen wäre — ; jeder Einzelne für 
sich hat jedoch nicht die volle Fähigkeit zum 
Urtheilen. — Diese solonische Verfassungsform 
hat nun aber erstlich folgendes Bedenken: Es 
will ja scheinen, als ob z. B. die richtige ärzt- 
liche Behandlung nur derjenige beurtheilen könne, 
der auch selbst die Arzneikunst auszuüben und 
einen Kranken von einer wirklichen Krankheit 
gesund zu machen vermag, d. h. der Arzt. Und 
ein Gleiches gilt bei den übrigen Fertigkeiten 
und Künsten. Wie nun ein Arzt vor Aerzten 
Rechenschaft ablegen soll, so auch die anderen 
Ausüber einör Kunst vor ihresgleichen. Arzt heisst 
aber in Beisug auf UrtheilsfahigheU erstlich der 
Praktiker, dann der wissenschaftlich gebildete 
und drittens wer dilettantische Kenntniss von 



111,11. 169 

der ärztlichen Kunst hat; diese letztere Klasse giebt 
es ja nun auch fast bei allen Künsten, und Ur- 
theil räumen wir den Dilettanten nicht minder 
ein als den Fachleuten. Ferner will es scheinen 
als sei es mit dem Wählen ebenso. Richtig 
zu wählen ist Sache der Fachleute, z. B. der 
mathematisch Gebildeten Sache ist es, einen 
Mathematiker, der nautisch Gebildeten einen 
Schiffscapitän zu wählen. Denn wenngleich flir 
manche Verrichtungen und Künste auch gewisse 
Klassen von Laien mit eine Stimme bei der 
WaM haben, so doch keinesfalls eine gewichti- 
gere als die Fachleute. Von dieser Seite be- 
trachtet, dürfte man also weder die Behörden- 
wahl noch die Rechenschaftsabnahme in die Hand 
der Menge legen. — Vielleicht jedoch ist das 
nicht Alles richtig, erstlich, weil hier wieder, 
wofern nämlich die Menge nicht ganz und gar 
ohne Menschenwürde ist, die frühere Bemerkung 
eintritt, dass nämlich Jeder ftir sich zwar ein 
schlechterer Beurtheiler als die Fachleute sein 
wird. Alle vereinigt aber bessere oder wenigstens 
eben so gute; und dann, weil über Manches der 
Verfertiger weder das alleinige noch das beste 
Urtheil hat, überall nämlich, wo das fertige 
Werk auch diejenigen kennen lernen, welche 
die Kunst nicht verstehen, z. B. die Kenntniss 
von einem Hause ist nicht bloss auf den be- 
schränkt, der es gebaut hat, vielmehr wird sogar 



170 III, IL 

besser darüber urtheilen wer es benutzt, d. h. 
der Hausherr, und über ein Steuerruder der 
Steuermann besser als der SchiflFszimmerer, und 
über ein Gastmahl der Gast besser, aber nicht 
der Koch. Dieses Bedenken also darf man wohl 
hiermit für befriedigend erledigt halten. Aber 
es tritt noch ein anderes hieran sich anschlies- 
sendes ein. Es scheint nämlich ungereimt, dass 
die gemeinen Leute zu Wichtigerem befugt sein 
sollen als die anständigen; Kechenschaftsabnahme 
aber und Wahl der Behörden sind von der höch- 
sten Wichtigkeit und, wie gesagt, in einigen 
Verfassungen tiberträgt man sie dem Demos. 
Die Volksversammlung nämlich ist fftr alles hier: 
auf Bezügliche die entscheidende Behörde. Gleich- 
wohl sind Mitglieder der Volksversammlung und 
auch des Käthes und der Geschworenengerichte 
Leute von kleinem Steuerkapital und von belie- 
bigem Alter, während um Schatzmeister und 
Kriegsmeister zu werden und die höchsten Aem- 
ter zu bekleiden ein grosses Steuerkapital erfor- 
dert wird. Auch dieses Bedenken kann man 
nun wohl in gleicher Weise erledigen. Vielleicht 
ist dieses nämlich ganz richtig so wie es jetzt 
ist. Denn Beamter ist nicht der Geschworene und 
nicht der Rathmann und nicht der Theilnehmer 
an der Volksversammlung, sondern das Schwur- 
gericht und der Rath und der Demos; und von 
diesen G^sammtheiten ist jeder einzelne der Ge- 



III, 11. 171 

nannten bloss ein Glied; denn nur als Glied, 
das erst durch das Ganjse seine Bedeutung erhält, 
fasse ich den Rathmann, den Theilnehmer an 
der Volksversammlung, den Geschworenen auf. 
Es ist also dem Rechte entsprechend, wenn die 
Menge, indem sie in diese Behörden eintritt, zu 
wichtigeren Dingen befugt wird, als es die weni^ 
gen Vornehmen sind. Denn es sind Viele, die 
den Demos, den Rath und das Schwurgericht 
bilden und alle diese zusammengerechnet haben 
auch ein grösseres Steuerkapital als diejenigen, 
welche die vorhin genannten hohen mit Einer 
Person oder Wenigen besetzten Aemter verwal- 
ten. — Hiermit sei denn die Auseinandersetzung 
über diese Punkte beschlossen. 

Aus der Besprechung der ersten Schwierig- 
keit in Betreff der Inhaber der Souveränität er- s. oben s. lea. 
giebt sich nun nichts so klar wie dieses, dass 
die Souveränität in richtig ^abgefassten Gesetzen 
ruhen, die Beamten dagegen, mag die Behörde 
mit Einem oder mit Mehreren besetzt sein, nur ' 
in solchen Dingen Macht haben sollen, über 
welche eine scharfe Fassung der Gesetze uner- 
reichbar ist,, weil man mit allgemeinen Bestim- 
mungen schwer alle einzelnen Fälle erschöpfen 
kann. Von welcher Beschaffenheit jedoch diese 
richtig abgefassten Gesetze sein sollen, ist noch 
gar nicht deutlich, sondern hierüber bleibt die 
oben beregte Schwierigkeit unerledigt, dass näm- s. oben s. i65 



172 111,12. 

lieh zugleich mit den Verfassungen und in glei- 
chem Maasse wie diese auch die Gesetze schlimm 
oder treffli.ch, gerecht oder ungerecht sein müssen. 
So viel jedoch ist jedenfalls klar, dass die Ab- 
fassung der Gesetze von der Verfassungsform 
bedingt ist. Steht nun aber dieses fest, so folgt 
auch nothwendig, dass die den rechten Verfas- 
sungen entsprechenden Gesetze gerecht, dagegen 
die den ausgeschrittenen Verfassungen entspre- 
chenden ungerecht sind. 



s. oben s 3. *) Bei allen Wissenschaften und Künsten ist 12 

ein Gut der Zweck; das grösste Gut also ist in 
höchstem Grade Zweck in der allerobersten d. h. 



*) Das zwölfte und dreizehnte Capitel enthalten 
einen abgesonderten Eivtwurf zur Erörterung derselben 
Fragen, die theils im neunten, zehnten, elften, theils im 
sechszehnten und siebzehnten Capitel behandelt sind. Da 
er einiges Eigenthümliche , z. B. die Besprechung des 
Scherbengerichts (s. S. 182), darbietet, so mochten die 
Ordner der aristotelischen Papiere ihn nicht untergehen 
lassen, und der ihm jetzt angewiesene Platz schien em- 
pfohlen durch die Verwandtschaft des Inhalts mit den 
ihm nun benachbarten Capiteln. Wo die so entstandenen 
Tautologien gar zu augenfällig wurden, hat man sie 
durch Einfügung von Rückverweisungsformeln 'wie früher 
gesagt' u. dgl. (S. 176, 177, 202) zu mildern gemeint. Nach 
Aristoteles' Absicht sollte sich unmittelbar an das Ende 



III, 12. .173 

in der Staatskunst. Das staatliche Gut aber ist s. oben s. lo. 
das Recht, und dieses wiederum ist das Gemein- 
wohl. Nun halten Alle das Recht für eine Art s. obens.iss. 
von Gleichheit und bis auf einen gewissen Funkt 
stimmen sie dem bei, was die philosophischen 
Vorträge, in denen die ethischen Fragen erörtert 
wurden, darüber aufgestellt haben. Das Recht 
nämlich hat eine sachliche und persönliche Seite, 
und so sagen auch die Leute: Gleiche müssen 
Gleiches haben. Welche Eigenschaften nun aber 
persönliche Gleichheit und welche wiederum Un- 
gleichheit begründen, bedarf weiterer Aufklä- 
rung; denn hierin liegt eine Schwierigkeit und 
ein Anlass zu staatswissenschaftlicher Forschung. 
Vielleicht nämlich möchten Manche behaupten, 
jedweder Vorzug, durch den man hervorsteche, 

des elften Capitels der Anfang des vierzehnten anschlies- 
sen. Denn die ersten Sätze des vierzehnten Capitels lau- 
ten S. 1 85 : * Vielleicht ist es nun passend, von den angestellten 
Besprechungen aus den Uebergang zur Erörterung des 
Königthums zu machen ; denn das Königthum ist ja nach 
unserer Ansicht eine der rechten Verfassungen.' Dieses 
die Zweckmässigkeit des Uebergaugs begründende Sätz- 
chen 'denn das Königthum ist ja eine der rechten Ver- 
fassungen' findet in den Schlussworten des dreizehnten 
Capitels keinen Anknüpfungspunkt, da dort die 'rechten 
Verfassungen' gar nicht genannt sind. Wohl aber sind 
sie, wie man sieht, hier am Schluss des elften Capitels 
zugleich mit ihren Gegensätzen, den ausgeschrittenen 
Verfassungen, erwähnt. 



174 111,12. 

begründe einen Anspruch auf ungleiche Verthei- 
lung der Aemter, auch wenn sonst die Personen 
in nichts verschieden, sondern in der That 
gleichartig sind. Denn jener Eine Vorzug bringe 
doch eine Verschiedenheit hervor und ftlr Ver- 
schiedene sei auch Recht und Gebühr verschie- 
den. Jedoch wenn das wahr wäre, so würde 
auch Farbe und Grösse und jeder beliebige Vor- 
zug einen Mehrantheil staatlicher Berechtigung 
tHr die dadurch Hervorstechenden begründen. Aber 
erweist sich dieses nicht schon bei oberflächlicher 
Betrachtung als falsch? wie es ja bei den übri- 
gen Wissenschaften und Fertigkeiten ' deutlich 
hervortritt. Unter künstlerisch gleichstehenden 
Flötenspielern hat man doch einen Mehrantheil 
an den Flöten nicht denen von besserem Adel 
zu geben. Denn sie blasen darum die Flöte 
nicht besser, und man soll nur dem in der Lei- 
stung Vorzüglichen auch einen vorzüglichen An- 
theil an den Werkzeugen geben. Sollte hierdurch 
die KSache noch nicht deutlich sein, so wird sie 
bei weiterer Verfolgung dieses Beispiels ganz 
klar werden. Gesetzt nämlich, es ist Jemand 
Anderen voraus im Flötenspiel, steht ihnen aber 
an Adel oder Schönheit weit nach, so mag im- 
merhin jedes von diesen, ich meine Adel und 
Schönheit, ein grösserer Vorzug als Flötenspiel 
und verhältnissmässig weit mehr dem Flötenspiel 
als Jener i m Flötenspiel voraus sein, man muss Je- 



III, 12. 175 

nem doch die vortrefflichere Flöte geben. Denn 
das Voraussein sowohl an Reichthura als an Adel 
miisste, wenn man darauf Bücksicht nehmen soll, von 
Einfluss auf die Leistung sein, einen solchen Ein- 
fluss haben sie aber keineswegs. — Ferner würde 
aus der gegnerischen Behauptung folgen, dass 
jeder Vorzug mit jedem Vorzug in Vergleich 
gestellt werden könne. Denn wenn z. B. einem 
gewissen Maass von Köi-pergrösse im Vergleich 
zu Reichthum und freier Geburt irgend etwas 
in höherem Grade zukommt, so kann auch wohl 
überhaupt Körpergrösse sowohl gegen Reichthum 
als gegen freie Geburt in die Wagschale gelegt 
werden. Also auch, wenn dieser Mensch durch Kör- 
pergrösse mehr hervorsticht als jener andere durch 
Tugend, so würde, obschon an sich Tugend vor- 
züglicher ist als Körpergrösse, doch ein Gleich- 
maass zwischen ihnen möglich sein. Denn wenn 
ein gewisses hohes Maass von Körpergrösse mehr 
werth ist als ein gewisses geringes Maass von 
Tugend, so ist es doch klar, dass es ein anderes 
Maass von Körpergrösse geben muss, welches 
gleichviel werth ist wie jenes Maass von Tugend. 
Da nun aber eine solche Oommensurabilität aller 
Arten von Eigenschaften widersinnig ist, so sieht 
man, dass es seinen guten Grund hat, wenn auf 
politischem Gebiet nicht jede Art von Ungleich- 
heit für Ansprüche auf staatliche Aemter geltend 
gemacht wird. Denn wenn die Einen langsam, 



176 111,13. 

die Anderen schnell sind, so dürfen deshalb nicht 
diese mehr und jene weniger politisches Recht 
bekommen, sondern ein Vorzug solcher Art er- 
hält in den gymnastischen Wettkämpfen die ge- 
bührende Ehre. Vielmehr die Elemente, aus de- 
nen der Staat besteht, diese allein können den 
Boden für die streitenden Ansprüche abgeben. 
Demnach machen fHiglich auf staatliche Ehre An- 
spruch Adeliche und Freigeborene und Reiche. 
Freigeborene nämlich und Leute mit einem Steuer- 
kapital müssen da sein, weil aus lauter Mittel- 
losen so wenig wie aus Sclaven ein Staat zu 
Stande kommt. Jedoch wenn einerseits diese 
Elemente unentbehrlich sind, so ist es anderer- 
seits klär, dass Gerechtigkeit und kriegerische 
Tüchtigkeit es ebenfalls sind; denn auch ohne 
diese kann man nicht im Staate leben; der Un- 
terschied liegt nur darin, dass ohne die ersteren 
Elemente die Existenz des Staates, ohne die letz- 
teren sein geordneter Zustand unmöglich ist. Mit 
Rücksicht auf die Existenz des Staates könnten 13 
also die Ansprüche aller oder wenigstens einiger 
der genannten Elemente richtig scheinen, mit Rück- 
sicht jedoch auf das gute Leben, d. h. den Zweck des 
Staats, dürften Bildung und Tugend die am mei- 
s. oben s. 163. stcn gerechten Ansprüche haben, wie auch schon 
früher gesagt. Da es nun aber sich nicht ge- 
bührt, weder dass die nur in Einem Punkt Glei- 
chen gleichen Theil von Allem, noch die nur in 



III, 13. 177 

Einem Punkt Ungleichen ungleichen Theil von Al- 
lem haben, so folgt nothwendig, dass alle auf sol- 
chen Grundsätzen beruhenden Verfassungen Aus- 
schreitungen sind. Nun wurde schon früher ge- s. oben s. iss. 
sagt, dass alle streitenden Parteien nach gewisser 
Seite, wenn auch nicht schlechthin. Recht haben, 
die Reichen, weil ihnen ein grösserer Theil des 
Bodens gehört und der Boden gemeinsame Grund- 
lage des Staates ist; ausserdem sind sie auch 
meistens zuverlässiger in Handel und Wandel. 
Die Freigeborenen und Adelichen können sich bei 
ihren Ansprüchen auf ihre nahe an einander strei- 
fenden Vorzüge stützen. Denn wenn die Frei- 
geborenen sich auf ihr Bürgerthum berufen j so 
sind die edleren Bürger doch in vollerem Sinne 
Bürger als die nicht edlen, und jedes einzelne Volk - 
ehrt seinen heimathlichen Adel, warum soll also 
nicht auch der Adel überhaupt geehrt werden? 
Ferner lässt sich anführen, dass voraussichtlich 
die von Besseren Abstammenden auch selbst 
besser sind. Denn Adel bedeutet edler Schlag. 
In gleicher Weise dürfen wir nun sagen, dass 
auch die Tugend begründete Ansprüche erheben 
kann. Denn die Gerechtigkeit gilt uns ja für 
eine in der Gemeinschaft sich verwirklichende, 
(üso dem Staate wesentliche^ Tugend, und wo Ge- 
rechtigkeit ist, finden sich nothwendig alle übri- 
gen Tugenden ein. Aber auch die Mehrzahl kann 
der Minderzahl gegenüber sich auf einen gerech- 

12 



178 111,13. 

s. oben 8. lefi. ten Anspruch stützen; sie ist stärker und reicher 
und besser, wenn man alle Bestandtheile der 
Mehrzahl zusammengerechnet der Minderzahl ge- 
genüberstellt. — - Wie nun aber, wenn alle jene 
Klassen in Einern Staat zusammen sind, ich 
meine, erstlich die Guten, dann die Reichen und 
Adelithen, und ausserdem noch eine sonstige Bür- 
germenge, wird dann ein Streit darüber sein, 
wer herrschen soll, oder wird kein Streit sein? 

s. oben s. IM. lu jcdcr dcr oben genannten Verfassungen freilich 
wird die Entscheidung darüber, wer herrschen 
soll, unbestritten sein. Denn eben durch die ver- 
schiedenen Souveräne unterscheiden sie sich von 
einander, in dieser z. B. bilden die Reichen den 
Schwerpunkt, in jener die ordentlichen Leute, 
und ähnlich bei jeder von den übrigen. Aber 
wir fragen uns dennoch, wenn alle jene Elemente 
zu gleicher Zeit vorhanden sind, welcherlei Be- 
stimmungen soll man da treffen? Gesetzt, die 
mit Tugend Ausgestatteten bilden eine überaus 
geringe Anzahl, wie soll man die Grenze ange- 
ben? Muss man den Begriff der geringen An- 
zahl mit Rücksicht auf die vorliegende Aufgabe 
fassen und nur darauf sehen, ob sie hinreiche 
den Staat zu verwalten, oder muss die Zahl 
gross genug sein um einen Staat zu bilden? — 
Es lässt sich aber gegen alle um die staatlichen 
Ehren streitenden Parteien ein gemeinschaftlicher 
Einwurf richten. Es will nämlich scheinen, als 



in, 13. 179 

brächten diejenigen, welche wegen ihres Reich- 
thums auf Herrschaft Anspruch machen, gar 
keinen stichhaltigen Kechtsgrund vor, so wenig 
wie die auf Geburt sich stützenden. OflFenbar 
nämlich, wenn nun wieder ein Einziger reicher 
ist als Alle, mUsste ja nach demselben Rechts- 
grunde dieser Eine über alle Reichen herrschen, 
und ebenso der durch Adel Hervorragende über 
Alle, die sich auf freie Geburt berufen. Ganz 
dasselbe wird wohl auch in den Edelstaaten 
sich bei der Tugend herausstellen. Wenn näm- 
lich ein Einziger ein besserer Mann wäre als 
alle übrigen Mitglieder der herrschenden Klasse, 
die immerhin auch wackere Leute sein mögen, 
so mUsste doch nach demselben Rechtsgrund, 
welchen die herrschende Klasse für sich anführt^ 
jener Eine der Souverän sein. So nun auch, 
wenn wirklich die Menge Souverän sein soll, 
weil sie stärker ist als die Wenigen, müsste, 
wenn ein Einziger oder zwar Mehrere als dieser 
Eine jedoch Wenigere als die Mehrzahl stärker 
"wären, die Souveränität vielmehr bei diesen, 
und nicht bei der Menge sein. Aus diesem 
Allen ergiebt sich nun wohl deutlich, dass von 
allen den Grundsätzen keiner richtig ist, kraft 
deren die Leute selbst herrschen und alle Uebri- 
gen von sich beherrscht wissen wollen. Könnten 
doch sogar gegen diejenigen, welche auf Grund 
der Tugend souveräne Regierungsgewalt an- 



180 m, 18. 

sprechen, und ebenso auch gegen diejenigen, 
welche es auf Grund des Reichthums thun, die 
Gemeinden, welche die Mehrzahl bilden, eine 
gerechte Gegenrede vorbringen, da es ja ganz 
wohl geschehen kann, dass zuweilen die Menge 
besser ist als die Wenigen und auch reicher, 
nicht zwar Jeder tür sich, sondern Alle zusam- 
mengerechnet. Sonach kann man auch der 
Schwierigkeit, welche von gewisser Seite ge- 
funden und vorgebracht wird — man fragt näm- 
lich, ob der Gesetzgeber der die richtigsten 
Gesetze geben will, die Gesetzgebung tÜr das 
Wohl der Besseren oder für das Wohl der Mehr- 
zahl zu berechnen habe — - auf diese Weise be- 
gegnen, überall wo der erwähnte Fall eintritt, 
dass die Menge eusammengerechnet ein grösseres 
Maass von Gutem als die Wenigen aufweist. 
Das Richtige aber hat man als gleichheitlich 
zu fassen, und das gleichheitlich Richtige wie- 
derum bestimmt sich nach dem Wohl des ganzen 
Staats und dem Gesammtwohl der Bürger. Bürger 
aber ist im Allgemeinen, wer am Gebieten wie 
am Gehorchen Theil nimmt;, in jeder verschiede- 
nen Verfassungsform ist das ein Anderer; tÜr die 
beste Verfassungsform ist es derjenige, welcher 
befähigt und gewillt ist, im Gehorchen und Ge- 
bieten die Anforderungen des tugendhaften Lebens 
zu erfllllen. Ist nun aber ein Einziger, oder 
Mehrere zwar als Einer, jedoch nicht genug um 



m, 13. 181 

die Bevölkerung eines Staates abzugeben, so sehr 
durch tiberschwängliche Tugend ausgezeichnet, 
dass die Tugend aller Uebrigen und auch ihre 
staatliche Tüchtigkeit gar nicht in Vergleich 
kommen kann mit der Tugend und Tüchtigkeit 
Jener, wenn es Mehrere sind, öder ist's ein Ein- 
ziger, Jenes; dann kann man diese Art Menschen 
gar nicht mehr als Bestandtheil eines Staates 
gelten lassen. Denn es geschähe ihnen Unrecht, 
wollte man ihnen zumuthen, dass sie mit glei- 
chem Antheil zufrieden seien, da sie an Tugend 
und staatlicher Tüchtigkeit so sehr ungleich sind. 
Denn gleichsam als ein Gott unter Menschen 
würde wohl ein so Gearteter erscheinen. Hier- 
aus ist nun auch zu ersehen, dass die Gesetz- 
gebung sich nothwendig nur auf Menschen von 
gleichem Schlage und gleicher Ausbildung richten 
kann; für Menschen dagegen von der obigen 
überschwänglichen Art giebt es kein Gesetz; 
denn feie selbst sind Gesetz. Lächerlich in der 
That würde sich machen, wer es unternähme, 
sie durch Gesetzgebung zu binden; sie würden 
wahrscheinlich dasselbe dazu sagen, was An- 
tisthenes die Löwen sagen lässt, als die Haasen 
politische Reden hielten und allgemeine Gleich- 
heit forderten. — In diesem Verhältniss liegt 
auch der Grund weshalb die demokratischen 
Staaten das Scherbengericht bei sich einftlhren. 
Diese Staaten nämlich streben angeblich vor 



182 111,13. 

allen Dingen nach Gleichheit; gegen diejenigen 
also, welche durch Reichthum oder grossen An- 
hang oder sonstiges politisches Gewicht über- 
bengericht" i^ächtig ZU scin schienen, pflegte man das Scher- 
bengericht anzuwenden und sie Itir bestimmte 
Fristen aus dem Staate zu entfernen. Auch in 
der Sage heisst es, dass die Argoschiflfer aus 
solchem Grunde den Herakles zurtickliessen ; das 
ArgoschiflF nämlich habe ihn nicht fahren wollen, 
weil er so viel schwerer war, als alle anderen 
Mitfahrenden. — Wenn daher der von Perian- 
dros dem Thrasybulos gegebene Rath derTyrannis 
zum Tadel angerechnet wird, so darf man diess 
nicht für einen schlechthin triftigen Vorwurf halten. 
Periandros nämlich, wird erzählt, habe zu dem 
Herold, der um Rath zu holen an ihn abgesandt 
worden, nichts gesprochen, sondeni nur die her- 
vorragenden Aehren fortgenommen und so das 
Feld auf gleiche Höhe gebracht; daraus habe 
dann, als der Herold, ohne die Bedeutung der 
Sache zu erkennen, das Vorgefallene meldete, 
Thrasybulos verstanden, dass er die hervorragen- 
den Männer aus dem Wege schaffen solle. Diess 
ist jedoch weder ausschliesslich Tyrannen-Inter- 
esse noch ausschliesslich Tyrannen-Verfahren, 
vielmehr findet es ebenso in den Demokratien 
und Oligarchien statt. Denn das Scherbenge- 
richt läuft gewissermaassen auf dasselbe hinaus 
wie das tyrannische Kleinmacben der Hervor- 



111, 13. 183 

ragenden und das Verbannen derselben. Auch 
gegen ganze Staaten in Griechenland und gegen 
nichtgriechische Völkerschaften wird dasselbe 
Verfahren Ton den Grossmächten angewendet, 
wie z. B. von den Athenern gegen die Samier 
und Chier und Lesbier; denn sobald die Athener 
ihre Reichsherrschaft mit starker Hand tUhren 
konnten, drückten sie unter Verletzung der Ver- 
träge jene hervorragendsten Bundesstaaten zu 
Boden. Und der Perserkönig wiederum pflegte 
auf die Meder und Babylonier und die anderen 
unterworfenen Völkerschaften, die, weil sie ein- 
mal an der Herrschaft gewesen, von Selbstgefühl 
erfüllt waren, wiederholt loszuschlagen. Das 
Problem ist' demnach ein allgemeines, alle Ver- 
fassungsformen, auch die rechten, umschliessen- 
des. Denn wenn auch in den ausgeschrittenen 
Verfassungen das Absehen bei jenem Ver- 
fahren auf Sonderinteressen gerichtet ist, so 
waltet doch in den das Gemeinwohl be- 
zweckenden Verfassungen ganz dasselbe Verhält- 
niss ob; mithin braucht dieser Punkt noch nicht 
jedem Einvernehmen zwischen den Einzelherr- 
schern und den Stadtgemeinden im Wege zu 
stehen, wofern nämlich ihre persönliche Herr- 
schaft auch für die Stadtgemeinden nützlich ist 
und sie nun jenes Verfahren einschlagen. — 
Auch sonst .in den Künsten und Wissenschaften 
tritt dieses Verhältniss zu Tage. Kein Maler 



184 in, 13. 

wird in einem Grcmälde den das Ebenmaass tiber- 
schreitenden Fuss belassen, wäre er auch noch 
so schön, kein SchiflFszimmerer einen derartigen 
SchiflFsspiegel oder sonst einen SchiflFstheil. Eben 
so wenig wird der Chormeister Jemanden, der 
eine lautere und schönere Stimme hat als der 
ganze Chor, mitsingen lassen. Wo es sich also 
um oflFenbare Uebermässigkeiten handelt, kann 
die Vertheidigung des Scherbengerichts sich auf 
einen staatlichen Rechtsgrund berufen. Das 
Beste allerdings ist, wenn der Gesetzgeber die 
Verfassung so einrichtet, dass das Bedttrfniss 
nach solchen Heilmitteln gar nicht entstehe, das 
Zweitbeste aber, eintretenden Falles mittelst eines 
derartigen Correktivs wie dcks Scherbengericht die 
Ausgleichung zu versuchen. Auf diese Weise 
verflihr man jedoch nicht in den griechischen 
Staaten. Man sah bei den Scherbengerichten 
nicht auf das, was das Wohl der jedesmaligen 
Verfassung verlangte, sondern benutzte dieselben 
zu Parteizwecken. — Dass nun das Fortschaffen 
der Hervorragenden in den ausgeschrittenen Ver- 
fassungen den Sonderinteressen derselben gemäss 
und nach dem Princip dieser Verfassungen ge- 
recht sei, ist klar; ja vielleicht ist, dass es 
schlechthin gerecht sei, ebenfalls klar. Nur bei 
der besten Verfassung entsteht eine grosse 
Schwierigkeit, nicht zwar bezüglich des Ueber- 
maasses an sonstigen Vorzügen z. B. Stärke, 



m, 14. 185 

Reichthum, Anhang; aber, wenn es nun vorkommt, 
dass Einer an Tugend Alle übertriflFt, was soll 
man da machen? Niemand wird doch sagen wollen, 
man müsse einen Solchen ausstossen oder zeit- 
weilig entfernen; ebenso wenig aber, man dürfe 
einem Solchen befehlen; das wäre ungefähr so 
wie wenn man, gemäss einem reihenweisen 
Wechsel der Aemterbekleidung, auch einmal dem 
^Zeus befehlen wollte. Es bleibt also nur das s. imten s. 204. 
übrig, was auch wohl in der Natur der Sache 
liegt, dass nämlich einem Solchen Alle freudig 
gehorchen, und mithin Männer solcher Art ewige 
Könige in freien Staaten sind. 



14 Vielleicht ist es nun passend, von den an- ^^^j^^Jf*«" 
gestellten Besprechungen aus den Uebergang zur 
Erörterung des Königthums zu machen; denn 
das Königthum ist ja nach unserer Ansicht eine 
der rechten Verfassungen*). Zu erörtern aber 
ist die Frage, ob Königsherrschatt Itir die Wohl- 
fahrt sowohl eines städtischen Gemeinwesens 
als eines Landes förderlich oder nicht und viel- 
mehr eine andere Verfassung forderlicher, oder 
aber ob sie in gewissen Fällen förderlich, in 
anderen nicht förderlich sei. Zunächst muss nun 
bestimmt werden, ob es nur Eine Art von König- 
thum giebt, oder ob dasselbe mehrere Verschie- 



*) Siehe oben S. 172 Anmerkung. 



186 III, 14. 

denheiten einschliesst. Da ist dann diess wohl 
leicht einzusehen, dass es mehrere Arten um- 
i'asst und die Weise der Herrschaft nicht bei 
allen Königthümern eine und dieselbe ist. Z. B. 
SThe KöS?*- ^^^ Königthum in der lakonischen Verfassung 
thum. gjj^ r^^^Y daitir, dass es unter den gesetzlichen 

Königthttmern am meisten Königthumist, jedoch 
hat es keine allseitige Befugniss, sondern der 
König ist nur, wenn er die Landesgrenze über- 
schritten hat, Leiter der kriegerischen Ange- 
legenheiten, und ausserdem sind noch die Götter- 
dienste den Königen tiberwiesen. Diese Art des 
Königthums ist also nicht mehr als gleichsam 
eine Feldherrnschaft mit selbständiger Macht- 
vollkommenheit und auf Lebenszeit. Denn Recht 
über Tod und Leben hat ein solcher König 
nicht, ausser in gewissen Fällen, wie es während 
der Kriegsztige als standrechtliches Verfahren bei 
den Alten, ' nach Ausweis des Homeros, war. 
Agamemnon nämlich, wenn er in den Versamm- 
lungen geschmäht wurde, nahm er es hin, so- 
bald man aber zur Schlacht ausgezogen war, 
hatte er das Recht sogar zu tödten. Sagt er ja 

[Ilias 2, S9i\\ ^Wen ich jedoch abseits von der 

* 

Schlacht hei den Schiffen betreffe, Nicht wird dem 
es gelingen vor Hunden und Vögeln zu fliehen. 
Denn ich halte den Tod in der Hand\ Diess 
ist also die eine Art von Königthum : Feldherrn- 
schaft auf Lebenszeit. Besetzt werden die König- 



III, 14. 187 

thttmer dieser Art theils aus bestimmten Ge- 
schlechtern, theils durch Wahl. — Ausser dieser 
giebt es noch eine andere Art der Einzelherr- 
schaft : Königthtimer wie sie bei einigen Barba- d»» König- 
ren bestehen. Alle diese haben zwar eine der g^rie^^^n*' 
tyrannischen ähnliche Gewalt, aber dennoch sind 
sie gesetzmässig und angestammt. Weil nämlich 
die Barbaren überhaupt von Natur knechtischere 
Charaktere als die Hellenen und die asiatischen 
Barbaren wiederum knechtischere als die euro- 
päischen haben, so ertragen sie die knechtische 
Botmässigkeit ohne Murren. Wegen dieser knech- 
tischen Botmässigkeit sind demnach jene König- 
thtimer zwar tyrannisch, haben aber einen ge- 
sicherten Bestand, weil sie gesetzmässig und an- 
gestammt sind; wie ja auch aus dieser Ursache 
ihre Leibwache eine königliche und keine tyran- 
nische ist. Könige nämlich werden von den 
Bürgern in WaflFen bewacht, Tyrannen dagegen 
von einer fremden Söldnertruppe, weil jene ge- 
setzmässig tiber willig Gehorchende, diese über 
Widerwillige herrschen, und also jene seitens der 
Bürger, diese zum Schutz gegen die Bürger mit 
Wachen umgeben sind. — Diess wären demnach 
zwei Arten von Einzelherrschaft ; eine andere nie Aesym- 

netie. 

ist diejenige, welche bei den alten Hellenen be- 
stand, die sogenannten Aesymneten. Diese ist, 
schlechthin gesagt, eine Wahl-Tyrannis; ihr 
Unterschied von der barbarisoben Eiuzelherr- 



188 in, 14. 

Schaft liegt nicht in mangelnder Gesetzmässig- 
keit, sondern bloss darin, dass sie nicht ange- 
stammt ist. Manche hatten diese Gewalt lebens- 
länglich inne, Andere nur ttir bestimmte Fristen 
oder Geschäfte, wie z. B. die Mitylenäer einmal 
den Pittakos wählten zur Vcrtheidigung gegen 
die Emigranten, an deren Spitze Antimenides 
und der Dichter Alkaios standen. Dass man 
nämlich den Pittakos wirklich zuna Tyrannen 
erwählte, zeigt Alkaios in einem seiner Tafel- 
lieder, wo er schilt, dass sie* den 'niedriggebore- 
nen Pittakos ttir die mattherzige Stadt, welche 
das Schicksal drückt, eingesetzt als Tyrann, laut 
ihn im Schwärm rühmend als Wackeren.' Diese 
Gewalten also sind und waren einerseits tyran- 
nische weil despotisch unumschränkte, anderer- 
seits königliche weil erwählte und willig aner- 
Das heroi- kanutc. — Eiuc vierte Art könifflicher Einzel- 

Bche König- " 

thum. herrschaft bilden die, welche im heroischen Zeit- 
alter als willig anerkannte und angestammte 
gesetzmässig bestanden. Weil nämlich die ersten 
Stifter des Königshauses sich durch Erfindung 
von Künsten, oder im Kriege oder durch Be- 
gründung der staatlichen Vereinigung oder durch 
Gebietserwerbung als Wohlthäter des Volks be- 
wiesen, wurden sie willig als Könige anerkannt, 
und tllr die folgenden Geschlechter ward diess 
dann ein angestammtes Verhältniss. Ihre Be- 
fugniss erstreckte sich auf die Führerschaft im 



III, U. 189 

Kriege und die Opfer, soweit es nicht priester- 
liche waren, und ausserdem entschieden sie die 
Prozesse; letzteres thaten Manche unvereidigt, 
Andere vereidigt; die Form des Eides war Er- 
hebung des Königsstabes. In den alten Zeiten 
nun übten die Könige ihre Gewalt ununter- 
brochen in den städtischen Angelegenheiten, im 
Weichbilde und im Felde. Später aber, da die 
Könige selbst einige Rechte aufgaben, andere 
die Massen ihnen wegnahmen, verblieben in dem 
einen Theil der griechischen Staaten, z, B, in 
Athen, bloss die Opfer den Königen, wo aber 
noch von Königthum die Rede sein kann, e. B, in 
Sparta, behielten sie nur die Führung der Kriegs- 
unternehmungen ausserhalb der Landesgrenze. 

Hiermit sind also vier Arten von König- 
thum aufgezählt, erstlich das des heroischen 
Zeitalters; es war ein willig anerkanntes, er- 
streckte sich jedoch nui* auf bestimmte Gebiete; 
Feldherr und Richter war der König und zum 
Götterdienst befugt ; zweitens das barbarische ; 
es ist eine an ein bestimmtes Geschlecht ge- 
bundene, gesetzlich begründete despotische (xe- 
walt; drittens die sogenannte Aesymnetie; es 
ist eine Wahl - Tyrannis ; das vierte in der 
Reihe ist das lakonische ; es ist, schlechthin ge- 
sagt, eine an ein bestimmtes Geschlecht ge- 
knüpfte Feldherrnschaft auf Lebenszeit. Diese 
vier unterscheiden sich also von einander in 



190 in, 15. 

Das abso- solchcr Wcise, und eine fünfte Art von Könie- 

luto König- ' ^ 

thum. thum ist nun die, wo ein Einzelner souveräner 
Herr über Alles in derselben Weise ist, wie jede 
Völkerschaft und jedes städtische Gemeinwesen 
über das öflFentliche Vermögen; diese Art von 
Königthum ist ein Gegenstück zur hausväter- 
lichen Gewalt. Wie nämlich die hausväterliche 
Gewalt gewissermaassen eine königliche Herr- 
schaft über den Hausstand, so ist dieses König- 
thum eine hausväterliche Verwaltung eines städti- 
schen Gemeinwesens und einer oder mehrerer 
Völkerschaften. — Nun sind es überhaupt wohl 15 
nur zwei Arten von Königthum, auf welche die 
Untersuchung sich zu richten hat: das König- 
thum dieser letzten Art und das lakonische. 
Denn die übrigen liegen meistens zwischen diesen 
in der Mitte; ihre Befugniss ist eine geringere 
als die der königlichen Allherrschaft und eine 
grössere als die des lakonischen Königthums. 
Die Untersuchung betriflft demnach wohl folgende 
zwei Fragen : erstlich, ist es gut für die Staaten, 
dass es einen lebenslänglichen Feldherrn giebt, 
und soll dann dieser aus einem bestimmten Ge- 
schlecht genommen werden oder eine Reihenfolge 
stattfinden, oder aber ist es nicht gut? Zweitens, 
ist es gut dass Einer souveräner Herr über Alles 
sei, oder ist es nicht gut? Die Erörterung nun 
aber über eine so beschaffene Feldherrnschaft 
hängt mehr mit den Gesetzen als mit der Ver- 



111,15. .191 

fassung zusammen; denn in allen Verfassungen 
ist eine solche Einrichtung denkbar; wir lassen 
sie also fflrs erste bei Seite. Die noch übrige 
Weise des Königthums ist dagegen eine wirk- 
liche Verfassungsform; diese also müssen wir 
betrachten und die darin liegenden Schwierig- 
keiten kurz durchnehmen. Auszugehen ist bei 
dieser Forschung von der Frage, ob es zweck- 
mässiger sei von dem besten Manne oder von 
den besten Gesetzen beherrscht zu werden. Die- 
jenigen nun, welche es für zweckmässig halten 
unter einem König zu stehen, meinen, die Ge- 
setze reden bloss von dem Allgemeinen und ver- 
ordnen nichts über die einzelnen Vorkommnisse. 
Darum sei in jedweder Kunst das Kleben am 
Buchstaben der Vorschrift thöricht; — sogar in 
Aegypten sei es nach viertägiger Frist den 
Aerzten freigestellt von der Vorschrift abzu- 
weichen; wer es jedoch früher thut, thut es 
auf eigene Gefahr — ; demnach sei es klar 
dass aus demselben Grande die auf dem Buch- 
staben und den Gesetzen beruhende Verfassung 
nicht die beste sein könne. — Hiergegen lässt 
sich jedoch erwiedern, dass doch den regieren- 
den Personen jene allgemeine Auffassung auch 
nicht fehlen dürfe, und dass Etwas, dem Leiden- 
schaft gar nicht beiwohnt, besser sei als Etwas, 
mit dem sie verwachsen ist. Im Gesetz nun 
giebt es keine Leidenschaft, während sie sich 



192 lil, 15, 

unvermeidlich in jedem menschlichen Gemtith 
findet. Hierauf wiederum möchte man vielleicht 
entgegnen, dass dafür aber auch der persönliche 
Herrscher richtigere Entschlüsse über die einzel- 
nen Fälle fasse. — Klar ist nun jedenfalls, dass 
der persönliche Herrscher auch Gesetzgeber sein 
und Gesetze bestehen müssen, die jedoch da 
wo sie am Ziele vorbeischiessen, ausser Kraft 
treten; in allen anderen Fällen nämlich müssen 
sie in Kraft bleiben. Ueberall nun aber wo das 
Gesetz entweder überhaupt nicht oder nicht 
richtig zu entscheiden vermag, soll da ein einzi- 
ger Bester die Gewalt haben, oder vielmehr 
Alle? jetzt ist es ja wirklich so, dass auch wo 
es sich nur um Einzelfälle handelt, Alle zu- 
sammenkommen um zu richten, zu berathen und 
politische Entscheidungen zu treffen; einzeln ge- 
nommen wird jeder von ihnen ohne Unterschied 
vielleicht minder gut sein als jener einzige Beste. 
Aber der Staat besteht ja aus Vielen; ungefähr 
s. oben s. 166. wic ciu Pickuick-Schmaus prächtiger ist als ein 
gewöhnlicher, von Einem veranstalteter. Aus 
diesem Grunde beurtheilt auch eine Masse viele 
Dinge besser als ein Einziger, er sei wer er 
wolle. Ferner verdirbt das Massenhafte nicht 
so leicht. Wie die grössere Wassermasse, so ist 
auch bei Menschen die Menge dem Verderbniss 
weniger ausgesetzt als die Wenigen. Jener Einzige 
kann, wenn er von Zorn oder einer ähnlichen 



III, 15. 193 

Leidenschaft ergriflfen ist, unmöglich ein unbe- 
fangenes Urtheil fällen; dagegen müsste es schon 
hochkommen, wenn Alle, welche die Menge bilden, 
in Zorn gerathen und deshalb Fehler machen 
sollten. Unter der Menge aber seien hier die 
Freigeborenen verstanden, und zwar solche, welche 
nichts thun ohne das Gesetz zur Seite zu haben, 
ausser in den Fällen wo das Gesetz nothwendig 
ungenügend ist. Oder wenn diese Bedingung nicht 
leicht bei einer Menge zu finden ist, so setze man 
einige als Männer und Bürger Wackere voran«, und 
frage: Ist jener Einzige als Herrscher oder vielmehr 
diese grössere Anzahl von lauter wackeren Männern 
weniger von Verderbniss bedroht ? Ist nun nicht 
offenbar darauf zu antworten: die grössere Anzahl? 
Aber — wird man sagen — diese grössere Anzahl 
geräth in Parteikämpfe, während es bei dem 
Einzigen keine Parteiunggiebt. Dagegen jedoch 
ist vielleicht dieses in Anschlag zu bringen, dass 
wocA der Voraussetzung Alle in jener grösseren 
Anzahl ebenso sittlich vortrefflich sind wie der 
Einzige, mithin sie auch durch die Parteiung sich 
nicht 0u Schlechtem hinreissen lassen werden. 
Sonach würde, wenn wir die Herrschaft jener 
grösseren Anzahl von lauter braven Männern als 
Edelherrschaft und die des Einzigen als König- 
thum setzen sollen, die Edelherrschaft flir die 
Staaten dem Königthum, sowohl dem auf Truppen- 
macht gestützten wie dem ohne dieselbe beste- 

13 



194 m, 15. 

henden, vorzuziehen sein, wofern man nämlich 
eine grössere Anzahl, die auf gleicher Stufe der 
Tugend stehen, zur Verfügung hat. Und bloss 
hierin lag wohl der Grund weshalb man in den 
älteren Zeiten sich von Königen regieren Hess, 
weil nämlich nur selten Leute mit einem hohen 
Grade von Tugend zu finden waren, zumal da 
man damals in kleinen Städten wohnte. Dieses 
ist auch noch daraus zu ersehen, dass man die 
s. oben s. 188. Köuigc auf Gruud erwiesener Wohlthaten erkor, 
mithin wegen einer den braven Männern eigen- 
thtimlichen Leistung; wären also viele brave 
Männer vorhanden gewesen, so würde man nicht 
Einem Kimige, sondern den Vielen die Herrschaft 
übertragen haben. Als es aber dahin kam, dass 
Viele zu einer ' gleichen Stufe von Tugend sich 
erhoben, Hessen sie sich die Könige nicht länger 
gefallen, sondern sahen sich nach einem nicht 
monarchischen Gemeinwesen um und richteten 
eine bürgerthtimliche Verfassung ein. Darauf, 
als die Menschen schlechter wurden und ihre ^ 
öffentliche Stellung zum Geldmachen benutzten, 
entwickelten sich begreiflicher Weise hieraus 
auf einem oder deni anderen Wege die Oligar- 
chien; man bekleidete nämlich den Reichthum 
mit Ansehen. Von den Oligarchien geschah 
dann der Uebergang zunächst zu Tyrannenherr- 
schaften und dann von den Tyrannenherrschaften 
zur Demokratie. Da nämlich die Oligarchen ' 



m, U. ^ 195 

aus niedriger tlabsucht ihre eigene Zahl immer 
mehr einschrumpfen Hessen, machten sie dadurch 
die ihnen gegenüberstehende Menge allzu stark, 
so dass sie sich endlich auflehnte und Demokra- 
tien entstanden. Jetzt zumal, nachdem die Städte 
zu einer solchen Grösse sich entwickelt haben, 
kann wohl nicht leicht noch eine andere Ver- 
fassungsform als Demokratie bestehen. — Wenn 
nun aber trotzdem Jemand es am Besten für die 
Staaten hält, dass sie Könige haben, wie soll es 
dann mit den Kindern werden? Soll auch auf 
das ganze Geschlecht die Königswürde über- 
gehen? Aber wenn darunter sich nun solcher- 
lei Persönlichkeiten finden, wie schon manche 
vorkamen, so ist das doch verderblich. Aber — 
wird man sagen, — in solchem Falle wird der 
König, wenn er freie Hand hat, seinen Kindern 
die Nachfolge nicht übertragen. Aber — ist zu 
erwiedem — hierin kann man ihm schon nicht 
so leicht trauen. Denn dergleichen kommt Jedem 
hart an und setzt eine über die menschliche 
Natur hinausgehende Tugend voraus. — Auch 
in Betreff der Truppenmacht entstehen Schwierig- 
keiten; soll der zum Königthum Berufene eine 
militärische- Kraft zur Vetttigung haben, mit 
welcher er die nicht gutwillig Gehorchenden 
zwingen kann oder, wenn ihm eine solche Militär- 
macht als unverträglich mit der dem Königthum 
wesentlichen Freiwilligheit des Gehorsams versagt 



196 m, 16. 

wirdj wie ist er dann im Stande die Regierung 
zu fiihren? Denn auch in dem Fall dass seine 
Befugniss an das Gesetz gebunden ist und er 
nichts nach eigenem Belieben gegen das Gesetz 
thut, muss ihm dennoch eine Macht zu Gebot 
stehen, mit der er die Gesetze wahren könne. 
Bei einem König solcher gesetzmässigen Art 
nun mag sich wohl ohne Mühe eine die Schwie- 
rigkeit hebende Begrenzung finden lassen. Aller- 
dings nämlich muss er eine militärische Kraft 
haben, diese Kraft aber muss so bemessen sein, 
dass sie zwar stärker ist als jeder einzelne Bürger 
für sich und auch als mehrere zusammen, jedoch 
schwächer als die vereinigte Btirgermenge; in 
dieser Weise pflegte man auch in alten Zeiten 
die Leibwachen zu gewähren, wenii man einmal 
für den Staat einen sogenannten Aesymneten 
oder Tyrannen bestellte, und noch als Dionysios 
Leibwächter verlangte, machte Jemand den Syra- 
kusern den Vorschlag, ihm nur so viele zu geben. 

Ueber den König aber, der nach eigenem 16 
Belieben Alles thut, kommt jetzt die Betrachtung 
an die Reihe und haben wir die Untersuchung 
anzustellen. Denn der sogenannte gesetzlich be- 
s. oben s. 190. schräuktc König bildet, wie gesagt, keine eigen- 
thümliche Verfassungsform, da ja in allen Ver- 
fassungen, z. B. auch in Demokratie und Aristo- 
kratie, eine lebenslängliche Feldherrnschaft denk- 
bar ist, und in vielen nicht monarchischen Staaten 



in, 16. 197 

betraut man auch mit der gesammten bürger- 
lichen Administration einen Einzigen. Ein solches 
Amt giebt es z. B. in Epidamnos und, mit etwas 
beschränkterem Gebiet, auch in Opus. Was nun 
aber die sogenannte königliche Allherrschaft an- 
geht, d. h. diejenige in welcher der König nach 
eigenem Belieben über Alles gebietet, so meinen 
Manche, es sei sogar naturwidrig, wenn da wo f|g*^Jbsoiu? 
der Staat aus Gleichartigen besteht, ein Einziger -^Siums!^" 
Herr über alle Bürger sein solle. Denn für die ' 
von Natur Gleichartigen müsse naturgemäss das- 
selbe Recht und dieselbe Gebühr bestehen. Also, 
wenn für Menschen ungleicher BeschaflFenheit 
Gleichheit in Nahruug und Kleidung körperlich 
schädlich ist, so gilt dasselbe auch hinsichtlich 
der bürgerlichen Ehren; und ebenso muss nun 
auch die Ungleichheit für Gleiche schädlich sein. 
Mithin verlangt das Recht, dass unter Gleichen 
Niemand mehr gebiete als gehorche; und so ver- 
langt es denn auch, dass Jeder nach einer be- 
stimmten Reihenfolge bald gebiete bald gehorche. 
Wo aber eine solche Reihenfolge besteht, da ist 
schon Gesetz; denn Gesetz ist nichts anderes 
als abgemessene Ordnung. Demnach sei es 
Wünschenswerther dass das Gesetz herrsche, als 
ein Einziger aus der Mitte der Bürger. Nach 
derselben Ansicht soll man denn auch, selbst 
wenn es sich als zweckmässig herausstellt, dass 
bestimmte Personen Gewalt haben, diese nur zu 



198 III, 16. 

Gesetzeshtitern und für die Gesetze thätigen 
Dienern bestellen. Denn allerdings sei es bei 
der unvermeidlichen LücJcenhc^tigJceit jeder Gesetz- 
gebung nothwendig, dass gewisse Behörden be- 
stehen, nur, sagt man, sei es nicht gerecht, dass 
es ein Einziger sei, da ja dech Alle gleichartig 
sind. Hier wendet vielleicht Jemand ein: gegen 
die Lückenhaftigkeit des Gesetzes helfen Beamte 
. nicht, denn wo das Gesetz ausser Stande scheint, 
etwas Bestimmtes zu verordnen, wird auch wohl 
kein Mensch im Stande sein, sich ein festes 
Urtheil zu bilden. Darauf ist jedoch zu erwie- 
dem, dass das Gesetz es sich eben angelegen 
sein lässt, eine solche politische Erziehung zu 
geben, dass es nun die Beamten damit betrauen 
kann, das Weitere nach gerechtestem Ermessen 
zu entscheiden und auszuführen. — Ferner lässt 
das Gesetz Raum tur nachträgliche Verbesserungen, 
da wo die Erfahrung etwas Zweckmässigeres 
als die ursprünglichen Bestimmungen an die 
Hand giebt. In der That, wer will dass das 
Gesetz herrsche, der will dass allein Gott und 
Vernunft herrsche, wer dagegen will, dass ein 
Mensch herrsche, der bringt zugleich das Thier 
hinein. Denn erstlich ist die Begierde etwas 
Thierisches, und auch der Zorn lenkt Herrscher 
vom geraden Wege ab, selbst wenn es die besten 
Menschen sind. Vernunft ohne Begehren ist also 
nur im Gesetz zu finden. — Das von den Künsten 



III, 16. 199 

entnommene Beispiel aber ist wohl Täuschung, s. oben s. 191. 
dass es nämlich misslich sei, sich nach dem . 
Buchstaben curiren zu lassen; vielmehr verhält 
es sich damit so, dass hier allerdings es vorzu- 
ziehen ist, sich kunstverständigen Personen an- 
zuvertrauen, jedoch nur deshalb, weil dieAerzte 
nicht aus persönlichen Rücksichten Sachwidrig- 
keiten zu begehen brauchen, sondern wenn sie 
die Kranken gesund gemacht haben, so streichen 
sie einfach ihr Honorar ein; in den Staatsämtern 
dagegen pflegen die Menschen Vieles Anderen 
zum Aerger und zum Dank zu thuii. Wirklich 
würde man ja auch, da wo Aerzte verdächtig 
sind mit den Feinden des Kranken sich einge- 
lassen zu haben und diesen nun um ihres Ge- 
winnstes willen zu Grunde zu richten, lieber eine 
Behandlung nach dem Buchstaben wünschen. 
Auch lassen ja die Aerzte, wenn sie selbst krank 
sind, andere Aerzte holen, und die Turnmeister, 
wenn sie selbst turnen, andere Turnmeister, offen- 
bar weil sie hier nicht im Stande sind, wahr- 
heitsgemäss zu entscheiden, da sie in eigener 
Sache entscheiden müssten und befangen sind. 
Um also zu einem von jeder subjectiven Befangen- 
Jieit freien, ohjectiven Recht zu gelangen, wendet 
man sich an die Unparteilichkeit des geschrie- 
benen Gesetzes. Denn das Gesetz ist ja unpar- 
teiisch. Ferner ist zu erwägen, dass die auf 
der Sitte beruhenden Gesetze mehr Gewicht haben 



200 in, 16. 

und gewichtigere Dinge betreffen als die auf 
dem geschriebenen Buchstaben beruhenden ; wenn 
also auch ein persönlicher Herrscher mehr Sicher- 
heit bieten sollte als die geschriebenen Gesetze, 
so doch keinenfalls mehr als die auf der Sitte 
beruhenden. — Aber ferner ist es auch gar nicht 
leicht möglich, dass ein Einziger seine Aufsicht 
auf so Vieles richte. Es wird also eine grössere 
Anzahl durch ihn eingesetzter Beamten nöthig 
werden ; und was ist dann nun der Unterschied, 
ob es gleich von Anfang an so besteht, oder 
jener Einzige es in solcher Weise einrichtet? 
8. oben s. 166. — Femcr, was schon früher angetiihrt ist, wenn 
der wackere Mann, weil er besser ist als andere. 
Recht auf die Herrschaft hat, so sind doch wahr- 
lich zwei Brave besser als der Eine. Hier triflFt 
ja der homerische Spruch zu [Uias 10, 225]: 
* Gehen wo zwei mit einander, woM denkt dann 
dieser für jenen und der Wunsch des Agamem- 
non \I.lias 2, 372] : * Ständen mir doch zehn solche 
Berather zur Seite\ — Auch sind die Behörden, 
z. B. der Geschworene, schon jetzt souverän ent- 
scheidend tiberall wo das Gesetz seiner Natur 
nach nichts zu bestimmen vermag, da aber wo 
das Gesetz es vermag, wird doch wohl all^itig 
zugegeben, dass es am besten sei, wenn das Ge- 
setz herrsche und entscheide. Nur dieser Um- 
stand, dass nun einmal bloss gewisse Dinge sich 
unter gesetzliche Fassung bringen lassen, bei 



III, 16. 201 

anderen aber es unmöglich ist, ruft den Zweifel 
und die Frage hervor, ob es Wünschenswerther 
sei, dass das beste Gesetz herrsche oder der 
beste Mann. Gesetzgebung nämlich über die 
einzelnen Dinge, welche den Gegenstand politi- 
scher oder richterlicher Berathung bilden, gehört 
zu den Unmöglichkeiten. Die Gegner des König- 
thums leugnen also durchaus nicht, dass in solchen 
Fällen die Entscheidung eine persönliche sein 
müsse, nur wollen sie dass es nicht Eine Person 
sei, sondern Viele. Man giebt allerdings zu, dass 
jeder unter dem Einfluss des Gesetzes gebildete 
Beamte gut entscheide, aber man meint, es wäre 
doch wohl seltsam wenn Einer, der zum Be- 
urtheilen nur zwei Augen und zwei Ohren, 
zum Ausführen nur zwei Füsse und zwei 
Hände hat, tüchtiger sein sollte als Viele mit 
vielen Sinneswerkzeugen und Gliedern. Auch jetzt 
ja vervielfältigen die Einzelherrscher ihre Augen, 
Ohren, Hände und Füsse. Sie nehmen sich 
nämlich die ihrem Regiment und ihrer Person 
Befreundeten zu Mitregierenden. Wenn diese 
nun keine wahren Freunde sind, so werden sie 
nicht im Sinne des Einzelherrschers handeln, 
und dann wird seine Regierung unhoMbar. Haben 
sie aber wahre Freundschaft für seine Person 
wie ttlr sein Regiment — nun, in der Freund- 
schaft gilt vollständige Gleichheit. Indem er also 
diese Freunde zur Herrschaft befugt glaubt, erkennt 



202 



111,17. 



Vertheidi- 

gimg des 

absoluten 

König- 

thums. 



er damit zugleich an, dass alle vollständig Gleichen 
gleichen Antheil an der Herrschaft haben mtlssen. 
— Diese Gründe sind es also ungefähr, welche 
die Bestreiter des Königthums geltend machen. 

Vielleicht jedoch verhält sich alles dieses 17 
nur für gewisse Menschen in solcher Weise, für 
gewisse andere aber nicht. Es giebt nämlich 
von Natur ein besonderes Rechts- sowohl wie 
Nützlichkeits-Princip für Herrenthum, ein anderes 
für Königthum und wiederum ein anderes für 
den bürgerthümlichen Verfassungsstaat. Für 
Tyrannis jedoch giebt es naturgemäss dergleichen 
nicht, so wenig wie für alle übrigen Verfassungs- 
formen, welche Ausschreitungen sind; denn diese 
entstehen auf widernatürlicliem Wege. Soviel nun 
ist jedenfalls aus dem Gesagten klar, dass aller- 
dings unter vollständig Gleichen es weder mit 
der Nützlichkeit noch mit dem Recht verträglich 
ist, dass ein Einziger souveräne Macht über Alle 
habe, weder wenn keine Gesetze vorhanden sind 
und er selbst gleichsam das Gesetz darstellt, 
noch wenn Gesetze vorhanden sind, weder wenn 
er ein Braver unter Braven, noch wenn er unter, 
nicht Braven ein nicht Braver ist, auch nicht 
wenn er eine höhere Tugendstufe einnimmt, 
letzteres mit Ausnahme eines gewissen Falles. 
Dieser Fall ist nun näher anzugeben, obwohl 
H. oben s 185. er gewissemläassen schon früher erwähöt worden. 
Zuvor jedoch ist es nöthig zu bestimmen, welches 



111,17. 203 

der Boden für Königthum, welches der für Ari- 
stokratie und welches der für bürgerthtimliche 
Verfassung ist. Den Boden für Königthum nun 
bildet eine so geartete Bevölkerung, dass sie 
sich einem durch Tugend zu staatlicher Ober- 
leitungberufenen Geschlecht untergebe; den Boden 
für Aristokratie bildet eine Bevölkerung, die in 
einer den Freigeborenen gemässcn Weise sich 
beherrschen lässt von Männern, deren Tugend 
sie zur Oberleitung in staatlichem ßegimient be- 
ruft ; den Boden für btirgerthümliche Verfassung 
bildet eine Bevölkerung, in welcher eine zahl- 
reiche kriegerische Klasse naturgemäss auf- 
kommt und in welcher sich ein Wechsel des 
Gebietens und Gehorchens durchführen lässt auf 
Grund eines Gesetzes, welches nach Maassgabe 
der Würdigkeit die Aemter unter die Bemittelten 
vertheilt. Wenn demnach auf dem eigentlichen 
Boden des Königthums ein ganzes Geschlecht 
oder unter den übrigen Arten von Bevölkerungen 
ein Einziger aufsteht, der so durch Tugend her- 
vorragt, dass die seinige vorzüglicher ist als die 
aller Anderen, dann ist es Recht, dass jenes Ge- 
schlecht ein königliches und allseitig souveränes 
und jener Einzige König . sei. Denn, wie schon s. oben s. i63. 
vorhin gesagt, es folgt dieses einerseits schon 
aus dem Rechtsgrundsatz, welchen die Vertreter 
der verschiedenen Verfassungen, sowohl der ari- 
stokratischen als der oligarcbisohen als auch 



204 III, 18. 

wiederum der demokratischen vorzubringen pfle- 
gen. Alle nämlich gründen ihre Ansprüche auf 
Vorzug, jedoch nicht auf denselben Vorzug, son- 

s. oben ö. 158. dem SO wie es vorhin ausgeführt ist. Und 
ausserdem ist es ja wahrlich nicht statthaft, 
einen solchen Mann hinzurichten oder zu ver- 
bannen, oder das Scjierbengericht gegen ihn an- 
zuwenden, oder ihm zuzumuthen, dass er an 
seinem Theil sich auch befehlen lasse. Denn 
des Theiles Natur ist es nicht, vorzüglicher 
zu sein als das Ganze, bei dem Manne 
aber, der eine solche tiberschwängliche Vor- 
trefflichkeit besitzt, ist das allerdings der Fall; 

s. oben s. 185. CS bleibt also nichts anderes übrig als dass man 
einem solchen Manne gehorche und er nicht bloss 
abwechselnd an seinem Theil, sondern schlecht- 
hin Souverän sei. — Die Bestimmungen über das 
Königthum, welcherlei verschiedene Arten es 
umfasst, ob es itlr die Staaten und ttir welche 
und unter welchen Bedingungen zuträglich ist 
oder nicht, seien also in dieser Weise gegeben. 

Da wir nun drei Staatsformen als rechte an- 18. 
erkennen und unter diesen nothwendig diejenige 
die beste sein muss, welche von den besten 
Männern gehandhabt wird, d. h. eine solche, die 
in, dem Fall ist, einen Alle insgesammt über- 
treffenden Einzigen oder ein ganzes Geschlecht 
oder eine zahlreiche Klasse mit hervorragender 
Tugend zu besitzen, und wo der eine Theil so 



m, 18. 205 

zu gehorchen und der andere Theil so zu ge- 
bieten versteht, wie es zum wtinschenswerthe- 
sten Dasein erforderlich ist, und da nun ferner 
in den ersten Vorträgen erwiesen worden, dass a. oben s. 139. 
für den besten Staat Bürgertugend und Mannes- 
tugend zusammenfallen: so ergiebt sich deutlich, 
dass auf dieselbe Weise und mit denselben 
Mitteln, die zur Entwicklung eines vollkommönen 
Mannes dienen, man auch wohl einen von einer 
Edelklasse oder von Königen regierten Staat her- 
stellen könnte. Erziehung und Sitten also, welche 
den vollkommenen Mann bilden, werden fast 
identisch sein mit denen, welche den Bürger im 
Verfassungsstaat und im Königthum bilden. Nach 
dieser Auseinandersetzung müssen wir nunmehr 
den Versuch machen über die beste Verfassung ' 
zu reden und darzulegen, was die ihr eigen- 
thümliche Weise der Entwicklung und Form der 
Einrichtung sei. 



Verzeichniss 

der Abweichungen von dem Text der zweiten kleinen 
Bekker'schen Ausgabe (Berolini, typis et impensis Ge- 
orgii Reimeri a. 1855. 8.), welche, zum TJieil nach dem 
Vorgang anderer Bearbeiter, in der vorstehenden 
Uebertragung befolgt sind : 

1,1, p. 1, 6 Bekker: Die Worte 37 xaXovf.ihVTj noku; xai, 

welche sich auf die doppelte Bedeutung der 
griechischen nvhg als 'Stadt' und *^Staat' be- 
ziehen und daher im Deutschen nicht nach- 
gebildet werden können, sind fortgelassen, 
p. 1, 15 : xara fitQog xai ä^/o/nEvog fj, noXmxov. (Vgl. 
p. 92, 30 und für das nachdrücklich tempo- 
rale oxav 19, 26). 

I, 2,p. 2, 10: noislv oQyof^iavov, (pvosi dovXov, 

p. 3, 14: 17 d^uvmQXBia rekoq' xcd yuQ ßbkuaxov. 

I, 4, p. 5, 14 : xal t(o oixovofxtxio, 

I, 6, p. 8, 13 : of.ioXoyiu ng lonvy t(p' (o rä xurä 7i6ka/,iov xqu- 

wv/nsi'a Tüjv xQawvriwv sZvai, tovxo (das Ver- 
kennen der Infinitivconstruction mit l(p' (o 
nach Wörtern, welche eine Uebereinkunft be- 
zeichnen, scheint die Aenderung iv statt i(fj'^ 
und die Hinzufügung von (paaiv in der Vul- 
gata veranlasst zu haben), 
p. 9, 18 : noietv, noXkdxig [xivwi ov Svvaiai. 



207 

I, 8, p. 1 1 , 1 \ rj iri iafj<ng noXXä 

p. 1 1, 17 : QaCTCüvag xurä ttjp uiQsaiy 

p. 1 2, 3 : svSsiaiEQOP 

p. 12, 15: d^Xop on oiTjriov 

p. 12, 27 : //.tQog ioriy, x(x0^b Sei 

p. 12, 28: di]auvQia/x6g xirj/xdjwv n()bg 
I, 9, p. 13, 26 : ovx san (pvoei xr^ /ÄSTußkTjnx^ ^ xujiTjhxri. 

p. 13, 31 : xs/WQiOf^ivoL noAXwi' ndhv xul tJSQOi kxtQiDv 
(die Hinzufügung eines Wortös für 'Fehlen 
ist im Griechischen unnöthig, da dieser Be- 
griff schon in xsyußQiafidvoi liegt). 

p. 1 4, 1 : noiat xul vvy tüv 

p. 14, ^: wv bvbÖH xal ix7ib(A.n6iv 

p. 14, 14 : €Vf.iSTa/HQiaToy nQoq w ßuoru^iv, olov aiSfjQog 

p. 1 4, 25 : noirjnxTi S'' slvut rov nXovrov ' xal y(i(i /qtj- 
fidiuiv, 

p. 15, 1 : ov Ttaviiog uXk^ ^ dta fisraßoX^g, 

p. 15, 16 : TTJg S^olxovofuxrjg av /Qrjfianouxrjg 

p. 15,22: ixavb^a xfj /jjrjfianaax^, Trjg yät) avtjjg Aiii 
xTi^GSiog /Q^aig, ukX' ov 
1, 11, p. 17, 15 : ro 71£(jI r« xnj*^ ef4,nsiQ0v 

p. 17, 32 : jLisvaßkrjnxTJg, ovoa uno y^g 

p. 19, 10 : ro /Liivwi €V()7jfj.a GdkEio 
I, 12, p. 19, 18 : yvvaixbg oqxuov xal rtxywv 
I, 13,p. 21, 3: Twy uXkujy, uiai* tnkl cf'vaBi nksiw zd uQyovxa 

xal aQ/oi-ieva {akXov yd^ igonov m iXsvih^ov 
Tov SovXirv ä(j/H xal w tt(}^tv wv drjXkog xul 
dv^^ jiaMg) xal näoiv twndQyu fA.tv t« (.16- 
fiia t^g xfjvyrigj "^^' iwjidfyyai ÖiaifüQOVTwg (6 
/.liy yd(j SovXog oXiog ovx ^£t rb ßovksonxov, 
Tu dt &7ß;v syu fiiv, aXA' äxvQov ' b dt natg 
tyjki fibv^ dXX' äiBkeg), bfwliog Toivvv tyeiy xal 
tisqI tag ^i^ixdg aQSTag vnoXfjnTtoi'y dttv fitv 
fiETtysiv ndviag, dXX* ov rbv avxbv Tfjonoy, 



208 



aXk^ ooov avayxatov htdoTM TiQog ro uvtov 
SQyov, 
1, 1 3, p. 22, 8 : äW ov wv Tjjy diSaaxahxijy 

II, 2, p. 23, 26 : sn de nQoq, rb rtkog 

p. 24, 18: Ttxrovag ijauy. ixd ds ßbknov oiJno^ £/biv ' xal 
7i6(}i rijy r(oiP(x}vlup rriv nokiuxrjy drjXoy wg 

p. 24, 23 : Da für 6i (ULjuaiadai eine annehmbare Ver- 
muthung bis jetzt nicht vorliegt, so be- 
schränkte sich die Uebersetzung darauf, 
eine nicht unmögliche Satzverbindung zu 
versuchen. 
II, 3, p. 26, 2: TU tfwv XdyHv'txaijTov ro airo, firjötv iiQogu- 

yo^bioi'Tu, dioyiXiim' 

p. 26, 7 : uQoq St Tovroig stsqov (pQUTOfju (oben S. 60 Z. 
12 V. u. lies : ^Der Eine seinen Sohn, der An- 
dere seinen Bruder ). 
II. 4, p. 27, 23 : (Tv/,ißuiv€L xul xavii ttjv olxstoirjTa 

p. 27, 32: xul yuQ yivuHSxsiv 
II, f>, p. 28, 1 6 : zag yt xn^as^ xoivag alvai ßtknoi' xavä mg 

XQi^OBig 

p. 29, 18: x«)' (fcjyt^watv scfjoSujüVy zalg ayo()alg xum Trjy 
yjMQVLv (Zu ayoqalg vgl. Xenophon, Anal[)a8is 
6, 6, 3). 

p. 29, 26: ro q)iXo/Qi]fzawv xal rb (piXon/uoVy insl (pi- 
Xoval ys 

p. 29, 32 : ö(jjq)QoovvTig fj.iv tw n€()l 

p. 30, 1 : iXsvx^sQLOxrjTog de tw nsQt 

p. 31, 1 : TOVTO avTo ayvoelv 

p. 31, l\xal wtg noXXdtg sßyeoiVy iv olg (Vgl. Hermes 
5, 301) 

p. 3 1 , 6 : /u jy (xs^i^Mv uv xal /wqiOjüv 

p. 31, 15 : ^ xu&^ sxuaiop löiag 

p. 31, 18: (f/vhixMv; ^ ri f^a&ovrag vnofiavovm t^v «()- 
y^i^ amuJVy aay /ä^ n 



209 

II, 5, p. 32, 1 : Die von Bekker eingeklammerten lückenhaf- 
ten Worte xwi' €l xoival al xvijasig ycal cd rwv 
yswQycüv yvvatxsg sind, da ihre sichere Er- 
gänzung mit unseren jetzigen Mitteln un- 
möglich scheint, aus der Uebersetzung fort- 
gelassen. 

p. 32, 25 : /,i^ rdiv nXsiavwv, sl jLirj ndvrwv^ 
II, 6, p. 34, 20 : uxns xai tisqI mg xv^asig ävayTcatov avräg 

slvcu Tavrag. 

p. 35, 7 : diafjLBvsiv xam zi nkijd^og 

p. 35, 8 : sl/ov ndvTsg 

p. 35, 12 : (prjal yoQ (Jj}, (ootisq 

p. 36, 17 : ndhv iowg ix wv SevriQOv 

p. 36, 19 : ToTg sx raiv TSTaQTWVy ix da mv tstuqtov fiovoig 
indvayxsg 
II, 7, p. 38, 25 ; diä tuvttiv f,i6vov, akXd xetl iva /aigwoi 

p. 39, 31 : Twv ovv toiovtüdv äxrj fxaXkov 

p. 40, 11 : oiDC sinsQ^ &sl drifxooiovg slvcu wvg m xoivä 
iQya^ofxivovg xul xu&dnaQ iv^EniödfxvM (Die 
Verkennung des bei Aristoteles häufigen el- 
liptischen Gebrauchs von aX)C sinsQ scheint 
zu der Verwirrung in der Vulgata geführt 
zu haben; vgl. p. 46, 2; 228, 11 und Bonitz, 
index Aristotelicus 217a 56) 
II, 8, p. 40, 20 : noXweksl bti' iöd'rjxog evrsXovg 

p. 42, 1 4 : yeuiQy 7(081 sig Svo olxlag 

p. 42, 1 5 : T^c y^g xüv airtav xkriQixiv 

p. 43, 29 : iawdTiaaVy oXiyovg slvav xal TToig rv/ovzag xal 
avoijTOvg 

p. 44, 10 : Totg vnaQXOi^oiv aTiatd^slv 
II, 9, p. 47, 11 : slvaL noxs roig ^naQtuiiug xal (iVQiovg, 

p. 48, 5 : diMixivHv xaxa ramd. 

p. 49, 1 ist Tov uvTOv wohl nur ein Druckfehler statt rö 
aircbv der früheren Bekker^schen Ausgaben. 

14 



210 



II, 9, p. 49, 31 : (ngaTi^yotg didioig ^ vavoQ^la 

11.10, p. 52, 6 : vnaQ/€i xal Toi tovtwv 

p. 52, 26 : oacoOf^lag, ^v ncad-anom nolXaxu; iwv dvvaxMv 

OL av (171 oixag 
p. 52, 29 : (pikovQ nvagylav noiäiv 

11.11, p. 53, 16 : noXtislag sv ovvTBiayfisvijg ro top d^fiov Ixov- 

Tce dwLfievsiv 
p.53,21 : TiAjyi/, ov yjBlQov^ oi (.lev 
p. 53,26: wyov, slq de ysQovolav ix nXovaiwy aiQswvg 

(Vgl. Job. Brandis im RheiniBchen Museum 

11, 596) 
p. 53, 3 1 : ngbg t^v vnodsoiv vnsvavxuüv v^g (Vgl. p. 

44, 24) 
p. 54, 4: xai wvrov 6 d^iog 
p. 56, 18 : xoivozEQOv tb yoQ xal, xa&dneQ sino^isv, xdX- 

hov Sxu(JTOv anoTsXslvui rwv sQycüv xal dvirrov. 
p. 55, 22 : oQLiTm fTtdoiv ex(psvyovai (Vgl. p. 53, 18) 

II, 12, p. 58, 11 : Tovg fis&vovrag, av n nxaiauuji] nXslcj 

III, 2, p. 60, 31 : noXinxwg xai na/Jwg 

p. 61, 11 : Sovkovg /nBwixovg (Vgl. Heraklitische Briefe 
p. 155) 

III, 3,p. 61, 28: ouolwg ov rrjg noX&jog 

III, 4, p. 63, 27 : tl yoQ Svvawv fS anavxwv 

p. 64, 2 : avayxalov bfioiovg slvai rovg Bv rfj 

p. 64, 5 : yvvouxog xai ix dsonoTOV 

p. 64, 13 : (pQOvifJLOVy rbv Ss noXirTjv oix uyayxatov 

p. 64, 24 : noXlrov ioxal Soxl/uov 

p. 64, 28 : Soxst äf4(pw stsqu xai ov xaircd 

p. 65, 23 : xai yaQ &QyovTog xai aQ/o(xivov fxsv 

III, 5, p. 66, 24: iwv ävayxaiwv. rmv (f' aXhav ol (ibv ivi 

p. 67, 11 : noXixag xovg roiomovg, nag^ ohyav&Qwniav 

ovro) xQCüvvai rolg vofioig, evnogovvrsg 
p. 67, 19 : jiir, /neTEywv, aXX* sanv onov rb toiovToy im- 
X€XQVftf4iyov icfvlv, anavrjig /Aqiv ixüV awoi- 



k 



211 



xomnov. uoteqov /xsv ovv ersQuv rj ttjp aviijv 



III, 6, p. 68, 4 : nsQL avS^Qionov xam Trjv ycoivcoviav 

p. 69, 9 : iaxonsi to ixslvov, vvv ös diä 
III, 7, p. 69, 29 : xoix; f.i'^ f^STS/ovrag rj dsl 
III, 8, p. 71, 12 : Tag gijd^siaag noXirsiag airiag yivsa&uL 
III, 9, p. 72, 28: (fQOvn^ovmv sifvofziag nokeuig fxuig. rj xal (pa- 

VBQOV ou 

p. 72, 31 : TCüv änw&sv avf^fxa/^iwv 
III,' 1 1 , p. 75, 9 : s/Hv svnoQiav 

p. 78, 5 : dianoQi^&sv' äfxa yuQ xai öfioUog 
III,12,p.79, 14: xav* uqstiJv, si xat nXstov vnsQtyjsi oXmg aQSTrj 

fisyd&ovgy eirj av av/ußXi]rd, xoaovds yoQ 
III, 13, p. 81,21 : «yiayrcfv — anoQovac yoQ uvsg noxsQov rw 

voftod'STi] vof40&£Ti]TioVj ßovXofiivM ri&Bod^ut 
Tovg OQ&ordvovg vofxovg, uQog to twv ßekni- 
vcüv av/Äq)SQOv ij uQog to twv nXsiovtov — oxav 
avf4.ßulvfj TO TiSyß'sv. 
p. 83, 12 : Hinter tqotiov ward der Satz Z. 18 cSore 6ia 
TOVTO bis Z. 20 Tomo dQwoiv heraufgerückt, 
p. 83, 30 : on anhag öLxuiov 
III, 14, p. 84, 22 : sl fjiri sv nn, xuSutisq inl tmv 

p. 85, 23 : du\ fjisv vö deanouxal slvou WQuvvixaly dtd de 
TO aiQBicd 
III, 15, p. 86, 31 : v6f4.(jüP sysxai fxällov ^ noXiTslag 
III, 16, p. 89, 31 : dionsQ ovdiva (.laXkov 

p. 91, 20 : rf ßihxov s/m ng 
III, 17, p. 91, 31 : qwaei dtanonxov xul äXko ßaoiXixov 

p. 92, 16 : nokiTLXov di nX^d^og^ sv m nscpvxsv iyyivsaS^ai 
nX^&og 
III, 18, p. 93, 9 : Twv f^sv aQysoS'ai Svvaixsvwv 

p. 93, 17 : noliuxov xal ßaaiksvxov, di(xiQiöf.isv(Jtiv 



212 



Da der Zweck dieser Arbeit auf lesbare Wieder- 
gabe des aristotelischen Textes nach seinem überlie- 
ferten Bestände gerichtet war, so wurden die mit der 
sogenannt höheren Kritik zusammenhängenden Fragen 
über den Ursprung jener üeberlieferung nur bei be- 
sonders dringlich erscheinenden Anlässen (s. oben S^ 
172 und S. 121) kurz berührt. Der aufmerkende Le- 
ser wird jedoch auch ohne ausdrücklichen Hinweis Be- 
lege genug gefunden haben zur Rechtfertigung der in 
der Vorbemerkung ausgesprochenen Ansicht, dass uns 
kein von Aristoteles allseitig ausgearbeitetes und ver- 
öffentlichtes Werk vorliegt, sondern nur eine Reihe vor- 
läufiger Aufzeichnungen, deren Bestimmung zum Ge- 
brauch bei seiner mündlichen Lehrthätigkeit vod vorn 
herein wahrscheinlich war und durch die neueren, der 
aristotelischen Litterärgeschichte zugewandten For- 
schungen immer deutlicher hervortritt. Es liegt in der 
Natur der Sache, dass bei der Redaction solcher nach- 
gelassener Papiere des Aristoteles alle die Uebelstände 
in vollem Maasse eintraten, welche z. B. bei der Her- 
ausgabe der Hegerschen Vorlesungen, denen ja auch 
von Hegel selbst verfasste Hefte oft zu Grunde liegen, 
nicht ausgeblieben sind. Um die aus einer derartigen 
Üeberlieferung entstandenen Schwierigkeiten wenig- 
stens in so weit zu überwinden, dass im Verhältniss 
der einzelnen Sätze zu einander eine durchsichtige Ge- 
dankenverbindung hergestellt und ein zusammenhän- 
gendes Lesen ermöglicht werde, musste zuweilen die 



213 

anderswo berechtigte, bloss die einzelnen griechischen 
Wörter auf deutsch zuwiegende üebersetzungsweise 
aufgegeben und der Versuch gemacht werden, die kur- 
zen Andeutungen, welche ursprünglich nur zu Merk- 
zeichen für die eigene Wiedererinnerung des Schrei- 
benden dienen sollten, durch vollere Ausführung des 
Gedankens einem unmittelbaren Verständniss auch des 
Lesers nahe zu bringen*). Unstatthaft jedoch, weil 
nicht ohne Willkür durchführbar, wäre das Unterneh- 
men gewesen, alle Unebenheiten der schriftstellerischen 
Composition, welche in der Aufeinanderfolge und Be- 
handlungsweise der erörterten Gegenstände besonders 
im dritten Buch bemerklich werden, durch eingreifen- 
dere Umstellungen und ähnliche kritische Eraftmittel 
wegschaffen zu wollen. Da die griechische Urschrift 
das Werk als noch im'Guss befindlich erscheinen lässt, 
so durfte die deutsche Wiedergabe diesen Eindruck 
nicht abschwächen. Durch eine manchmal unverhalt- 
nissmässige Ausführlichkeit neben skizzenhafter Be- 
handlung wichtiger Fragen (z. B. S. 98 unten, S. 139 
oben), durch neue Anläufe mit eingehender und nichts 
Neues bietender Wiederholung des bereits Erledigten 
(z. B. S. 75, 189) und durch mannigfache andere Spu- 
ren von Unfertigkeit möge auch der deutsche Leser 



'*') Beispielsweise vergleiche man in der Stelle über 
die Priorität des Staats vor dem Individuum den grie- 
cbischen Text (p. 4, 1 — 10 Bekker) mit der obigen üeber- 
tragung S. 9. 



214 

sich daran erinnert fühlen, dass er den richtigen Ge- 
sichtspunkt zur Beurtheilung des Ganzen festhalten, 
auf diejenigen stilistischen Anforderungen, denen nur 
vollständig ausgearbeitete Werke genügen können, 
verzichten und zufrieden sein müsse, das alle Trübun- 
gen der Form durchbrechende Licht der aristotelischen 
Gedanken auf sich einwirken zu lassen. 



215 



Action u. ProductionS.13. 
Adel 21. 177. 
Aesymneten 187. 196. 
Alkaios 188. 
Androdamas 126. 
Antiroenides 188. 
Antisthenes 181. . 
Aphrodite 101. 
Apollodoros 40. 
Appellationsgericht 91. 
Ares 101. 
Argo 182. 
Arkader 66. 
Atarneus 88. 
Athener 183. 
Auswärtige Beziehungen 

76. 87. 
Aatophradates 88. 
Babylon 76. 137. 183. 
Barbaren 5. 16.20. 21. 187. 
Besitz, Gleichheit des 84. 
Chares 40. 
CharilloR 111. 
Gharondas 6. 124. 125. 
Chier 183. 
Dädalos 12. 
Diokles 124. 
Diophantos 90. 
Drakon 125. 
Ephialtes 123. 



Ephoren S. 105. 
Epidaranos 90. 197. 
Epimenides 6. 
Eubulos 88. 
Euripides 5. 141. 
Cfeldmünze 31. 
Geronten 106. • 

Gesetz 191. 198. 
Götter nach menschlichem 

Ebenbild 7. 
Gorgias 47. 134. 
Grosstädte 194. 195. 
Gütergemeinschaft 65. 
Handwerker 48. 146. 
Heloten 99. 
Herakles 182. 
Hesiodos 6. 
Hippodamos 90. 
Homeros 7. 8. 12. 43. 86. 

149. 186. 200. 
Jason 142. 
Industrie in den Händen 

des Staats 89. 
Karthago 116 ff. 133. 159. 
Kelten 101. 

Kinderzahl 78. 84. 104. 
Kleisthenes 135. 
Königthum 185 ff. 
Kosmoi 112 ff. 
Kreter 71,99. 108. 110 ff. 



216 



Kyme S. 97. 
^arisa 134. 
Lebensweisen 26. 
Leibwache 187. 196. 
Lesbier 183. 
Leukas 84. 
Lokri 84. 
Lykophron 161. 
Lyktier 111. 
Lykurgos 102. 111. 124. 
Meder 183. 
Minos 111. 
Neuerungen 96. 
Onomakritos 124. 
Opus 197. 
Penesten 99. 
Periandros 182. 
Perikles 128. 
Phaleas 83. 125. 
Pharsalos 61. 
Pheidon 79. 
Philolaos 124. 
Pittakos 126. 188. 



Piaton bestritten S. 3. 11. 

22. 23. 49. 54 ff. 125. 
Politeia 80. 154. 
Production und Action 13. 
Recht 10. 

Recht des Starkeren 19. 
Rechtsstaat 159 ff. 
Samier 183. 
Scherbengericht 182. 
Solon 29. 84. 122. 168. 
Sophokles 47. 
Sparta 99 ff. 186. 189. 
Sprache jB. 

Sprichwörter 23. 67. 
Thaies 40. 124. 
Theodektes 21. 
Thrasybulos 182. 
Tyrrhener 159. 
Wahlen, indireote 82. 
Weib 5. 43. 46. 47. 100. 
Zahl, gerade 59. 74. 
Zaleukos 124. 
Zins 37. 



Druok Ton Carl Georgl in Bonn. 






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